Soziales

Mannheimer Vesperkirche mit so großem Zulauf wie noch nie

Am Sonntag geht die 28. Mannheimer Vesperkirche nach vier Wochen zu Ende. Über 18.300 Mahlzeiten wurden ausgegeben, so viele wie noch nie. Woran das liegt.

Von 
Simone Kiß
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In der Mannheimer Vesperkirche gibt es für Bedürftige nicht nur eine warme Mahlzeit, sondern auch Gespräche und ein Sozialberatungsangebot. © Christoph Bluethner

Mannheim. „Wir haben wieder eine Steigerung zu verzeichnen. Und darauf sind wir gar nicht stolz.“ Wenn der evangelische Dekan Ralph Hartmann auf die Bilanz der 28. Mannheimer Vesperkirche blickt, dann macht ihn das alles andere als glücklich. Mit insgesamt rund 18.300 ausgegebenen Mahlzeiten liegt die Zahl noch einmal um rund 800 Essen höher als im vergangenen Jahr.

Die gestiegene Nachfrage zeige die wachsende Not vieler Menschen. Besonders die Altersarmut nehme kontinuierlich zu, so Hartmann. „Wir wollen den Gästen der Vesperkirche vier Wochen lang die elementaren Dinge zur Verfügung stellen, an denen es ihnen sonst fehlt“, erklärt der Dekan und fügt hinzu: „Willkommen sein, erwünscht sein, gehört werden – das braucht man wie das tägliche Brot.“

Rekordbeteiligung: 800 Ehrenamtliche arbeiten für die Vesperkirche

Seinen Dank richtet er an die rund 800 Ehrenamtlichen, die in diesem Jahr wieder beim Bedienen, dem Packen der Vesperbeutel und bei den Einkaufs- und Lieferfahrten geholfen haben. „Wenn ich sehe, wie Menschen aus der bürgerlichen Mitte mit einer Schürze bekleidet zu einem Obdachlosen hingehen und ihn fragen, was sie ihm zu trinken bringen dürfen, dann geht mir das Pfarrerherz auf“, so Hartmann. In diesen Momenten sei man „nah dran an der Botschaft von Jesus Christus“.

Der noch einmal gestiegene Zulauf für die Vesperkirche treibt auch Ilka Sobottke, Pfarrerin der Citykirche Konkordien, um: „Es macht mich rasend, dass wir es in unserem reichen Land nicht schaffen, etwas daran zu ändern, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. Das ist unsere Politik, die das zulässt.“ Menschen, denen es ohnehin schon schlecht gehe, würden zudem zunehmend mit Ausgrenzung, Verachtung und zum Teil sogar Hass bestraft. „Noch nie habe ich von Obdachlosen so oft wie in diesem Jahr gehört, dass sie angegriffen und verprügelt worden sind. Das entsetzt mich“, berichtet Sobottke. Hier müsse sich im öffentlichen Diskurs dringend etwas ändern. „Bei uns stimmt grundlegend etwas nicht“, ergänzt die Pfarrerin.

800 Ehrenamtliche engagieren sich in der Vesperkirche beim Bedienen, beim Packen der Vesperbeutel sowie bei den Einkaufs- und Lieferfahrten. © Christoph Bluethner

Auch Ilka Sobottke findet viel Lob für die Ehrenamtlichen, die mit Geduld, Humor und Freundlichkeit für die Gäste sorgten. Vor eine besondere Herausforderung hatte einige von ihnen in diesem Jahr der Streik des öffentlichen Nahverkehrs gestellt. „Da gab es dann welche, die eineinhalb Stunden gelaufen sind, um zu ihrem Dienst in die Vesperkirche zu kommen. Und nachmittags wieder zurück“, erzählt die Pfarrerin.

Dankbar sei sie auch für den rechtzeitig abgeschlossenen Umbau der Citykirche Konkordien, die nun komplett barrierefrei sei. „Man kann sich nun viel besser bewegen. Es gab Tage, da waren hier 800 Menschen unterwegs. Das hätte vor dem Umbau nicht geklappt“, so Sobottke.

Größte Rolle bei den Sozialberatungen des Diakonischen Werks spielt das Thema Wohnen

Neben einem warmen Mittagessen bietet die Vesperkirche auch ein Sozialberatungsangebot. In diesem Jahr habe man sich hier noch einmal breiter aufgestellt und den personellen Einsatz verdoppelt, berichtet Martin Metzger, stellvertretender Direktor des Diakonischen Werks Mannheim. Muttersprachliche Beratungen, Angebote für Frauen, die Gewalt erfahren haben, Hilfe beim Beantragen von Sozialleistungen – der Einsatz der Diakonie-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei vielfältig. „Vor allem geht es aber ums Zuhören. Denn diese Menschen haben oft niemanden, der ihnen zuhört und sich ihre Lebensgeschichte erzählen lässt. Daraus ergeben sich dann oft Ansätze für weitere Hilfen“, so Metzger. So wie zum Beispiel bei der alleinerziehenden Mutter, deren Herd kaputt gegangen ist. Und die nicht wusste, wie sie nun für ihre drei Kinder kochen sollte. Hier habe man zum Glück helfen können.

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Die größte Rolle spielt aber das Thema Wohnen. „Bei der Hälfte aller Beratungen geht es in irgendeiner Form darum“, weiß Metzger. Nebenkosten, Energieschulden, Wohnungsknappheit und zunehmend auch digitale Teilhabe – um all diese Aspekte drehen sich die Gespräche.

Davon berichtet auch Marie-Louise Uhrig vom Haus Bethanien. Sich ein digitales Profil zulegen, um sich online auf Wohnungen bewerben zu können – das schafften viele Menschen einfach nicht, so Uhrig. „Ich habe noch nie so viele Profile ausgefüllt wie in diesem Jahr in der Vesperkirche“, sagt die Einrichtungsleiterin. Um in diesem Bereich dauerhaft Hilfe anbieten zu können, sei in den vergangenen vier Wochen die Idee eines Lotsenprojekts entstanden. Ehrenamtliche könnten sich mit Wohnungssuchenden an den Rechner setzen, um sich gemeinsam durch den Bürokratiedschungel zu klicken.

Die Zahlen, die die 28. Vesperkirche zum Abschluss aufweist, sind tatsächlich enorm: 240 Kilogramm Brot, 20.000 Brötchen, 350 Kilogramm Wurstaufschnitt, 750 Becher Margarine und über 3000 Liter Kaffee wurden beispielsweise ausgegeben. Allein beim Bedienen innerhalb der Kirche legen die Ehrenamtlichen, darunter 16 Konfi-Gruppen und fünf Schulklassen, pro Tag fünf bis sechs Kilometer zurück. In einem sind sich die Verantwortlichen deshalb einig: „Mehr schaffen wir nicht“, bilanziert Ilka Sobottke. Man lasse niemanden hungrig weggehen. Aber mit durchschnittlich 630 Essen pro Tag sei man an der Obergrenze angekommen.

Redaktion Reporterin Team Mannheim

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