Technoseum - Große Landesausstellung macht Einwanderer-Schicksale zum Thema: „Arbeit und Migration. Geschichten von hier“ ab Samstag bis 19. Juni 2022 zu sehen

Mannheimer Technoseum zeigt ab Samstag Geschichte der Einwanderung

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Thorsten Langscheid
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Eisdiele als Symbol für Einwanderung (v.l.): Ausstellungsmacher Anne Mahn, Katharina Matthies und Hartwig Lüdtke, Direktor des Technoseums. © Christoph Blüthner

Mannheim. Sie beginnt mit dem Homo heidelbergensis - ist aber eine Ausstellung über Mannheim und natürlich über Baden-Württemberg und ganz Deutschland, wenn man so will: die neue große Landesausstellung im Technoseum, zu sehen ab Samstag, 13. November, heißt „Arbeit und Migration. Geschichten von hier“ und ist in vieler Hinsicht außergewöhnlich. So ist die von Anne Mahn kuratierte Schau eine partizipative Ausstellung, dass heißt, Besucher können - in dem sie beispielsweise ihre eigene Migrationsgeschichte erzählen oder Bilder hochladen - zu den Inhalten beitragen.

Vor allem will das Technoseum mit der Landesausstellung das Thema Migrationsgeschichte als festen Teil der Konzeption des Landesmuseums für Technik und Arbeit etablieren, wie Direktor Hartwig Lüdtke gemeinsam mit Mahn und der Ausstellungsdesignerin Katharina Matthies erläuterte. Deutschland, so Kuratorin Mahn, war immer ein Einwanderungsland, und Migration ist kein Einzel-Ereignis, sondern lässt sich viel besser als fortlaufender Prozess, als Dauerzustand beschreiben: „Migration gab es immer und wird es immer geben.“ So stehen die „Gastarbeiter“ im Mittelpunkt der sieben Abteilungen auf der 900 Quadratmeter umfassenden Sonderausstellungsfläche des Technoseums.

Große Landesausstellung

Sonderschau zum Thema Arbeit und Migration im Technoseum

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Von der Steinzeit bis zu Biontech

Gut 300 Gegenstände - vom etwa 600 000 Jahre alten Werkzeug des Heidelberg-Menschen bis hin zu den Ampullen des von Özlem Türeci und Ugur Sahin entwickelten Biontech-Coronaimpfstoffs - erzählen Geschichten über die Wanderungsbewegungen von Menschen, letztlich alles „Geschichten von hier“, wie Mahn erläutert. Zum Beispiel die Einrichtung der Eisdiele Venezia der Familie Miraval, die Anne Mahn komplett von der schwäbischen Alb ins Museum holte. Der Familienbetrieb steht sinnbildlich für viele Einwandererbiografien: Die Eltern bauten mit schwerer Arbeit Wohlstand quasi aus dem Nichts auf, die beiden Töchter studieren erfolgreich Pharmazie und Jura.

Dass Mannheims Kurfürst Karl Ludwig einst die Migranten mit Religions- und Zunftfreiheit und einem Bauplatz obendrein in die Stadt lockte, ist ebenso Teil der Einwanderungsgeschichte wie die Schwabengängerei von Kindern aus dem bitterarmen Vorarlberg und Tirol, die bis in die 1920er Jahre hinein zur teils schweren körperlichen Arbeit auf Bauernhöfe im wohlhaben Schwaben geschickt wurden. Italienische Migranten bauten um die Wende zum 20. Jahrhundert in Deutschland Eisenbahnstrecken, und ab 1955 kamen rund 14 Millionen Arbeiter aus Europa und Nordafrika, um die westdeutsche Industrie aufzubauen. Bis zum Stopp des Anwerbeabkommens 1973 gingen etwa elf Millionen Menschen wieder zurück in ihre Heimat, die anderen blieben hier, holten ihre Familien nach und betrachteten Deutschland zunehmend als ihre Heimat. Sie und ihre Kinder erwarben Sprachkenntnisse und Bildung, nahmen mehr und mehr aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, engagierten sich in Gewerkschaften und Politik - alles Voraussetzungen für eine gelingende Integration. Einwanderung in Deutschland ist auch eine Geschichte von Flucht, Vertreibung und Rassismus - ein Aspekt, den Anne Mahn deutlich betont.

Spannendes Begleitprogramm und interaktive Stationen

Die Ausstellung lädt an interaktiven Stationen und digitalen Bilderrahmen zum Mitgestalten ein: so kann man Selbstporträts hochladen oder einen Traktor im Akkord bauen.

Im Begleitprogramm gibt es Kooperationsveranstaltungen unter anderem mit dem Marchivum und dem Deutsch-Türkischen Institut für Arbeit und Bildung.

In Sonderführungen mit Kuratoren und Protagonisten wird das Thema ebenso umfassend behandelt wie in Erzählstunden, Diskussionsrunden und Workshops – unter anderem mit dem Spaghettieis Erfinder Dario Fontanella.

Eintrittspreise, Öffnungszeiten und Veranstaltungsprogramm unter www.technoseum.de

Dass inzwischen jeder sechste Unternehmer im Land ausländische Wurzeln hat, zeigt die wirtschaftliche Bedeutung von Migration auch von dieser Seite: 3,4 Millionen Arbeitsplätze haben diese zum Teil außerordentlich erfolgreichen Unternehmer in Deutschland geschaffen: Bekannte Mannheimer Namen wie Baklan (Suntat) und Fontanella sind hier ebenso zu nennen wie die Impfstoff-Entwickler Biontech. Die Ausstellung, an der mit Anne Mahn auch Projektassistentin Bahdja Maria Fix mitarbeitete, fragt auch danach, wo eigentlich Heimat, Herkunft und Zuhause der Menschen sind, was Fremdheitserlebnisse für die mit ihren Eltern eingewanderten Kinder bedeutet und wie die Kofferkinder dem mehrfachen Anpassungsdruck zwischen hier und da ausgeliefert waren.

Ob Spargelernte, Lieferservice oder Pflegestation - ohne Einwanderung wäre der Arbeitskräftemangel noch größer. Migrantische Arbeit, das bedeutet mitunter auch schlecht bezahlte Jobs am Rande von Scheinselbständigkeit und Schattenwirtschaft: Auch dieser Aspekt bleibt in der mehr als sehenswerten Schau nicht unbeachtet - auch wenn der wechselseitige Nutzen derer die kommen, und derer, die schon da sind, wesentlich vielschichtiger ist. So leistete der mutmaßlich aus Afrika stammende Homo heidelbergensis mit seinem Werkzeug zweifellos einen Technologietransfer. „Wir haben den Deutschen viel geholfen“, so das Fazit einer türkischen Einwanderin. Und: „Die Armut haben wir abgeschüttelt.“ Gut 1,5 Millionen Euro, 800 000 davon vom Land Baden-Württemberg, investierte das Technoseum in die mit rund dreieinhalbjähriger Vorbereitungszeit auch in dieser Hinsicht ungewöhnliche Sonderausstellung.

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