#IchBinArmutsbetroffen

Mannheimer Tafeln am Limit: "Mehr Kunden, weniger Ware"

„Warum kriegt er mehr?“ - Neidische Blicke im Mannheimer Tafelladen: Was die Inflation mit Menschen im Tafelladen macht und was die Lage für Kinder in der Stadt bedeutet

Von 
Lea Seethaler
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Hubert Mitsch packt auf der Rheinau mit an. Unser Bild stammt aus dem Frühjahr diesen Jahres. © Christoph Blüthner

Mannheim. „Wir haben immer mehr Leute da“, sagt Hubert Mitsch, Chef der Mannheimer Tafeln. Da heiße es im Laden schon mal: „Was soll das, warum kriegt der mehr?“, beschreibt Mitsch. Nämlich, „wenn da jemand mit seiner sechs- bis siebenköpfigen Familie in den Laden kommt, weil bei uns wird ja nach Kopf abgemessen“, erklärt er.

„Warum so viel?“, sagten dann die Leute und blickten auf die anderen. Mitsch nennt beim Blick auf die aktuelle Lage im Tafelladen weiter das Problem der Sprachbarriere, welches dabei mitunter an der Ausgabe auftauche.

Rund 50 Prozent der Tafelkunden in Mannheim seien aus der Ukraine, erklärt Mitsch. „Die sind ja in den Hotels und in Familien, aber sie müssen ja auch von etwas leben, gucken, wo sie ihre Lebensmittel herbekommen.“

Mannheimer Tafel: „Mehr Kunden, weniger Ware“

Und das vor allem bei diesen Preisen. Die Inflation zieht weiter an. Preissteigerungen bei Lebensmitteln heißt für die Tafel in Mannheim auch: „Es geht nicht so viel Ware an uns. Wenn die Discounter etwa sehen, Tomaten sind teuer, dann kaufen sie nicht so viel ein“, sagt Mitsch. „Weil eben nicht so viele Leute ihnen die abkaufen werden, dann bestellen sie weniger.“

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Petra Schäfer
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Er erklärt weiter: „Das heißt im Endeffekt aber auch, es bleibt nicht so viel übrig – für uns.“ Normalerweise gehen aber gerade die jetzt von den Preissteigerungen stark betroffenen Lebensmittel an die Tafel.

„Es sind vor allem die Mindesthaltbarkeitsdatum-Waren, Obst und Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern, Milch, Joghurt und so weiter. Aber jetzt heißt es eben: Weniger Reste für uns“, sagt der Tafel-Chef.

Auch Geldspenden kommen bei der Tafel gut an

Die Mannheimer DRK-Tafel hat drei Ausgabestellen: Eine auf der Rheinau, eine in der Neckarstadt und eine auf der Schönau. Gibt es einen Laden, bei dem sich die aktuelle Situation besonders bemerkbar macht?

„Aktuell ist besonders der Tafelladen in der Alphornstraße in der Neckarstadt-West kritisch“, sagt Mitsch. „Er hat fünf Tage geöffnet und bei den Kunden gibt es wegen dem Brennpunkt-Stadtteil Neckarstadt den größten Anteil Hartz-IV-Empfänger.“

Und auch die Tafel selbst ist von der wirtschaftlichen Lage betroffen. „Auch wir haben ja die gestiegenen Betriebskosten, die laufen. Gas-, Ölpreise und so weiter“, beschreibt Mitsch. Was kann jetzt helfen? „Neben Lebensmitteln helfen uns natürlich Geldspenden“, sagt er.

Mannheimer Tafel-Chef: „Denn oft leiden darunter die Kinder“

Und was fordert Mitsch von der Politik? „Wir sind ja keine öffentliche Einrichtung, wir sind eine private Initiative. Aber von den Behörden kommen natürlich die ganzen Hartz-IV-Empfänger zu uns.“ Die Tafeln federten alles ab.

„Die Leute versuchen, hier Geld zu sparen, auch damit sie sich andere Sachen überhaupt leisten können“, sagt Mitsch. „Die Hartz-IV-Sätze reichen nicht aus. Sie gehören erhöht. Denn oft leiden darunter die Kinder“, sagt er. „Meine Beobachtung ist: Die sind die Leidtragenden in den Familien. An ihnen wird gespart.“

Armutsrisiko „alleinerziehend“

Und schon vor Corona und den wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges sah es laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung in Mannheim beim Thema Kinderarmut nicht rosig aus.

Der Anteil der Kinder unter 18 Jahren in Familien im Hartz-IV-Bezug etwa lag im Jahr 2014 bei 21,5 Prozent. Etwas später, 2019, lag er immer noch bei 19,8 Prozent.

Zum Vergleich: In Karlsruhe waren es in beiden Erhebungsjahren rund sechs Prozent. Das Risiko, in Armut zu leben, sei dabei für alleinerziehende Familien in Deutschland von allen Familienformen am höchsten, gibt die Bertelsmann Stiftung weiter an. Frauen seien in besonderer Weise davon betroffen, denn 88 Prozent der Alleinerziehenden seien Mütter.

#IchBinArmutsbetroffen in den Twitter-Trends

Das höhere Armutsrisiko alleinerziehender Familien sei aber „nicht auf mangelnde Erwerbstätigkeit zurückzuführen“: Alleinerziehende Mütter gingen häufiger einer Beschäftigung nach als andere Mütter und arbeiteten öfter in Vollzeit, heißt es von den Studienautoren.

Spendemöglichkeit und Infos zur Tafel

  • Spende- und Unterstützungsmöglichkeiten für die Tafel im Netz unter www.drk-mannheim.de/angebote/tafel-und-second-hand/tafel.html (auch Online-Spenden)
  • Spendenkonto: DRK-Kreisverband Mannheim e.V., Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE82370205000005367800, BIC: BFSWDE33XXX
  • Ziel der Tafeln ist es nach eigenen Angaben, dass alle qualitativ einwandfreien Nahrungsmittel, die im Wirtschaftsprozess nicht mehr verwendet werden können, an Bedürftige verteilt werden.
  • Die Tafeln Mannheim (Neckarstadt, Alphornstraße 8; Rheinau, Plankstadter Straße 28; Schönau, Rastenburgerstraße 43), Hockenheim, Schriesheim und Edingen-Neckarhausen sind in Trägerschaft des Kreisverbandes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mannheim

Auf Twitter haben sich indes seit Frühjahr 2022 immer mehr User unter der Verschlagwortung #IchBinArmutsbetroffen dazu bekannt, dass sie sich die einfachsten Dinge und Lebensmittel nicht mehr leisten können – und in Armut leben.

Bon gefunden, Milch gesichert

Unter dieser Verschlagwortung berichtet etwa eine Alleinerziehende, dass sie nun in Ausbildung sei – und trotzdem arm. Oder eine Studentin, dass sie an der der Uni schief angeguckt wurde, als sie sagte, dass sie für etwas kein Geld habe – und dann ein „Frag doch deine Eltern“ zu hören bekam.

Manchmal muss man auch Glück haben. #IchBinArmutsbetroffen
Vater mit zwei Kindern auf Twitter

Zudem berichten Menschen, die Armut bei anderen bemerkten: Etwa ein User, der erzählt, einem Rentner am Sportplatz stets Eintritt und Grillwurst auszugeben. Weil dieser es sich einfach nicht leisten könne – und der betroffene Mann habe sich dann sehr schlecht gefühlt, das Angebot anzunehmen, so der User.

Einer aktueller Tweet, abgesetzt im September von einem Vater mit zwei Kindern, lautet: „Heute war ein recht guter Tag zum Ende hin. Habe 1 Euro an Pfand gefunden und 1 Euro steckte noch im Einkaufswagen. Erstmal 2 Liter Milch davon gekauft. Die Kids freuen sich auf Cornflakes mit Milch. Manchmal muss man auch Glück haben. #IchBinArmutsbetroffen.“

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Redaktion Redakteurin und Online-Koordinatorin der Mannheimer Lokalredaktion

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