Stadtgeschichte - Marchivum und Heinrich-Vetter-Stiftung wollen Schülern das wahre Leben des Blumepeter vermitteln – auch als Warnung für heute

Mannheimer Stadthistorie: Wahre Geschichte des Blumenpeters wird vermittelt

Von 
Peter W. Ragge
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Peter Schäfer, bekannt als Blumepeter, kurz nach seiner Ankunft in der Kreispflegeanstalt Wiesloch im November 1929. © Marchivum

Blumepeterfest

  • Das Blumepeterfest wird vom Feuerio, Mannheims größter und ältester Karnevalsgesellschaft, ausgerichtet – seit 1967.
  • Der „MM“ stiftete 1966, als er 20 Jahre alt wurde, der Stadt und ihren Bürgern einen Brunnen und dazu eine Skulptur von Gerd Dehof – den Blumepeter, der heute auf den Kapuzinerplanken steht.
  • Zur Einweihung des Denkmals gab es ein Fest, im Jahr darauf wieder – das „Blumepeterfest“. Gewidmet ist es Menschen wie ihm – armen, alten und kranken Menschen auf der Schattenseite des Lebens. Ihnen kommt über die „MM“-Aktion „Wir wollen helfen“ der Erlös zugute. 

Sie hat „ganz schlecht geschlafen“, bekennt Antje Geiter. „Ich hatte ihn als Witze erzählenden, fröhlichen Menschen im Kopf“, denkt sie an ihr bisheriges Bild vom Blumepeter, dem Blumenverkäufer und Mannheimer Original Peter Schäfer, zurück. Doch nach einem Besuch in „Blume Peter“, der neuen Eigenproduktion vom Capitol, erfuhr sie die nicht unbekannte, aber doch oft verdrängte, traurige Wahrheit über jenen Menschen, der nie einen der vielen ihm zugeschriebenen Witze wirklich erzählt hat und dessen Leben 1940 in der Psychiatrie endete. Die Heinrich-Vetter-Stiftung ergriff daher die Initiative, dass das viel mehr Menschen erfahren.

Das Stück vom Capitol zeigt das Leben des 1875 geborenen Peter Schäfer, der behindert war und erst lange nach seinem Tod als lustiges Original glorifiziert wurde. Er litt unter frühkindlichem Kretinismus, ausgelöst durch eine Unterfunktion der Schilddrüse, wurde gehänselt, verlacht, in Varietes und Fasnacht instrumentalisiert, wandelte sich vom lustigen Kerl zum jähzornigen Exhibitionisten und Psychiatrieinsassen. „Ich dachte: Das müssen mehr Leute wissen, vor allem Schüler“, so Antje Geiter.

Marchivum will historische Themen vermitteln

Sie leitet den ideellen Bereich der Heinrich-Vetter-Stiftung und versucht in dieser Funktion schon lange, nicht nur an die Stiftung herangetragene Projekte zu fördern, sondern auch selbst etwas zu initiieren. „Wir wollen nicht nur Geld geben“, so Geiter, „sondern gerade im Bereich Bildung auch etwas anstoßen“. Und da schien ihr passend, nun eine besondere Art der Vergangen- heitsbewältigung anzustoßen – zumal wegen der aktuellen Bezüge: „Der Umgang der Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung ist ja auch heute noch manchmal sehr problematisch“, meint sie.

Beim Marchivum rannte sie mit dem Vorschlag eines Schulprojekts zum Blumepeter sofort offene Türen ein. „Sonst sind wir an die Vetter-Stiftung mit Wünschen herangetreten – aber nun haben wir den Gedanken gerne sofort aufgegriffen“, so Ulrich Nieß, Direktor des Marchivums. Schließlich passte es auch da zu seinem Ansinnen, neben der Archivfunktion verstärkt historische Themen zu vermitteln, gerade auch für Kinder und Jugendliche.

Der Blumepeter sei damals wie heute „eine stadtbekannte Symbolfigur und damit ein echtes Stück Stadtgeschichte“, so Nieß, aber auch „ein erstaunlicher Mythos“. Zunächst zum Original hochstilisiert, habe er nach der Einweisung ins Kreispflegeheim Weinheim 1919 und dann 1929 in die Psychiatrie nach Wiesloch wegen seines hohen Bekanntheitsgrads in Mannheim dort eine Sonderrolle und nach seinem Tod 1940 sogar ein eigenes, bis heute noch auf dem Klinikgelände bestehendes Grab erhalten.

Wie er genau umgekommen ist, weiß man nicht, „und das wird auch immer ein Stück weit im Dunklen bleiben“, so Nieß. Aber klar ist, dass die Nationalsozialisten zu jener Zeit die Insassen psychiatrischer Anstalten und andere Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung als „Volksschädlinge“ ab 1940 durch das Euthanasieprogramm systematisch töten ließen. Ob der Blumepeter dem durch einen natürlichen Tod 1940 – offiziell wegen Herzinsuffizienz – entging oder ob man in Wiesloch „nachgeholfen“ hatte, lässt sich aus den Akten nicht klären.

Aber was man weiß, ist die laut Nieß „erschreckend hohe Zahl“ an Euthanasieopfern in Mannheim – mindestens 1040. Lea Oberländer hat das in ihrer vom Marchivum – unter anderem mit Hilfe der Vetter-Stiftung – veröffentlichten Studie „Mannheims verdrängte Opfer“ erstmals offengelegt. Ausführlich arbeitete sie die bedrückende Geschichte behinderter und psychisch kranker Menschen vor, während und nach der NS-Zeit in Mannheim auf, darunter die oft schwierige Haltung von Angehörigen und der Kirchen sowie die Beteiligung von Ärzten, die Todesursachen bewusst fälschten. Sie gab vielen Opfern einen Namen und belegte, dass die Stadt zwar nicht direkt Tatort systematischer Tötungen war, diese aber nicht nur duldete, sondern „Akteurin im System der Verbrechen“ wurde, so Oberländer. Und sie beschrieb, wie die Stadt ihre Rolle bei Deportationen zu den Massenmorden nach der Diktatur verschleierte.

Zusammenhang zur Geschichte

Nieß sieht eine große Chance, anhand des populären Blumepeter „dieses sensible wie erschreckende Thema zu vermitteln“. Sara Anil, im Marchivum für Bildung und Vermittlung zuständig, hat dazu ein Konzept entwickelt. Basis ist ein 20-seitiges, optisch sehr ansprechend aufbereitetes Arbeitsheft, das über QR-Codes weitere Quellen, Film- und Tondokumente erschließt.

Es baut auf den Recherchen des SWR-Journalisten Eberhard Reuß, der schon mehrere Bücher zu Peter Schäfer veröffentlichte, und Erkenntnissen vom Marchivum auf. Sara Anil hat aber auch den gesellschaftlich-historischen Zusammenhang zum Aufschwung Mannheims nach der Jahrhundertwende, zur schwierigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und dann zur Diktatur hergestellt. Anhand des Hefts können Schüler und Lehrer das Thema bearbeiten, aber auch ein Workshop-Konzept für Besuche im Marchivum gibt es. „Mir war wichtig, den Gegenwartsbezug herzustellen – denn Diskriminierung, Ausgrenzung und Mobbing kennen und erleben Schüler ja auch heute“, so Anil.

Die Vetter-Stiftung organisierte zudem mehrere Schulprojekte, bei denen die Schüler das Musical im Capitol besuchen, den SWR-Film von Reuss schauen, mit Senioren über die Zeit der Diktatur ebenso wie mit Capitol-Darstellern sprechen und sich das Thema erschließen. Die Workshops zu dem Thema können Schulen künftig beim Marchivum buchen, das Heft kostenfrei bestellen. „Eine super Idee“ findet Capitol-Chef Thorsten Riehle dieses Engagement von Vetter-Stiftung und Marchivum. Er sei froh, dass es damit gelungen sei, „mit einem Theaterstück ein gesellschaftliches Denken anzustoßen“. Bei „Blume Peter“ gehe es dem Capitol wie auch bei den beiden anderen Mannheim-Musicals zu Karl Drais und Seppl Herberger darum, neben der Unterhaltung „Mehrwert zu bieten“ und Stadtgeschichte zu reflektieren. Peter Schäfer sei eben „in Wirklichkeit nicht der gewesen, für den er oft gehalten wird und wozu er in der Nachkriegsgeschichte gemacht wurde“, betonte Riehle. Und dieses Thema sowie den Umgang mit Minderheiten und Behinderten, aber auch das Leid von ihren Angehörigen habe das Capitol damit aufgreifen und zum Nachdenken anregen wollen.

Redaktion Chefreporter

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