Mannheim. Auch wenn man jetzt langsam wieder reisen darf – wer sich wegen der Corona-Pandemie noch nicht traut, keine Zeit oder kein Geld hat, dem bieten die Reiss-Engelhorn-Museen zwei Alternativen. Die Sonderausstellung „In 80 Bildern um die Welt“ mit Reisefotografien aus dem 19. und 20. Jahrhundert im Museum Zeughaus ist nicht nur verlängert worden, es erschien dazu nun auch ein Katalog mit allen Aufnahmen.
„Eine genussvolle Reisealternative“, meint Generaldirektor Wilfried Rosendahl, ob man nun die Publikation auf dem heimischen Sofa zur Hand nimmt oder durch das Zeughaus schlendert. Umweltfreundlich und entschleunigend ist es in jedem Falle, statt der Tour durch die Kontinente jene Fotos zu betrachten, die überwiegend aus den reichen Sammlungen des Forums Internationale Photographie der Reiss-Engelhorn-Museen stammen und größtenteils erstmals zu sehen sind.
Ausstellung und Katalog
- Die Ausstellung „In 80 Bildern um die Welt“ ist im Forum Internationale Photographie im Museum Zeughaus der Reiss-Engelhorn-Museen bis 4. Juli dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr zu sehen.
- Der 128-Seiten umfassende Katalog ist im Nünnerich-Asmus Verlag erschienen. Das Buch ist an der Kasse im Museum Zeughaus zum Sonderpreis von 22,95 Euro erhältlich.
- Alle digitalen Angebote gibt es auf der Museumswebseite unter www.digital.rem-mannheim.de
Besonders faszinierend sind die historischen Reisefotografien aus der Sammlung der Geschwister Reiß. Mehr als 4000 Abzüge auf hauchdünnem Albuminpapier, die Wilhelm, Carl und Anna Reiß von ihren zahlreichen Touren mitgebracht haben, befinden sich in den Depots des Hauses. Die bekannte Unternehmer- und Stifterfamilie zählte zu jenen wenigen betuchten Europäern, die sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgedehnte Touren rund um den Globus leisten konnten. Faszinierend und exotisch wirkt, was sie an Aufnahmen aus Rom, vom Golf von Neapel, den Pyramiden in Ägypten, aus dem Heiligen Land oder dem Berg Fuji in Japan mitgebracht haben.
Gefahren der Manipulation
Dabei haben die Reisenden aus der Schicht des gehobenen Bürgertums seinerzeit nicht selbst zum Apparat gegriffen – die Geräte waren ja auch viel zu groß und zu unhandlich. Sie sicherten sich vielmehr die Dienste von örtlichen Fotografen und Ateliers oder kauften einfach, wie die Geschwister Reiß, vor Ort Aufnahmen als Souvenirs – teils handkoloriert. Welch ein Kontrast zu heute, wo jeder jederzeit mit Smartphone und teilweise Selfiestick knipst und viele dieser Bilder sofort in sozialen Netzwerken zeigt.
Diesen Wandel von der Glasplattenfotografie über die analoge Epoche bis zu Bilderflut im Internet stellt Claude W. Sui, der Leiter des Forums Internationale Fotografie, in einem lesenswerten Beitrag zu dem Katalog dar. Dabei beleuchtet er auch Gefahren der leichten Manipulation elektronischer Aufnahmen oder die Möglichkeiten der Virtual Reality Technologie, mit denen man Reiseziele oder Kreuzfahrtschiffe virtuell begehen kann. „Der Grand Canyon und der Mount Everest können dank dazugehöriger App in Hauspantoffeln und im Morgenmantel bereist werden“, merkt Sui kritisch an.
In der Ausstellung und im Buch stellt Sui die Arbeiten der ganz frühen Fotopioniere aus dem 19. Jahrhundert den neuzeitlichen Bildikonen wie den um die Welt reisenden legendären Stern-Fotoreportern, der FAZ-Fotografin Barbara Klemm, dem berühmten Helmut Gernsheim oder dem aus Mannheim stammenden ersten Hasselblad-Preisträger Robert Häusser (1924-2013) gegenüber, dessen Werk auch im Besitz des Museums ist. Zu sehen sind Sehnsuchtsorte wie der indische Taj Mahal, der Kaiserpalast in Tokio, der Blick auf Neapel mit dem Vesuv, der schiefe Turm von Pisa, oder der Ölberg von Jerusalem und die Pyramiden von Ägypten, aber auch beliebte Ziele vor der Haustür wie der Trifels oder das Heidelberger Schloss.
Dabei gelingt Sui und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Stephanie Herrmann durch „stilsicheres Kuratieren“ eine „einzigartige Werkauswahl“, wie Wilfried Rosendahl lobt. Ihm bedeutet das Buch viel, schließlich ist es die erste Publikation in seiner Amtszeit als neuer Generaldirektor, und er dankt besonders dem von Hans-Jürgen Buderer und Michael Kost geführten Fördererkreis, der es ermöglichte.
Zur Ausstellung und dem Katalog gibt es eine ganze Palette an digitalen Angeboten. Bei einem 360-Grad-Rundgang können Online-Besucher die Ausstellungsräume erkunden. Zwei neue Videos und ein Audio-Podcast der Reihe „Culture after Work“ widmen sich dem Thema Fotografie und Entschleunigung in rastlosen Zeiten.
Im Gespräch mit Moderator Norman Schäfer geht Kurator Claude W. Sui darauf ein, inwiefern sich die damalige Beschleunigung und Technisierung des Lebens auf das fotografische und künstlerische Schaffen auswirkte. Sie sprechen über aktuelle Phänomene wie Rastlosigkeit, den flüchtigen Umgang mit Fotos inmitten einer nie da gewesenen Bilderflut sowie darüber, wie Museen durch die Beschäftigung mit Kunst und analoger Fotografie für mehr Achtsamkeit und innere Ruhe sorgen können.
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