Mannheim. Der Paragraf sichert die Meinungs- und Pressefreiheit, in Zeiten von Fake News, Hassnachrichten und Bedrohungen ist Artikel 5 des Grundgesetzes aber immer wieder Gegenstand von Debatten: Über die Frage, ob Meinungsfreiheit neu gedacht werden muss, haben Mannheimer Schüler auf Einladung des Deutsch-Türkischen Instituts für Arbeit und Bildung (DTI) am Tag des Grundgesetzes mit den Mannheimer Bundestagsabgeordneten Melis Sekmen (Grüne), Gökay Akbulut (Linke), Isabel Cademartori (SPD) und Konrad Stockmeier (FDP) in der Stadtbibliothek diskutiert. Karsten Kammholz, Chefredakteur des „Mannheimer Morgen“, und Yilmaz Holtz-Ersahin, Leiter der Stadtbibliothek, sprachen über die Fallstricke der Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit als Basis der journalistischen Arbeit bedeute, eine Wächterfunktion gegenüber der Politik und der Wirtschaft einzunehmen und nicht den Mächtigen zu dienen, erklärte Kammholz den Schülern. „Wir stellen Öffentlichkeit her. Wenn wir Missstände sehen, berichten wir darüber. Aber wir sollten keine Skandale herbeischreiben, wo keine sind. Ohne Glaubwürdigkeit wären wir verloren.“ Allerdings würden die Rechte der Meinungs- und Pressefreiheit missbraucht, um die Stimmung mit Falschinformationen und Hass zu vergiften. Es sei deshalb berechtigt, die Gegenwartsbezogenheit von Artikel 5 zu hinterfragen.
Bibliothek ist Ort der Demokratie
Als problematische Wirkung der Sozialen Medien nannte Kammholz den sogenannten „Information Overload“: Es sei bei der großen Informationsflut schwierig, Relevantes von Unbedeutendem zu unterscheiden. „Jeden Tag geistern Fake News durchs Netz. Jeden Tag werden strafrechtlich relevante Inhalte in den Sozialen Netzwerken platziert. Absichtlich“, sagte Kammholz. Doch sogar von den nachweislichen Lügen bleibe bei den Menschen etwas hängen, wenn nur die Reichweite groß genug sei.
Auch in der Stadtbibliothek sei die Frage nach der Meinungsfreiheit allgegenwärtig, sagte Holtz-Ersahin. Schließlich sei eine Bibliothek ein Ort der Demokratie, an dem allen Menschen Zugang zur Welt des Wissens angeboten werden müsse. Gleichzeitig hätten manche Bücher menschenfeindliche Ansätze, sagte er etwa mit Blick auf Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“. „Haben wir das Recht, Bücher zu zensieren?“, fragte er. In der Stadtbibliothek gebe es keine Zensur, dafür aber Kolleginnen mit großer Medienkompetenz und somit eine Handreichung, diese Bücher einzuordnen.
"Türkei ist keine Demokratie"
In der Diskussion wollten die Schülerinnen von den Mannheimer Abgeordneten wissen, ob sie gegen die Meinungsfreiheit in Bezug auf Hasskommentare seien und mit welchen Maßnahmen man gegen Beleidigungen und Bedrohungen im Netz vorgehen könne. „Es gelten dieselben Grenzen wie im realen Leben, egal, wo die Debatte stattfindet“, sagte Cademartori. Ein Gesetz, dass rechtswidrige Äußerungen gelöscht werden müssen, gebe es bereits. Es fehle indes an Personal, das auch tatsächlich vor Gericht durchzusetzen. Auf die Situation von Politikern und Journalisten in der Türkei angesprochen sagte die SPD-Abgeordnete, dort brauche man die Anonymität, um überhaupt seine Meinung sagen zu können. „Die Türkei ist aber keine Demokratie nach unseren Maßstäben.“
Es sei eine politische Aufgabe, Hetze im Netz zu kontrollieren, antwortete Sekmen. Als großes Problem beleidigender Kommentare bezeichnete sie die Anonymität, hinter der sich Hetzer im Netz verstecken könnten. Stockmeier hingegen sieht die Klarnamen-Pflicht skeptisch. „Häufig stecken hinter solchen Kommentaren unechte Profile. Bei einer Klarnamen-Pflicht äußern diese Leute ihre Meinung gar nicht, und ich hätte keine Möglichkeit, darauf zu reagieren.“
Auf die Frage, ob die Demokratie durch Youtuber wie den Influencer Rezo gefährdet würde, antwortete Sekmen: „Rezo ist ein Guter. Aber bei Influencern besteht immer auch die Gefahr, nicht zu wissen, woher er die Informationen hat und ob er sie geprüft hat.“ Das sei vielmehr Aufgabe von Journalisten, die wichtig für die Meinungsbildung vor Ort seien. Akbulut bestätigte Influencern einen Beitrag zur Meinungsbildung, es komme aber darauf an, wie sie versuchen würden, Politik zu beeinflussen. Stockmeier sieht in Influencern keine Gefährdung der Demokratie. Er appellierte indes an die Schüler, ein Gefühl für eine gut recherchierte Information zu entwickeln.
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