Mannheim. Nach dem Wort „Such“ vergehen nur Sekunden, schon bellt Lina. „Anzeige“, ruft Mark Paluch, denn Lina hat blitzschnell eine hinter großen Aluminiumteilen kauernde Person entdeckt. Gleich darauf rennt der schwarz-weiße Border Collie wieder los, schließlich werden noch zwei weitere Personen irgendwo in dieser dunklen Halle vermisst, und Lina von der Rettungshundestaffel des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) soll sie finden – und findet sie auch.
Ein kleiner Umweg aber muss und darf sein. Schwanzwedelnd und bellend begrüßt Lina zwischendurch ganz schnell Nestor, den Hund von Michael Schnellbach, dem Geschäftsführer der Bundesgartenschau, und rennt wieder in die Halle. „Sie müssen auch gewohnt sein, andere Hunde wahrzunehmen und doch weiterzuarbeiten“, sagt dazu Gerd Teynor, der Leiter der Rettungshundestaffel des DRK.
Zahl der Einsätze steig
Er ist Schnellbach dankbar, dass er ihn mit 20 Teams, die aus je einem Rettungshund und einem Hundeführer bestehen, auf dem weitläufigen Areal der Bundesgartenschau 2023 üben lässt. Das riesige Gelände mit Schuttbergen und Hallen, die ganz oder teilweise abgebrochen werden, sei „sensationell“ gut geeignet, schwärmt er.
Solche Übungen seien zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit auch in Zeiten der Corona-Pandemie unverzichtbar – aber immer schwieriger. In Wäldern etwa dürften die Rettungshunde kaum noch üben, weil das Wild seit dem Corona-Ausbruch schon durch den deutlich stärker gewordenen Andrang von Spaziergängern oft genug aufgescheucht werde. Umso wichtiger sei, wenn man bei Baufirmen wie Diringer & Scheidel oder der Bundesgartenschau aufs Gelände dürfe.
Schließlich „verschwinden pro Jahr bundesweit 100 000 Menschen, bei denen man davon ausgehen muss, dass sie an Leib und Leben bedroht sind“, so Teynor. Das könnten Unglücke ebenso sein wie Wanderer, die sich verlaufen haben, oder verwirrte und orientierungslose, an Alzheimer oder Demenz erkrankte Personen. Zunächst suche die Polizei mit Streifenwagen, aber immer öfter geht bei den Mitgliedern der Rettungshundestaffel der Piepser. Waren es früher meist um die 30 Einsätze im Jahr, seien sie zuletzt auf über 70 pro Jahr gestiegen, „also im Schnitt öfter als einmal in der Woche“, verdeutlicht Teynor. Und da die nordbadischen Rettungshundestaffeln kooperieren, helfe man sich gegenseitig. Die Mannheimer Spezialhunde sind aber meist in der Stadt oder irgendwo zwischen Laudenbach und Altlußheim unterwegs – besonders oft, wenn Heime ältere Menschen als vermisst melden.
Etwa kürzlich, als ein Heim in der Neckarstadt glaubte, ein Mann sei nicht von einem Ausflug zurückgekehrt – tatsächlich war er im Haus herumgeirrt und im Heizungskeller gestürzt. „Der Hand hatte ihn in fünf Minuten“, so Teynor. Selbst eine Fläche von mehreren hundert Quadratmetern schaffe ein gut trainierter Hund in acht bis zehn Minuten, so der Leiter der Staffel stolz – was deutlich billiger sei als die Suche mit einer Polizei-Hundertschaft oder gar einem Hubschrauber, aber leider dennoch nicht von Krankenkassen finanziert werde, wie er bedauert.
Rettungshundestaffel
- Der 1905 gegründete Ortsverein Feudenheim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) ist seit 2015 Heimat der Rettungshundestaffel des DRK- Kreisverbands Mannheim. Stützpunkt und Standort der zwei Fahrzeuge ist das DRK-Haus auf der Maulbeerinsel.
- Die Alarmierung der Hundestaffel erfolgt über die Integrierte Leitstelle.
- Derzeit hat die Staffel 28 Mitglieder, die sich alle ehrenamtlich engagieren und keine Vergütung für Übungen oder Einsätze erhalten. Auch die Verpflegung der Rettungshunde zahlt jeder Hundeführer selbst. Die Hunde sind Familienmitglied.
- Die Ausbildung zum Rettungshund dauert zwei bis vier Jahre. Der Hund darf bei seiner ersten Prüfung nicht älter als sechs Jahre sein. Alle zwei Jahre erfolgt eine erneute Prüfung.
- Auch der Hundeführer muss in dieser Zeit eine Sanitätsdienstausbildung absolvieren, Karten- und Kompasskunde, Einsatztaktik, Trümmerkunde sowie Erste Hilfe am Hund erlernen.
Doch wenn es ums Riechen geht, seien Hunde den Menschen eben enorm überlegen, rechnet Gerd Teynor vor. So habe ein Mensch zwei bis drei, ein Hund dagegen 300 Quadratzentimeter Riechfläche. Und während sich beim Menschen sechs Prozent des Gehirns mit dem Riechen befassen, sind es bei Hunden 20 Prozent. Lisa entdeckt daher selbst einen tief hinter einem Mauervorsprung verborgenen Helfer. „Dann läuft er eben außen herum“, erläutert Teynor. Wichtig sei, dass die Hunde nur bellen, die aufgefundenen Personen nicht berühren. Alle Hundeführer haben eine Sanitätsausbildung, um bei Verletzungen sofort helfen zu können.
Doch zunächst bekommt jetzt Jack, ein Australian Shepherd, von seiner Hundeführerin Bettina Müller einen Handschuh vorgehalten – und schon weiß er: Nun muss er den Menschen, dem dieser Gegenstand gehört, suchen. Jack ist ein sogenannter Mantrailer-Hund, der anhand eines Geruchsträgers – beispielsweise ein Kleidungsstück – die Spur der Person vom letzten bekannten Aufenthaltsort aus verfolgt, bis sie ihn aufstöbert. Und sei es in einem weit entfernten Keller irgendwo in den Weiten von Spinelli. . .
Eine Geheimrezeptur
Anders dagegen Cooper. Der siebenjährige schwarze Flat-Coated Retriever hat eine Ausbildung als Flächensuchhund und ist spezialisiert auf unübersichtliches, unwegsames Gelände, das er selbstständig durchstöbert. „Die nehmen Witterung mit der Nase auf und laufen frei“, so Teynor. Wenn der Hundeführer ihm die Kenndecke mit dem Emblem vom Roten Kreuz anlegt, dann weiß er: Jetzt ist es kein Spiel, sondern Ernst. Doch ob auf oder hinter Schuttbergen oder in Kellern – auch er wird schnell fündig und bellt dann.
Dass ihm der Hundeführer danach eine Plastikdose hinhält und er darin nach Herzenslust lecken darf, gehört zum Spiel – es ist die Belohnung. Cooper mag Pfälzer Leberwurst, Lina dagegen Geflügelcreme. „Da hat jeder Hundeführer so seine Geheimrezeptur – ob Thunfisch oder Wurst, was sie eben am Liebsten mögen“, verrät Teynor. Entscheidend sei, dass es nach erfolgreicher Suche eine Belohnung gebe.
Die bleibt bei den Hundeführern aus – sie erhalten kein Geld für ihre Einsätze, es ist einfach ein besonderes Hobby. „Aber viele machen es eben, weil sie mit ihrem Hund etwas Sinnvolles tun wollen, wovon andere Menschen im Alltag etwas haben“, so Teynor. Sogar Ausrüstungsgegenstände finanzieren sie selbst oder über Spenden.
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