Berlin/Mannheim. Große Ehre für den Mannheimer Klaus Schirdewahn: Der 75-Jährige sprach beim internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts am Freitag der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag. Zum ersten Mal gedachte das Hohe Haus dabei auch den Opfern sexueller Minderheiten, die noch lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Bundesrepublik Repressalien durch die Verschärfung des Homosexualität-Gesetzes durch die Nationalsozialisten ausgesetzt waren.
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Auf Vorschlag der Magnus-Hirschfeld-Stiftung in Berlin war Schirdewahn von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) als Redner für den Gedenktag eingeladen worden. „Je näher der Tag gekommen ist, umso aufgeregter war ich“, gesteht der Queer-Aktivist im Gespräch mit dieser Redaktion. Er sei zwar für die Belange von queeren Menschen aktiv, etwa als Leiter der schwulen Seniorengruppe „Gay und Grey“ , und ergreife dabei auch das Wort. Aber: „So eine große Rede habe ich noch nie gehalten.“
Angeklagt wegen Homosexualität
Warum der Mannheimer, der 1947 zwei Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur zur Welt kam, überhaupt als Redner eingeladen worden ist, hat viel mit dem Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, dem langjährigen Verbot der Homosexualität, zu tun. Als 17-Jähriger wurde er 1964 „von der Staatsanwaltschaft in Rheinland-Pfalz angeklagt und daraufhin schuldig gesprochen - schuldig wegen meiner Gefühle für einen anderen Mann“, wie er in seiner Rede betont.
Sexuelle Orientierung verheimlicht
Dieser Paragraf war 1935 von den Nationalsozialisten verschärft worden - und diese verschärfte Fassung galt in der Bundesrepublik noch bis 1969: „Für uns war das Dritte Reich noch nicht zu Ende“, zitierte der Mannheimer den Historiker Hans-Joachim Schoeps. Erst 2002 hob der Bundestag die während der NS-Zeit ergangenen Urteile auf, im Juli 2017 dann auch die Urteile, die nach 1945 ergangen waren: „Bis vor fünf Jahren galt ich als vorbestraft“, sagte Schirdewahn. Nur durch die Teilnahme an einer Therapie konnte er 1964 eine Gefängnisstrafe abwenden. Danach verheimlichte er viele Jahre seine sexuelle Orientierung. Der damalige 21-jährige Mitangeklagte, so erinnerte Schirdewahn, wurde gar zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt.
Mit ihm habe ich auch an meiner Rede gefeilt.
Dass er überhaupt als Redner für den Gedenktag vorgeschlagen worden ist, verdankt er Daniel Baranowski von der Magnus-Hischfeld-Stiftung. 2017 hatte Schirdewahn der Stiftung ein „Interview der anderen Art“ über die Lebensgeschichte von schwulen Männern gegeben. Seither sei der Kontakt nicht mehr abgebrochen. Baranowski fragte den 75-Jährigen, ob es ihm recht sei, wenn er ihn als Redner für den Holocaust-Gedenktag vorschlagen würde. Nach kurzer Bedenkzeit sagte dieser zu: „Mit ihm habe ich auch an meiner Rede gefeilt“, betont Schirdewahn.
Überwältigende Resonanz
Der Gedenktag sei minutiös durchorchestriert gewesen: „Es war alles genau vorgeschrieben, sehr aufregend“, betont der 75-Jährige. Bereits am Mittwochabend habe es eine Mikrofonprobe und eine Besprechung im Bundestag gegeben. Am Donnerstag seien alle an der Gedenkstunde beteiligten Personen zu einem gemeinsamen Mittagessen mit Bärbel Bas eingeladen gewesen - darunter neben der Holocaust-Überlebenden Rozette Kats auch die Schauspielerin Maren Kroymann und der Schauspieler Jannik Schürmann, die während der Gedenkstunde zwei Lebensgeschichten vortrugen, die exemplarisch für die Verfolgung von sexuellen Minderheiten in der NS-Zeit standen. „Die Berichte von Rozette Kats und Klaus Schirdewahn haben zutiefst das Unrecht benannt und gezeigt, dass Opfergruppen nicht gewichtet oder gegeneinander ausgespielt werden dürfen“, schrieb Maren Kroymann später auf Facebook.
„Bis ich nach vorne gegangen bin, war ich noch sehr angespannt“, blickt Schirdewahn zurück. Er habe sich gesagt, dass er nicht für sich rede, „sondern für die queere Community“. Das habe ihm geholfen. „Jetzt bin ich dankbar, dass ich das machen durfte.“ Überhaupt sei die Resonanz auf seinen Beitrag überwältigend gewesen: „Es gab viel Zuspruch von allen, die dabei gewesen sind. Das macht etwas mit einem.“ Auch Freunde, Bekannte und Verwandte hätten sich gemeldet und ihm zu seiner Rede gratuliert.
„Die Gedenkstunde gibt den Betroffenen etwas von ihrer Würde zurück. Dass ich hier sprechen darf, ist noch nicht selbstverständlich“, sagte Schirdewahn zum Abschluss seiner Rede. Auch wenn schon viel erreicht sei, so betont er im Gespräch mit dieser Redaktion, müsse in Teilen der Gesellschaft noch immer Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit geleistet werden. Das hat er auch im Bundestag ausgemacht: „Die Plätze bei der AfD waren spärlich besetzt“. So waren laut Protokoll auch nur 27 der insgesamt 78 rechten Parlamentarier zur Gedenkstunde in den Plenarsaal gekommen. Sie seien zwar nach der Rede auch aufgestanden, hätten aber als einzige nicht geklatscht.
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