Das Wichtigste in Kürze
- Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz hofft, dass sich die Corona-Situation bis Sommer entspannt. Dabei zählt er auf das Impfen und das regelmäßige Testen.
- Kurz hält den Strategiewechsel, der bei den Bund-Länder-Beratungen getroffen wurde, für richtig. Kritisch sieht er allerdings, die Inzidenz als einzigen Maßstab hinzuzuziehen. Wichtig sei die Situation in den Krankenhäusern.
- Kurz sieht eine nächtliche Ausgangssperre in der jetzigen Situation für rechtlich sehr problematisch an. Man könne nicht teilweise öffnen und gleichzeitig verbieten, nach 21 Uhr aus dem Haus zu gehen.
Trotz der deutlich gestiegenen Corona-Zahlen in Mannheim ist eine erneute nächtliche Ausgangssperre laut Oberbürgermeister Peter Kurz sehr unwahrscheinlich. Er halte eine derzeitige Maßnahme für rechtlich sehr problematisch, sagt er im Interview.
Herr Oberbürgermeister, es ist jetzt ein Jahr her, dass Corona erstmals in Mannheim aufgetreten ist. Wie sind Sie persönlich bisher durch diese Pandemie gekommen?
Peter Kurz: Mit ganz unterschiedlichen Gefühlslagen: Am Anfang die große Unsicherheit, was da auf uns zukommt, dazu die entsprechende Arbeitsbelastung, dann Erleichterung und Hoffnung im Sommer, alles würde glimpflich ablaufen. Doch im Herbst kam dann die zweite Welle, verbunden mit neuer Anspannung und Unsicherheiten, die ja leider nach wie vor andauern.
Haben Sie da bei sich irgendwas verändert zwischendurch? Manche räumen ja zum Entspannen einfach mal den Keller um.
Kurz: Ich bin schon kurz vor Corona aufs Fahrrad umgestiegen, den Dienstwagen habe ich 2020 kaum genutzt.
Wie weit radeln Sie da täglich?
Kurz: Zum Rathaus und zurück etwa zehn Kilometer. Und dienstliche Termine zwischendurch gibt es in der Pandemie ja nicht viele, da kommen nur jeden zweiten Tag etwa fünf bis 15 Kilometer hinzu. Aber die Fahrten tun mir auf alle Fälle gut, ebenso im Homeoffice abends zwar nicht weniger arbeiten zu müssen, aber näher bei der Familie zu sein.
Zur Bewältigung der Pandemie äußern sich etliche Experten. Wer ist Ihr Favorit?
Kurz: Schwer zu sagen. Zum Verständnis ist es sinnvoll, allen zuzuhören. Nach anfänglicher Irritation über seine Positionen habe ich über die Zeit bei Karl Lauterbach wahrgenommen, dass seine Hinweise sehr aufschlussreich und differenzierter sind, als sie in der Öffentlichkeit manchmal ankommen.
"Meine Hoffnung und Erwartung ist aber schon, dass sich die Situation bis Sommer deutlich entspannt."
Der SPD-Gesundheitsexperte prognostizierte zum Jahreswechsel: „Das wird ein super Sommer!“ Sind Sie da noch seiner Meinung?
Kurz: Wir alle mussten lernen, mit solchen Prognosen lieber zurückhaltend zu sein. Meine Hoffnung und Erwartung ist aber schon, dass sich die Situation bis Sommer deutlich entspannt. Das wird neben dem Impfen vor allen Dingen in den nächsten Wochen entscheidend vom konsequenten, regelmäßigen Testen vor allem in Schulen und Betrieben abhängen. Dort erreichen wir einen Großteil der Bevölkerung.
Was ist mit Selbsttests?
Kurz: Sie sind gut einsetzbar in Schulen, Betrieben, bei Veranstaltungen und als individuelle Hilfe. Aber Teil einer effizienten Strategie sind sie nur unter kontrollierten Bedingungen. Wir brauchen gesicherte Information über den Negativtest. Zudem muss auf den positiven Befund auch reagiert werden, das werden nicht alle tun, die sich daheim selbst testen, weil das ja weitere Tests und Quarantäne bedeutet.
Und wie wären Tests etwa vor dem Betreten von Geschäften?
Kurz: Tests müssen einen effizienten Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten. Bei Geschäften bin ich skeptisch. Man könnte das machen, etwa, um Konzerte zu ermöglichen. Aber entscheidend für die Bekämpfung der Pandemie ist, möglichst viele Menschen regelmäßig zu testen - parallel zum Ausweiten der Impfungen.
Da haben Sie - als einzige Kommune in Baden-Württemberg - auf eigene Faust allen über 80-Jährigen mit Briefen ein persönliches Impfangebot gemacht …
Kurz: Das war durchaus auch mit gewissen Friktionen verbunden. Am Anfang hatte das Land verständlicherweise die Philosophie, bei der Terminvergabe alles zentral zu steuern. Aber das knirschte eben bei der Terminvergabe gewaltig und in der Alltagspraxis auch an sonstigen Stellen vor Ort. Deshalb täte dem Ganzen gut, wenn jetzt die Kommunen mehr Verantwortung und Steuerung übernehmen könnten.
Bekommen also bald auch alle über 70-Jährigen in Mannheim Briefe mit Impfangeboten?
Kurz: Das hängt auch davon ab, wie es mit der Impfstrategie insgesamt weitergeht. Im Gespräch der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten war diese Woche ja von stärkerer Dezentralisierung und Verlässlichkeit bei den Impflieferungen die Rede. Das würden wir sehr begrüßen.
"Wir haben einen monatelangen Lockdown hinter uns, der nicht wirklich konsequent und daher auch kein voller Erfolg war."
Wie gefallen Ihnen die in Berlin beschlossenen Öffnungsszenarien?
Kurz: Wir haben einen monatelangen Lockdown hinter uns, der nicht wirklich konsequent und daher auch kein voller Erfolg war. Daher war ein Strategiewechsel richtig. Dass es jetzt klare Wenn-Dann-Szenarien gibt, ist auf alle Fälle positiv. Kritischer sehe ich, dass das sehr mechanisch angelegt ist und die Inzidenz der einzige Maßstab sein soll.
Was würden Sie vorschlagen?
Kurz: Wichtig ist die Situation in den Krankenhäusern und auch, inwieweit sich Infektionsketten nachverfolgen lassen. Eine große Erleichterung könnte da die neue Luca-App sein. Wenn sie in breitem Umfang eingesetzt und angenommen wird, macht das die Nachverfolgung sehr viel einfacher.
Aber sagt es nicht alles über die Qualität der staatlichen Corona-App, dass plötzlich eine vom Rapper Smudo mitentwickelte App als großer Hoffnungsträger gilt?
Kurz: Das ist ja nicht die App eines Rappers, sondern eine Entwicklung verschiedener Partner, unter anderem von Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts. Die mit dieser App mögliche Kontaktverfolgung könnte ein wichtiger Faktor sein, den man berücksichtigen sollte. Die Inzidenz als alleinigen Maßstab finde ich besonders schwierig, wenn man sie nicht vom Landes-Wert abhängig macht, sondern auf die Kreise schaut.
Weshalb?
Kurz: Es wäre doch auch aus epidemiologischer Sicht hochproblematisch, wenn die Geschäfte in Heidelberg offen hätten und in Mannheim nicht. Außerdem schwanken die Inzidenzen wegen der niedrigen absoluten Zahlen auf lokaler Ebene viel zu stark. Man kann doch nicht am Montag sagen: „Jetzt dürft ihr aufmachen.“ Und am Mittwoch: „Nun müsst ihr leider wieder schließen.“
Dieses Hin und Her in wenigen Tagen gab es ja zuletzt bei der Ausgangssperre. Ist die in Mannheim bei weiter steigender Inzidenz vielleicht wieder ein Thema?
Kurz: Da muss man zweierlei sehen: Zum einen wird das Infektionsgeschehen hier aktuell stark von nachverfolgbaren Clustern getrieben …
… im betrieblichen Bereich?
Kurz: Hauptsächlich, ja. Zum anderen muss man die Vorgabe des Verwaltungsgerichtshofs berücksichtigen, wonach vor der Ausgangssperre andere Maßnahmen ausgeschöpft sein müssen. Das ist nun ja nicht mehr der Fall. Ich kann schlecht Schulen, Kitas, Friseurstudios, Baumärkte etc. öffnen und gleichzeitig den Menschen verbieten, nach 21 Uhr aus dem Haus zu gehen.
Demnach ist die nächtliche Ausgangssperre vom Tisch?
Kurz: Ich würde sie jedenfalls in der beschriebenen Situation für rechtlich sehr problematisch halten.
Nun versuchen Sie es mit der Ausweitung der Maskenpflicht?
Kurz: Das Thema Masken wurde in meinen Augen lange sträflich unterschätzt. Damit lassen sich Infektionen wirksam verhindern und es schränkt am wenigsten die Handlungsfreiheit ein. Mit den mutierten Virusvarianten kann ein kurzes Gespräch schon reichen, um sich anzustecken - und das gilt auch im Freien. Wir führen sie nun an Wochenenden für Orte ein, an denen es richtig voll wird und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich Menschen nahe begegnen. Diese Bereiche wollten wir nicht sperren, aber für mehr Schutz sorgen.
Wieso sind Rheindamm und Strandbad dabei, nicht aber Unterer Luisenpark und Vogelstangsee?
Kurz: Das war eine Abwägung anhand der Beobachtungen der Polizei und des Ordnungsamts. Im Unteren Luisenpark gibt es auch große Rasenflächen, die nicht verdichtet belegt sind, da müsste man also sehr kleinräumig differenzieren. Ebenso in den unterschiedlichen Bereichen am Vogelstangsee.
Sie wollen die Einhaltung der Maskenpflicht auch in Unternehmen stärker kontrollieren, richtig?
Kurz: Ja, das werden wir gemeinsam mit der Polizei tun. Wir haben es hier ja mit Betrieben zu tun, die im Gegensatz zu vielen anderen Bereichen nie geschlossen waren. Da finde ich es in hohem Maße unsolidarisch, wenn sie in ihrem Bereich nicht für maximalen Infektionsschutz sorgen. Wenn man etwa auf der Straße Transporter fahren sieht, in denen drei, vier Menschen ohne Maske auf engstem Raum beisammensitzen, ist das schwer zu ertragen.
"Die wichtigste Ressource in der Pandemiebekämpfung ist das Verständnis und Mittun der Bevölkerung."
Sind Sie denn generell damit zufrieden, wie sich die Menschen an die Corona-Regeln halten?
Kurz: Ich habe immer gesagt: Die wichtigste Ressource in der Pandemiebekämpfung ist das Verständnis und Mittun der Bevölkerung. Die Menschen halten sich auch ganz überwiegend an die Regeln und schützen sich selbst. Zuletzt ist die Zahl derer, die das nicht tun, zwar auf 25 bis 30 Prozent gestiegen. Aber auch wenn sie in sozialen Medien viel Aufmerksamkeit erzeugen, ist das eine Minderheit. Die Mehrheit hat verstanden, wie gefährlich diese Pandemie ist und wie auch wirtschaftlich verheerend sie noch werden kann.
Auch wenn Corona eigentlich nichts Gutes gebracht hat: Für ein immer größer gewordenes Problem, die Nöte des Klinikums, bahnt sich durch die geplante Fusion mit Heidelberg eine Lösung an. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach im „MM“-Interview aber diese Woche wenig begeistert lediglich von einem „charmanten Gedanken“ .
Kurz: Sagen wir mal so: Das war auch gemessen an der Beschlusslage seines Kabinetts eine sehr zurückhaltende Formulierung. Immerhin investiert das Land nicht nur bereits einen siebenstelligen Betrag in den Prüfungsprozess, sondern hat uns gerade auch 12,4 Millionen Euro bereitgestellt, die zwar für die Linderung der Corona-Einbußen gedacht, aber auch ausdrücklich mit der Fusionsperspektive verbunden sind.
Aber ist die Fusion überhaupt noch, wie geplant, bis Anfang nächsten Jahres realisierbar?
Kurz: Wir dürfen jedenfalls keine Zeit mehr verlieren, das Projekt sollte nach der Landtagswahl dringend in den Koalitionsvertrag - zwischen wem auch immer. Man muss einfach sehen, dass die Fusion ein wesentlicher Teil einer großen Allianz mit den bedeutenden Forschungsinstituten in beiden Städten ist, von der nicht nur die Region, sondern das ganze Land profitieren werden. Der Anfang nächsten Jahres ist realisierbar, wenn die Arbeit in den nächsten Monaten konsequent weitergeht.
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