Ukraine-Konflikt - Wladimir Putin hat der Ukraine den Krieg erklärt – unsere Gesprächspartner mit ukrainischen und russischen Wurzeln reagieren darauf fassungslos.

Mannheimer mit russischen und ukrainischen Wurzeln sind fassungslos

Von 
Sebastian Koch und Walter Serif
Lesedauer: 
Zahlreiche Mannheimerinnen und Mannheimer haben am Tag des russischen Angriff ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck gebracht – hier auf einer Kundgebung auf dem Paradeplatz. © Thomas Tröster

Mannheim. Die Solidarität der Mannheimer mit der Ukraine ist groß. Doch Menschen, die in Mannheim leben, aber ukrainische und russische Wurzeln haben, sind natürlich noch mehr emotional aufgewühlt. „Ich bin total aggressiv. Wenn die mich in der Ukraine brauchen, gehe ich sofort dorthin und töte russische Soldaten.“ Oleksandr Koval (21), der an der Universität Betriebswirtschaftslehre studiert, ist völlig aufgelöst. Deshalb sollte man nicht jeden einzelnen Satz gleich für bare Münze nehmen. Dass Oleksandr Koval seine Aggressionen und die Wut nur schwer kontrollieren kann, versteht sich jedenfalls von selbst. Kurz vor vier Uhr am Donnerstagmorgen hat er einen Anruf von einem Freund bekommen. „Er hat gesagt, jetzt geht es los. Ich habe schon vorher nicht richtig schlafen können. Aus Angst. Meine Eltern leben in einem Vorort von Kiew. Putin lässt ja jetzt sogar die Hauptstadt bombardieren“, sagt Koval. Nach dem Gespräch melden die Nachrichtenagenturen, dass russische Truppen auf die Hauptstadt Kiew vorrücken.

Lokales

Nationaltheater Mannheim wird in den Farben der ukrainischen Flagge angestrahlt

Veröffentlicht
Laufzeit
Mehr erfahren

„Wir haben monatelang gewarnt“

Koval selbst will vorerst in Mannheim bleiben, er hofft, dass seine „Mutter und die Frauen“ nach Polen ausreisen können. „Dort haben wir viele Verwandte.“ Der Vater hat dies nicht vor. „Ich kann mir vorstellen, dass er kämpfen will. Die Ukrainer werden sich auf jeden Fall wehren, selbst wenn es vom Ausland keine Hilfe gibt“, sagt er. Der 21-Jährige kann verstehen, dass die Nato nicht militärisch eingreift. „Dann könnte ja der Dritte Weltkrieg ausbrechen“, sagt er. Putins Angriff erinnert ihn an den Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion. „Das war 1941. Der Angriff erfolgte praktisch zur selben Uhrzeit wie jetzt der der russischen Truppen auf die Ukraine.“ Dass es dazu jetzt gekommen ist, erfüllt ihn mit großer Trauer. „Ein wenig mehr Hilfe hätten wir uns schon erwartet. Wir haben monatelang vor einem Krieg gewarnt und der Welt gesagt: ,Macht was’. Aber es ist nichts passiert. Jetzt ist es zu spät.“

Politik

Solidarität mit der Ukraine: Kundgebungen in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen

Veröffentlicht
Bilder in Galerie
10
Mehr erfahren

Andrey Luzhbin (43) hat vor 22 Jahren Russland verlassen und besitzt inzwischen auch einen deutschen Pass. Er kann es noch immer nicht fassen, dass Putin tatsächlich einen Krieg gegen die Ukraine angezettelt hat. „Das hätte ich mir nicht vorstellen können. Mir tun die Ukrainer sehr leid. Wir müssen doch alle zusammenhalten“, sagt der Kirchenrat der russisch-orthodoxen Kirche. Kann sich Putin auf die Unterstützung seiner Landsleute verlassen? „Ich glaube nicht, dass die Russen es gut finden, dass ihr Präsident jetzt die ganze Ukraine angreift. Was will er denn mit dem Land machen?“, fragt sich Luzhbin. Die aggressiven Worte des Kremlherrn machen ihm Angst. „Er droht der Nato. Was soll das? Will er jetzt auch noch das Baltikum oder Deutschland angreifen? Das ist alles Wahnsinn.“

Mag sein, dass Putin sich von harten Sanktionen nicht beeindrucken lassen wird. Aber der Kirchenrat geht davon aus, dass die Strafmaßnahmen das Leben der Russen stark beeinträchtigen werden. „Alles wird teurer werden. Ich glaube, Russland wird 30 Jahre zurückfallen“, sieht er schwarz für die Entwicklung seiner früheren Heimat. Dennoch spricht sich Luzhbin für harte Sanktionen aus: „Unter diesen Bedingungen kann man keine Beziehungen mehr haben. Es darf auch kein russisches Gas mehr fließen“, sagt der Abteilungsleiter bei einem Pfälzer Energieversorger. Und natürlich weiß Andrey Luzhbin, dass er seine Eltern, die in Russland leben, wahrscheinlich länger nicht mehr sehen wird.

Reaktionen: „Rückfall in brutalste Machtpolitik“

  • Peter Kurz, Oberbürgermeister: „Entsetzt erleben wir trotz der traumatischen Erfahrungen und Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und lange nach der Beendigung des Kalten Kriegs einen Rückfall in brutalste Machtpolitik durch kriegerische Gewalt“, sagt Mannheims Stadtoberhaupt. „Ein Bodenkrieg zwischen Nationen in Europa war für mich unvorstellbar. Meine Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine.“ Die Konsequenzen dieses Donnerstags sind nach Einschätzung des Oberbürgermeisters „derzeit unabsehbar“. Entscheidend werde sein, „ob es gelingt, mit nicht-militärischen Mitteln zu erreichen, dass der Preis für diesen Überfall auf ein souveränes Land für die russische Regierung unter Putin zu hoch wird und dies auch für alle anderen autoritären Systeme deutlich wird“. Nicht nur die Ukraine, sondern auch Osteuropa sei von der Situation betroffen. Mannheim habe Partnerstädte in Polen (Bydgoszcz), Litauen (Klaipeda) und der Republik Moldau (Chisinau). Mit der ukrainischen Stadt Czernowitz gebe es eine Kooperation, „aus der mehrere erfolgreiche Projekte, unter anderem im Bereich der Bürgerbeteiligung, hervorgingen“. Aus Czernowitz liegen der Stadt Mannheim bereits Hilfsanfragen nach Dieselgeneratoren und mobilen Wassertanks vor. Auch mit der polnischen Partnerstadt Bydgoszcz stehe das Rathaus in engem Austausch. „Dort gibt es eine große ukrainische Community, und die Stadt bereitet sich auf die Ankunft ukrainischer Flüchtlinge vor.“
  • Ralph Hartmann, evangelischer Stadtdekan: „Ich bin bestürzt über die russischen Angriffe auf die Ukraine. Für die Menschen ist das eine Katastrophe. Krieg bedeutet Tod, Verwüstung und unendliches Leid.“ Den russischen Angriff und seine Rhetorik hält Hartmann für „eine große Gefahr auch für den Frieden in Europa“. Der Dekan betont: „Wir beten für die Menschen in der Ukraine. Wir beten für ein Ende der Eskalation und Frieden in Europa. Die allermeisten Menschen wollen in Frieden miteinander leben. Dazugibt es keine Alternative. Dafür setzen wir uns ein.“
  • Karl Jung, katholischer Stadtdekan: „Erschüttert, dass diplomatische Wege den Frieden in der Ukraine nicht sichern konnten“, ist der katholische Stadtdekan Karl Jung. „Meine Gedanken und Gebete sind bei den Menschen im Kriegsgebiet.“ Wie Jung berichtet, habe er sofort mit dem Pfarrer der ukrainisch-katholischen Gemeinde in Mannheim, Igor Sapun, gesprochen. Dieser habe ihm berichtet, „dass Menschen in der Ukraine voller Angst sind“. Auch die Westukraine sei nicht mehr sicher, und die Grenzen zwischen Polen und der Ukraine würden zunehmend belagert. 

Auch die Ukrainerin Oleksandra Kudreashova (28) steht unter Schock. „Zum Glück sind meine Eltern in Mannheim. Aber die meines Mannes leben in Kiew und Lemberg. Wir haben alle viele Verwandte und Freunde dort“, sagt die Zirkusartistin, die eine Event-Agentur besitzt. Und wie geht es denen? „Die haben alle Angst vor den Bomben, es gibt ja keine Luftschutzkeller“, sagt sie.

Werden die Eltern ihres Mannes fliehen, vielleicht nach Polen? „Nein, das geht nicht. Die Straßen sind voll mit Autos. Es gibt kein Benzin, alle Tankstellen sind leer. Es kommen keine Busse und Züge. Inzwischen sind die Städte abgeriegelt. Überall gibt es Grenzkontrollen. Die Menschen sind eingesperrt.“, erzählt sie. Auch die Versorgungslage sei nicht besonders gut: „Die Leute haben Panik. Es gibt kein Wasser. Alles ist leer“, schildert Oleksandra Kudreashova, was ihr die Familie aus der Ukraine alles erzählt hat.

Welche Ziele hat Putin?

Auch Gena Zarnikow (38) versteht die Welt nicht mehr. „Mir tun die Menschen in der Ukraine unfassbar leid. Putin hat die Realität auf den Kopf gestellt.“ Zarnikow ist in Moskau geboren, hat aber schon lange die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Unternehmensberater hat sich Putins Fernsehansprache vom Montag im Original angehört: „Da hat er den Eindruck erweckt, als wolle er die alte Sowjetunion zurückhaben. Ich habe nie gedacht, dass Putin so verrückt ist.“

Niemand wisse, welche Ziele Putin verfolge. „Ich habe gedacht, er gibt sich mit den Separatistengebieten zufrieden. Will er jetzt die ganze Ukraine besetzen? Das geht doch gar nicht“, sagt Zarnikow. Es fehlen ihm die Worte. Keiner kann begreifen, was in Putins Kopf vorgeht.

Auch Alexander Verbitski nicht. In Kiew geboren, ergreift er auf einer Kundgebung auf dem Paradeplatz das Wort. „In diesem Moment wird meine Heimat bombardiert.“ Dann versagt seine Stimme. Die Rede ist der emotionale Höhepunkt der Veranstaltung, die Nachwuchsorganisationen Mannheimer Parteien organisiert haben. „Ich sehe immer wieder, dass Menschen, die hier leben, nicht wissen, was der Krieg in der Ukraine bedeutet“, sagt Verbitski. Der Konflikt werde „uns auch hier erreichen“, fürchtet er. „In der Ukraine kämpfen wir jetzt für euch. Für die Demokratie. Alles, was uns bleibt, ist zu kämpfen. Bitte - lasst uns nicht allein“, appelliert Verbitski mit zittriger Stimme.

Auch Anna Valerie ist betroffen: Ein Teil ihrer Familie lebe in Charkiw, weshalb die junge Frau seit Wochen voller Angst auf ihr Handy geschaut und darauf gewartet habe, „bis es passiert“, sagt sie auf dem Paradeplatz. „Die Menschen waren froh, in einer Demokratie zu leben.“ Seit dem Morgen ist dieses Leben in Gefahr. „Egal, wo wir uns befinden - wir müssen uns für Demokratie einsetzen.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen