Mannheim. Der sechste Prozesstag um das Mannheimer Messerattentat endete am Dienstag mit einem Satz des Vorsitzenden Richters, der auch am Donnerstag noch nachhallt, als der Prozess weitergeht.
Sulaiman A., der Angeklagte, sagte am Ende seiner stundenlangen Vernehmung: „Wenn man eine Gewalttat begeht, dann schürt das Hass.“ Und der Vorsitzende Richter, Herbert Anderer, antwortete: „Herr Laur würde diese Sätze unterschreiben, wenn er noch leben würde. Wenn Sie ihn nicht umgebracht hätten.“
Über Rouven Laur ist in den vergangenen Monaten vieles geschrieben worden. Etwa, dass der junge Polizist Arabisch lernte, und dass er seiner Mutter kurz vor dem Attentat erzählte, dass in Mannheim diese Veranstaltung von „Pax Europa“ geplant sei, und dass er zur Sicherung dort sein werde. Den Auftritt von Michael Stürzenberger auf dem Mannheimer Marktplatz soll er als Provokation empfunden haben. Dennoch schützte er die Veranstaltung. Und starb.
Sulaiman A. hat eingeräumt, Rouven Laur getötet zu haben. Seit Mitte Februar muss er sich vor dem Staatsschutzsenat am Oberlandesgericht (OLG) in Stuttgart verantworten. Dort geht es am Donnerstag um die Sekunden, die wahrscheinlich über das Leben und Sterben von Rouven Laur entschieden haben.
„Dann rief ich: oh Allah, oh Jesus – und bin gerannt.“
Im Zeugenstand sitzt ein Mann, 43 Jahre alt, dunkles Haar, weißes Hemd, gepflegter Bart, muskulöse Oberarme. Er berichtet, wie er am 31. Mai mit dem Zug nach Mannheim fuhr, weil er in einer Schneiderei in der Nähe des Markplatzes einen Anzug abändern lassen wollte, für eine Kommunion am darauffolgenden Sonntag.
Auf dem Weg dorthin habe er bemerkt, dass Michael Stürzenberger auf dem Marktplatz gewesen sei. Das habe ihn, einen aramäischen Christen aus dem Irak, gefreut, kannte er Stürzenberger und seine „Bürgerbewegung Pax Europa“ (BPE) doch aus den sozialen Medien, sagt er. Er habe ihn als Mann verehrt, der die Wahrheit spricht, ganz unaufgeregt. Als Aramäer misstraue er selbst allen Muslimen.
Nach dem Besuch beim „Schneider seines Vertrauens“ habe er sich noch einen Kaffee geholt und sei auf den Marktplatz zurückgekehrt, wo er den Beginn der Veranstaltung abwarten wollte. Da sei ihm ein Mann aufgefallen, der um den Stand herumschlich. Und dann sei dieser losgerannt und habe ein Messer gezogen. Der Zeuge weint.
„Ich habe gesehen, wie Michael Stürzenberger zu Boden ging, und wie er seine Augen auf mich richtete.“ Er habe nicht hinsehen können, wie der Angreifer Stürzenberger „abschlachtete“. In seinem Herzen habe er gespürt, dass er helfen müsse, er dachte an seine Familie, an seine Frau und an seinen Sohn. „Dann rief ich: oh Allah, oh Jesus – und bin gerannt.“
Wieder weint er. Er erzählt, wie er den Angreifer zu fassen bekam, ihn festhielt. Wie seine Kräfte schwanden und wie allein er sich fühlte, während Schläge auf ihn einprasselten. In diesen Sekunden auf dem Mannheimer Marktplatz. Schluchzer schütteln ihn. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass der Afghane wieder frei war. Und in dem Moment wurde mir klar, dass ich mich auf die Flucht begeben muss, um mich selbst zu schützen.“
Dann habe er das Messer gesehen. Und den Angreifer, der dicht bei ihm stand. Die Stiche, die in seinen Körper fuhren, spürte er in dem Moment nicht, sagt er. Der 43-Jährige erlitt eine Stichverletzung im Bereich des oberen Rückens, sein linkes Schulterblatt wurde durchbohrt. Außerdem trug er zwei Stichwunden im Gesäß davon.
Er habe sein Bein schützend gehoben. Doch der Angreifer ließ von ihm ab und ging auf einen Polizisten los. Stach zu. Dann hörte er einen Schuss. „Das war es.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-mannheimer-messerattentat-der-moment-der-ueber-leben-und-tod-entschied-_arid,2294328.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-prozess-um-mannheimer-messerattentat-heute-muss-jemand-sterben-_arid,2293905.html?&npg
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html