Mannheim. Die Nachspielzeit wird dramatisch. Kanada drängt auf den Ausgleich, sogar der Torwart steht im gegnerischen Strafraum. Die Marokkaner wehren sich mit aller Kraft, kontern, kommen über die Mittellinie, haben das leere Tor vor sich . . . doch im letzten Moment läuft Alphonso Davies, der schnelle Bayern-Spieler im kanadischen Team, den Ball ab. Es folgt der erlösende Schlusspfiff.
Im knapp 6000 Kilometer von Katar entfernten Mannheim fallen sich knapp 20 Frauen und Männer, fast alle marokkanisch-stämmig, jubelnd in die Arme. Sie schwenken Fahnen, schlagen auf eine Trommel, halten eine Nachbildung des WM-Pokals in die Luft. Unter ihnen ist auch ein Junge im Batman-Shirt. Er hat sich zuvor furchtbar erschrocken. Nicht beim kanadischen Anschlusstreffer zum 1:2, sondern in der 82. Minute: Da wurde die Leinwand plötzlich schwarz. Nach empörten Rufen aus der Runde gelingt es der Bedienung aber schnell, den Beamer wieder in Gang zu bringen. Und die Party kann weitergehen.
„Für uns Araber passt es super“
Wer beim nachmittäglichen Shoppen zufällig ins „Oh Julia“ in Q 6/Q 7 geraten ist, dürfte sich über die feiernde Menge wundern. Zumal die deutsche WM-Stimmung ja eine ganz andere ist, bei vielen schon vor dem Ausscheiden des DFB-Teams. Dafür hat Mohamed Mahuan Verständnis: „Jetzt hier in der Weihnachtszeit passt das Turnier einfach nicht. Aber für uns Araber passt es super!“ Sie seien alle sehr stolz, dass erstmals eine Fußball-Weltmeisterschaft in einem arabischen Land ausgetragen werde. Marokko hatte sich fünf Mal vergeblich beworben.
Mahuan begeistern auch die überraschenden Siege der Araber, etwa das 1:0 der Tunesier gegen Weltmeister Frankreich oder das 2:1 von Saudi-Arabien gegen Argentinien. Aber ins Achtelfinale geschafft haben es nun nur die Marokkaner. Am Dienstag (16 Uhr) treffen sie auf Spanien. Ob Deutschland vielleicht der leichtere Gegner wäre, dazu will Mahuan nichts sagen. Jedes Spiel sei offen, „das ist Fußball“.
In Mannheim sind nach Angaben von Stadtsprecher Kevin Ittemann 353 marokkanische Staatsbürger gemeldet. Als Fouzia Hammoud diese Zahl hört, zeigt sie sich verwundert: „Wo sind die nur alle, wenn wir unsere Aktionen machen?“ Sie sitzt im Migrationsbeirat, ist Vorsitzende des Arabischen Hauses und hat das gemeinsame Gucken in der letzten Partie gegen Kanada wie in den vorhergehenden organisiert. Sie hätten auch schon selbst Fußball gegen andere Vereine gespielt, berichtet sie, mit einer gemischten Mannschaft aus Männern und Frauen. Solche Aktivitäten seien enorm wichtig, „Integration geht sehr gut über Sport“.
Für die massive Kritik aus Deutschland an Katar zeigt Hammoud nur bedingt Verständnis. Natürlich gebe es dort großen Nachholbedarf in Sachen Menschenrechte. „Aber so etwas braucht Zeit, und es muss nicht von außen kommen, sondern aus der Gesellschaft. Wie jetzt im Iran.“ Die Deutschen sollten sich besser darum kümmern, das auch hierzulande nicht alles perfekt sei. Gerade arabisch-stämmige Menschen würden von Polizei und Ämtern nicht selten diskriminiert. Zudem habe sie ihre 19-jährige Tochter darauf aufmerksam gemacht, dass bei der WM in Russland 2018 keinerlei Proteststimmung gegeben habe. Hammoud findet, man solle anerkennen, dass das Turnier in Katar gut organisiert sei, und sich einfach auf die Spiele konzentrieren.
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Das sehen die anderen offenbar genauso. „Mit Politik habe ich nichts am Hut“, sagt etwa Khalil Larabi, ihm gehe es nur um Fußball. Der Viernheimer hat das Duplikat des WM-Pokals mitgebracht, das vor allem nach dem Achtelfinal-Einzug freudig herumgereicht wird. Noch mehr Stimmung macht Aisha Berth mit ihrer Trommel. Auch sie gehört zu den Verantwortlichen des Arabischen Hauses in Mannheim. Angesprochen auf die Katar-Kritik verdreht sie die Augen. „Ganz ehrlich: Ich bin jetzt vor allem froh, von der Arbeit rechtzeitig hier zu sein.“ Bis zu ihrem 13. Lebensjahr habe sie in Marokko selbst Fußball gespielt und sich damals auch schon für die deutsche Bundesliga interessiert. „Für die gab es im Fernsehen auch so einen tollen syrischen Moderator.“
Das ist an diesem Nachmittag der einzige Wermutstropfen: die Schlaftabletten-Kommentare des Magenta-Reporters. Doch arabische Sender sind in dem Lokal nicht zu empfangen. „Beim nächsten Mal schauen wir wieder bei mir“, ruft Hammoud. Bei den Partien zuvor hätten sie die Nachbarn vorgewarnt, dass es richtig laut werde. Das kann man sich jetzt sehr gut vorstellen.
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