Mannheim. Salih Mohr zeigt auf einen weißen Knopf. „Ich muss nur da draufdrücken.“ Schon fährt der Wagen los, zügig und geräuschlos. Sechs dieser Kleinkehrrichtfahrzeuge mit Elektrobetrieb hat sich die Stadt angeschafft. Eines ist im Mannheimer Norden unterwegs, zwei im Süden und drei rund um die Buga. Letzteres wird allerdings recht weiträumig ausgelegt. So ist Mohrs Einsatzgebiet an diesem Tag die Innenstadt. Er säubert Haltestellen, damit Gartenschau-Besucher einen guten Eindruck von Mannheim bekommen.
Erste Station mit „MM“-Begleitung ist am Kaiserring die Haltestelle Kunsthalle. „Eine der schlimmsten“, sagt Mohr. Er sei erst vor wenigen Stunden hier gewesen. „Gucken Sie mal, wie es schon wieder aussieht.“ Diesen Satz wird er ebenso wie „Die Leute schmeißen einfach alles weg“ an diesem Nachmittag noch häufig sagen. Hier ließen viele Menschen einfach fallen, was sie am Getränkekiosk nebenan gekauft hätten.
Sehr analoges Werkzeug
Mit Selbstkritik: Wer erwartet hat, dass Mohr aus dem supermodernen Reinigungsfahrzeug ein supermodernes Reinigungsgerät holt, liegt falsch. Sein mit Abstand wichtigstes Werkzeug ist an einem langen Stock und sehr analog: eine Zwickzange. Damit greift er Kronkorken, Pappbecher, vor allem Zigarettenkippen und alles, was sonst so herumliegt, und lässt es in einen Plastiksack fallen. Den wirft er dann in den Wagen.
Im Regelfall fährt Mohr jede Haltestelle auf seiner Route drei Mal täglich an. „Bei einigen könnte ich auch zehn Mal kommen, es wäre immer wieder dreckig.“ Ist das nicht frustrierend? Er zuckt mit den Schultern. Nicht, wenn man darauf eingestellt sei. „Das ist nun mal meine Arbeit. Und ich mache sie gerne.“
Seine Schicht geht - mit zwei zusammen 45-minütigen Pausen - von 12 bis 20.30 Uhr. „Sechs Tage am Stück, dann drei Tage frei.“ Eigentlich seien sie auf ihren Touren zu zweit, aber der Kollege sei krank. Das Angebot, ihm zu helfen, weist er energisch zurück: „Bitte fassen Sie nichts an!“ Besonders beim Mülleimer-Leeren seien Drogen-Spritzen gefährlich. Mit dem Imbusschlüssel öffnet er den Boden eines Abfallbehälters und lässt den Inhalt in den Plastiksack gleiten. Ist mal passiert, das da eine Ratte drin saß? Mohr schüttelt den Kopf. „Ich bin mit denen aufgewachsen, vor Tieren habe ich keine Angst. Nur vor Spritzen.“
Und nerven tun ihn vor allem die unzähligen ausgespukten Kaugummi. In der Hitze sind sie so durchweicht, dass man sie kaum greifen kann. Ein älterer Mann, Uwe Kohlhase, fragt, ob er ein Prospekt in den Sack fallen lassen dürfe. Klar. Dass der städtische Mitarbeiter hier säubere, „finde ich sehr gut“, sagt Kohlhase. Senioren bedankten sich häufiger, berichtet Mohr. „Aber andere Leute sind richtig unverschämt. Die schmeißen mir ihren Dreck mit Absicht vor die Füße.“ Auch von Jugendlichen kämen oft nur freche Antworten, wenn er sie frage, warum sie ihren Müll nicht in den Abfalleimer direkt neben ihnen steckten.
Hohe Bußgelder drohen
- Wer in Mannheim Essenspackungen, Zigarettenkippen und sonstigen Kleinmüll einfach fallen lässt, dem droht ein – im Jahr 2019 stark erhöhtes – Bußgeld von 75 Euro.
- Für ausgespuckte Kaugummis sind es 100 Euro.
- 2022 wurden laut Stadtsprecherin Désirée Leisner 90 entsprechende Verfahren eingeleitet, dieses Jahr bereits 80.
- Als Grund für den Anstieg nennt sie verstärkte Kontrollen. Schwierig sei indes, dass man Müllsünder „auf frischer Tat“ erwischen müsse.
„Misse zammehalde“
An der nächsten Haltestelle bittet Mohr einen Mann zur Seite, um Zigarettenkippen auflesen zu können. Der macht einen Schritt weg, Mohr dankt. Antwort: „Kä problääm! Mir Arweitsleit misse zammehalde.“ Als der Mann sich etwas später unbeobachtet fühlt, lässt er seine Kippe einfach fallen. Als Mohr das hört, lacht er. „Die Leute sagen immer viel, am Ende kommt nichts dabei heraus.“
Am Rosengarten zeigt Mohr auf einen Aschenbecher an einer Stange. Der ist überfüllt mit Kippen. „Ich verstehe nicht, warum man dafür Plexiglas genommen hat.“ Das ist an einer Stelle aufgesprungen, da klafft ein Brandloch. Für den Aschenbecher hat Mohr keinen Schlüssel. Den zu entleeren ist ebenso wie das Reinigen der Gleise Sache der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft.
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Einige Meter weiter steht eine Plastikschale mit Soße auf einer Bank. „Ekelhaft! Wenn sich da einer reinsetzt!“, schimpft Mohr. Eine ältere Frau daneben ruft erschrocken: „Das ist nicht von mir!“ Gabriele Richardt heißt sie. Mohr versichert, das habe er auch nicht vermutet. Sie sagt, was er tue, sei wirklich toll. Aber: „So ein junger Mann wie Sie müsste eine andere Arbeit haben!“
Mohr bedankt sich für das Kompliment. Mit 57 fühle er sich aber gar nicht jung, sagt er im Auto. Als Diabetiker mit 50-prozentiger Schwerbehinderung sei er sehr froh, diese Stelle zu haben. „Ich bin viel an der frischen Luft und bewege mich.“
Den E-Wagen nutzt er nur von Haltestelle zu Haltestelle. Aber auch da ist er für die Klimaanlage dankbar, und das Fahren sei viel angenehmer als mit den alten Dieseln. Jeder der sechs neuen Kleinkehrrichtwagen verursacht laut Stadtsprecher Kevin Ittemann pro Jahr rund zehn Tonnen CO2 weniger. Mit dem umweltfreundlichen Strom, der mit der Solaranlage auf der Friesenheimer Insel erzeugt werde, könnten sie rein rechnerisch jährlich zusammen rund 800 Kilometer fahren.
Klinikum schlimmste Haltestelle
Am wichtigsten bleibt für Mohr indes die Zwickzange. Sie hätten auch ein Blasgerät, sagt er. Aber das wirble an Haltestellen zu viel Dreck auf. „Dann rufen die Leute rufen die 115 an und beschweren sich über mich.“
An den nächsten Haltestellen, Nationaltheater und Theresienkrankenhaus, sind die wenigen Wartenden freundlich. Mohr warnt eine junge Frau am Gleis vor einer nahenden Bahn, sie dankt erschrocken. Dann geht es zum Klinikum. Für den 57-Jährigen die schlimmste Haltestelle, auch wegen der anliegenden Schulen sei hier sehr viel Betrieb. So auch jetzt. Wie Freistoßmauern stehen die Menschen Mohr im Weg. Eine Frau bemerkt allerdings, dass ihm jemand mit Block und Kugelschreiber folgt. Sie baut sich drohend auf: „Kontrollieren Sie den Mann etwa?“ Als sie hört, dass es um einen Pressebericht geht, schiebt sie vorsorglich entschieden nach: „Der macht das sehr gut!“ Absolut.
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