Mannheim. „Können Sie überhaupt eigenständig Überweisungen ausführen“, wird eine blinde Frau in einer Bank gefragt. „Wenn ich zum Arzt komme, wird mit meiner Begleitperson statt mit mir geredet“, erzählt ein Hörbehinderter. Ganz alltägliche Erfahrungen von Männern und Frauen mit Beeinträchtigungen stimmen im gut besuchten N1-Ratssaal auf das Thema ein: „Kommunikation in der inklusiven Stadt: Reden übereinander miteinander“. Ob Impulsvorträge oder Podiumsgespräch, immer wieder blitzt auf: In unseren Köpfen gilt es Barrieren zu beseitigen.
Thorsten Riehle eröffnet das Forum
An seinem ersten Arbeitstag als Bürgermeister für Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Kultur eröffnet Thorsten Riehle das Forum – als Signal, wie wichtig ihm das Thema verknüpft mit „respektvollem Austausch“ ist. Er wolle keine Versprechungen machen, könne aber zusagen, sich im Sinne einer funktionierenden Demokratie geben „Ausgrenzung und Abspaltung“ einzusetzen. „Wer sagt, ich kann das nicht?“ hat Philipp Hill, Botschafter für Inklusion in Heidelberg, seinen Vortrag überschrieben.
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Der Soziologe mit eingeschränkter Sehkraft beginnt mit dem Bekenntnis: „Ich bin behindert und stolz darauf.“ Warum diese Aussage nur ein scheinbarer Widerspruch ist, analysiert der junge Mann genauso überzeugend, wie er schildert, in welchen Situationen sich die Umwelt behindernd verhält: Beispielsweise wenn ihm andere erklären wollen, was er leisten könne und was nicht. Sein Credo: „Nicht über uns, sondern mit uns sprechen“ und dabei zuhören. Hill leuchtet den neuen Fachbegriff Ableismus auf, der sich vom Englischen „to be able“, „fähig sein“, ableitet und dafür steht, dass Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten auf Defizite reduziert und in eine Schublade gesteckt werden. „Dazugehören wie ich bin“ bedeutet für Hill Inklusion, „ein Menschenrecht“.
Was es heißt, trotz beziehungsweise mit Handicap den geeigneten Weg zu finden, schildern eindrücklich zwei Frauen und ein Mann. Sebastian Koch, Redakteur beim „MM“, muss nicht lange erläutern, was ihm zu schaffen macht. Er, der versierte Profi-Formulierer, vermag im Kopf fertig gedachte Sätzen nicht flüssig abzurufen: Im Stakkato wiederholen sich Silben. Laute dehnen sich wie Gummi. Pausen zerhacken Wörter. Sebastian Koch erzählt von der „wilden Idee“ jenen „P-p-p-podcast“ von Stotternden für Stotternde zu machen, der inzwischen 28 Folgen hat. Und wie dieses (preisgekrönte) Projekt sein Leben verändern sollte – und damit den Leidensdruck.
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Was er sich wünschen würde, will Journalistin Rosa Omenaca Prado wissen, die das Forum gemeinsam mit Kim Lumelius moderiert. „Dass Gesprächspartner nicht den Satz von Stotternden vollenden – auch wenn dies meist nicht böse gemeint ist.“ Er könne dies selbst, „auch wenn ich länger brauche“. Später wird Thorsten Riehle auf dem Podium sagen, dass es ihm bei der ersten Begegnung mit dem „MM“ -Redakteur schwerfiel, diesem nicht vermeintlich helfend ins Wort zu fallen. Es habe eines Lernprozesses bedurft. Dass Perspektivwechsel im Miteinander erlernt, ja geübt werden muss – diese Erkenntnis durchzieht das Forum gleich einem roten Faden.
Praktikum ja, Anstellung nein
Praktikum ja, Anstellung nein – das hat Kathrin Thiemke, die seit ihrer Kindheit im Rollstuhl sitzt nach ihrer Ausbildung als Bürokauffrau immer wieder zu hören bekommen. Sie weiß um die Berührungsängste anderer. Der Bundesfreiwilligendienst öffnete ihr die Tür in die Berufstätigkeit. Zur Buchhaltung ließ sich Kathrin Thiemke nicht überreden, sie wollte mit Menschen zu tun haben. Und deshalb fühlt sich die heutige Mitarbeiterin der Gemeindediakonie am Empfang „genau richtig“. Ihre Botschaft: Sich in keine Ecke drängen lassen, die andere für einen aussuchen.
Monika weiß, was es bedeutet, mit Problemen zu kämpfen, die niemand sieht. „Du bist überempfindlich“, solche Kommentare kennt sie zur Genüge. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die nach dem Tod ihres Mannes alleinerziehend für die Familie zuständig war, engagiert sich als Psychiatrieerfahrene bei der Beschwerdestelle für seelisch Kranke. Mitten im Medizinstudium hatte Monika einen Nervenzusammenbruch erlitten. Als man ihr im Krankenhaus eröffnete, sie würde sich nie wieder richtig konzentrieren können, war dies für sie niederschmetternd. Um sich und der Welt zu beweisen, dass ein Mensch samt seinem Hirn entwicklungsfähig ist, legte sie im Medizinstudium das Physikum ab, absolvierte eine Berufsausbildung. „Nie die Hoffnung verlieren“ hat Monika zur Lebensmaxime gemacht – auch wenn zwischendurch Depressionen vereinnahmten. Monika empfindet psychische Leiden immer noch als „tabuisiert“, wünscht sich „mehr Verständnis“.
Optimismus bewahren und in den Austausch gehen
Bei der Diskussion sitzt auch Lale Aydin, Migrationsberaterin beim Verein Duha, auf dem Podium. Die Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom, die inzwischen die dritte Klasse besucht, betont, wie wichtig es ist, sich nicht zurückzuziehen, sich auszutauschen und dabei Optimismus zu bewahren – weshalb sie einen Stammtisch für betroffene Familien aufgebaut hat.
So unterschiedlich die Beiträge – auch aus dem Publikum – ausfallen, eine durchgängige Forderung bringt ein behinderter Forumsteilnehmer auf den Punkt: „Wir sind so und müssen uns nicht rechtfertigen“. Zum Abschluss gibt Ursula Frenz, kommunale Beauftragte für Belange von Menschen mit Einschränkungen, noch einen Ausblick auf angepeilte Projekte. Außerdem ruft sie jenes Chamäleon in den Saal, das die Kampagne „ Umsichtig unterwegs“ für mehr Rücksicht auf Straßen wie Gehwegen symbolträchtig begleitet (der „MM“ berichtete). Der kunterbunte „Rundumblicker“ schaut vor allem in Handykameras – für Selfies. Der abschließende Applaus gilt auch den Gebärden- und Schriftdolmetschern. Denn sie haben bei der zweistündigen Veranstaltung mit im Wechsel sprechenden Personen Schwerstarbeit im Kopf geleistet.
Info: Das Forum im Livestream: www.mannheim.de/forum-inklusion.
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