Interview

Mannheimer DJs erinnern sich: "Es gab Uni-Feten mit über 4000 Leuten"

Kai Kemper und Tobias Eisele haben in den 90-er und nuller-Jahren als DJs in Mannheim aufgelegt. Im Interview erzählen sie, warum sich die Partyszene so stark verändert hat

Von 
Valerie Gerards
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© Getty Images/iStockphoto

Mannheim. Es war das Jahrzehnt der vollen Clubs und Megaparties, Drum´n´Bass, die Backstreet Boys waren genauso angesagt wie Scooter und Rage Against The Machine. Der Viernheimer Kai Kemper und der Schifferstädter Tobias Eisele berichten von ihrer Zeit in Mannheim als Querbeet-DJs in den wilden 1990er und Nuller-Jahren

Wie hat ein typischer Ausgeh-Abend in Mannheim ausgesehen?

Eisele: Donnerstags war der Tag in Mannheim, an dem alle ausgegangen sind. Im Schneckenhof an der Uni haben im Sommer 4000 oder 4500 Leute gefeiert, und um 1 Uhr nachts, wenn dort Schluss war, sind die Leute in die Stadt geströmt und haben die Clubs gefüllt. Und dann kamen ja erst noch der Freitag und der Samstag ... . Eigentlich gab es fast an jedem Tag eine oder zwei gute Locations zum Ausgehen, von den Wohnheimfeten ganz abgesehen.

Kemper: Dienstags ist man ins Citrus und dann zu spziellen „Orange Club Techno Partys“ ins Hollywood, Mittwochs ging es ins Broadway und Donnerstags in die Galerie, das heutige SoHo. Dann gab es noch das Ricks, später Peach dann KOI - und das waren nur einige Locations in den 90er.

Kai Kemper © Kai Kemper

Ist das immer noch so?

Eisele: Nein, leider nur noch bedingt. Neulich wollten wir mal an einem Donnerstag mit Kollegen ausgehen und in der Onkel-Otto-Bar reservieren, aber die hat donnerstags leider geschlossen. Dann wollten wir im Chaplin reservieren, das hatte an diesem Donnerstag aber leider auch zu. Dann sind wir ins Tiffanys - im Glitzerkeller wie er bei den Mannheimern genannt wird, haben damals schon Steffi Graf und Boris Becker gefeiert. Das war super dort, aber ansonsten war nicht viel los in der Stadt.

Wie sind Sie zum Platten auflegen gekommen?

Kemper: Ich war wohl der Jugendliche mit den meisten Platten und CDs und habe mich auf Partys um die Musik gekümmert. Daraus wurde dann eine Profession. Mit 14 Jahren bin ich zur Tanzschule Lamade gekommen - da haben viele DJs ihr Handwerk gelernt. 1996 kam dann Radio Regenbogen, die mich zu ihrem damals 1. Radio DJ machten.

Tobias Eisele und Kai Kemper haben als DJs die Partyszene in Mannheim aufgemischt. © Eisele/Kemper

Eisele: Ich habe neben dem Studium als Werbetexter gearbeitet und bin eigentlich Musiker, hatte die Band Juna in Mannheim, und wir waren zu der Zeit mal für sechs Wochen bei DAS DING in den Newcomer-Charts auf Platz eins. Bei den Party-DJs war der ein oder andere ein bisschen arrogant, so dass ich dachte, das kann ich auch. Und dann habe ich angefangen auf Studi-Parties aufzulegen, meistens zusammen mit anderen DJs, denn das machte viel mehr Spaß.

Aber der Kai war nicht arrogant?

Eisele: Nee, der natürlich nicht (lacht).

Kemper: Ich habe früh beschlossen, dass ich eher der Musik-Entertainer bin. Aus zwei Platten etwas Neues entstehen zu lassen, hat nur fünf Prozent meiner Arbeit ausgemacht. Die anderen 95 Prozent war das Verständnis davon, die Tanzfläche in einer sehr heterogenen Zielgruppe zum Beben zu bringen. Tobias und ich hatten die Herausforderung, den Spagat zwischen dem angesagtesten Techno bis zur angesagtesten Hip-Hop-Scheibe zu finden und dazwischen noch ein bisschen Rock und Pop aufzulegen.

Sie waren also nicht DJs eines Genres, wie etwa Scooter oder Marusha?

Kemper: Nein. Für mich war ein perfekter Abend, wenn ich alle Musikwünsche auch erfüllen konnte. Es war für mich ganz wichtig, sich auszukennen, sich Dinge zu trauen, die andere sich nicht getraut haben. Ich habe relativ früh das Mikrofon in die Hand genommen. Das war früher noch viel verpönter als heute.

Kemper: Wir waren eher so die Überraschung. RedBull-DJ Falko Richtberg, Chico Chicuita und die ganzen DJ-Kollegen standen bei einer Schneckenhof-Party 2004 mal hinter mir, und ich habe denen gesagt, dass ich gleich „Das Boot“ von U 96 spiele. Alle haben auf mich eingeredet, das könne ich nicht machen. Aber ich habe dieses duuudududu (singt) eingespielt und die 4000 Leute sind ausgeflippt.

Kemper: Wenn du die Leute an der Angel hast, dann zählt nur die Aneinanderkettung der richtigen Songs. Dann musst Du die nicht nur Hits spielen und immer die gleiche Sauce, sondern man kann auch experimentieren. Man kann drei Rocklieder hintereinander spielen und dann gucken, ob es noch passt oder ob es zu viel wird und man die Leute zurückholen muss.

Zur Person

  • Kai Kemper, Jahrgang 1975, war von 1996 bis 2006 Club und Party-DJ K-A-I, DJ bei Radio Regenbogen und bigFM und später Marketing- und Eventchef bei bigFM.
  • Er ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der Kommunikationsagentur GO7 AG in Mannheim.
  • Tobias Eisele, Jahrgang 1981, war als DJ T-Time in der Mannheimer Studentenszene der Nuller-Jahre bekannt.
  • Er ist heute Geschäftsführer einer Autohausgruppe

Inwiefern?

Kemper: Wir haben immer die Tanzfläche beobachtet. Ob es irgendwo Ärger gab - als DJ hat man das in der Hand. Dann spielt man irgendetwas langsames, und die Leute liegen sich wieder in den Armen und singen „I want it that way“.

Eisele: Wenn man zu zweit auflegt, sieht man auch, wer sich wem gerade annähert. Wir haben manchmal sehen können, wer mit wem in einer Viertelstunde flirten wird. Man sieht, wer wo hinguckt und wie er sich positioniert ... Das ist wie ein Fußballspiel, das man da beobachtet.

In welchen Clubs haben Sie damals aufgelegt?

Kemper: Im Broadway in Mannheim, im Downtown in Weinheim, im Tiffany, im Ricks, in der Galerie, das war eine legendäre Studentenkneipe in Mannheim, im Fischer´s in Heidelberg, in der Nachtschicht und über die Radiosender Regenbogen und ab 2000 für bigFM im ganzen Sendegebiet. 1999 bis 2001 habe ich bei fast alle Fachschaftsparties im Schneckenhof aufgelegt. Und in der Uni-Szene waren wir bekannt, weil wir 1997 die Mensa Mania zum Leben erweckt haben: Eine Fete in der Mensa mit 3.000 Leuten. Heute unvorstellbar.

Eisele: Ich habe bei sehr vielen Uni-Feten in Mannheim aufgelegt, auch bei den Sport- und Medizinstudenten in Heidelberg. Dann bin ich in diese Bookings reingerutscht: Tim Mälzer After-Show-Party, in Baden-Baden im Casino, in ein paar Clubs in meiner Heimat in Karlsruhe und auch auf diversen Firmenfeiern und Hochzeiten.

Kemper: Als ich noch studiert habe, habe ich für die Schneckenhof-Parties noch den Kartenverkauf gemacht. Ich werde nie vergessen, wie mein BWL-Professor reinkam und sagte: Herr Kemper, können Sie Ihre Karten in der Pause verkaufen, nicht während meiner Vorlesungen?

Und heute findet man keine gute Party an einem Donnerstagabend! Wie ist das passiert?

Kemper: Meiner Beobachtung nach liegt das an der Einführung des Bachelors. In diese drei Jahre wird so viel reingepresst, dass die Studenten überhaupt keine Zeit mehr zum Feiern haben. Die 30.000 Studenten haben aber halt schon immer das Grundrauschen in Mannheim ausgemacht.

Eisele: Die Norweger-Fete mit 300 norwegischen Austauschstudenten war die allerbeste von allen Parties im Schneckenhof. Jeder hatte einen Wikingerhelm auf dem Kopf, es gab Lachs und Aquavit. 2005 ist der Austausch dann auf zwei Dutzend Norweger zusammengeschrumpft. Die Schneckenhof-Parties sind immer noch super, aber nicht mehr so wild wie früher. Man muss Mannheim aber zugutehalten, dass im Jungbusch ein Ausgeh-Viertel entstanden ist, das es 2005 abgesehen vom Rhodos noch gar nicht gab. Es hat sich aber nicht nur die Studentenszene und damit das Grundrauschen verändert. Die Parties sind generell weniger und kleiner geworden.

Kemper: Das stimmt. Bei der Weihnachtsfeier der SAP waren 6.000 oder 7.000 Leute. Die haben damals in der alten Tennishalle in Walldorf gefeiert. Für Radio Regenbogen habe ich auf dem Feldberg bei den legendären Gipfelpartys aufgelegt, wo die Spider Murphy Gang und Dieter Thomas Kuhn gespielt haben, da waren 15.000 Leute vor der Bühne.

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Kemper: Ja. Die Auflagen sind viel strenger geworden. Aber noch ein wichtiger, dritter Faktor, war der Einzug der mobilen Devices.

Warum das?

Kemper: Früher ist Musik limitierter gewesen. Man hat Musik nur im Radio gehabt, später dann auch im Fernsehen bei MTV, im Club und auf einem Konzert. Wir haben den Leuten etwas präsentiert, was es am freien Markt nicht unbedingt gab. Heute ist Musik immer und überall zu haben. Jede Kneipe hat heute ihre Spotify-Playlist und bis drei Uhr geöffnet. Man braucht also nicht mehr notwendigerweise den Club, für den man noch mal Eintritt bezahlt und wo die Getränke teurer sind.

Eisele: Das war genau die Übergangszeit. Ich weiß noch, wie du im Zapatto mal kurz vor mir aufgelegt hast. Du hast diese großen Koffer gehabt. Ich hatte mir im Internet schon digital die Songs gekauft, was schon wesentlich weniger Schlepperei war. Dann kam schnell die DJ-Software mit den Songs im Computer. Heute schleppt kaum ein DJ mehr Plattenkisten, die haben alles auf einem USB-Stick und ihr Set schon weitestgehend vorbereitet.

Aber auch heute gilt: Als DJ muss man aber immer noch die Crowd lesen können und wissen, was die Leute gerade hören wollen ...

Kemper: Ja klar, du musst immer noch das gleiche Talent haben. Das Handwerkszeug ist vielleicht ein bisschen einfacher. Ich habe aber auch schon beobachtet, dass ein DJ seine Playlist einfach noch mal abspielt, weil sie ja vor drei Wochen auch funktioniert hat.

Während ein paar Leute um einen bestimmten Song betteln, aber er spielt ihn einfach nicht ...

Kemper: Das hat mich früher schon gestört und stört mich immer noch. Gerade heute, wo es so einfach ist. Wenn ein DJ sagt, das Lied hat er nicht, dann sage ich: Lad´s runter, schnell!

Eisele: Beim Zusammenstellen einer Playlist bekommt man sehr viele Vorschläge bei Spotify und den anderen Plattformen automatisch. Aber dadurch fehlt leider das überraschende Element, was ja eigentlich das Coole daran ist: Wenn aus dem Nichts so ein ganz anderer Song kommt und alle ausflippen.

Sehnen Sie sich manchmal zurück nach den 1990ern?

Eisele: Auf jeden Fall! Ich bin ja eher Rock-Musiker, und diese Richtung war damals viel präsenter und hatte viel mehr Platz in der Partyszene. Wenn man damals zur richtigen Zeit Oasis gespielt hat, sind alle ausgeflippt. Gitarrenmusik ist heute irgendwie raus.

Kemper: Die 90er waren unsere Jugend. Ich glaube, jeder erinnert sich daran gerne zurück.

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