Es sind schon emotionale Momente: Dort, wo sich fast ein ganzes Jahr lang Deutsche und Franzosen Tag und Nacht gegenseitig bekriegt und beschossen haben, dort, wo 26 Millionen Granaten die Körper von 300 000 französischen und deutschen Soldaten zerfetzt und zerstückelt haben, dort, wo im sogenannten Beinhaus heute schließlich die Knochen von 130 000 „unbekannten Soldaten“ begraben liegen und sich 1984 Helmut Kohl und François Mitterand eine Marseillaise lang die Hand hielten, dort stehen jetzt Franzosen und Deutsche herzlich vereint. Unter den rund 40 Personen aus Mannheim und Verdun sind Pascale Trimbach, Präfektin des Département Meuse (Maas), Mannheims Honorarkonsul Folker Zöller und Polizeipräsident Siegfried Kollmar, Frédéric Petit, stellvertretender Generalsekretär der Europäischen Demokraten, der ehemalige REM-Generaldirektor Alfried Wieczorek, der stellvertretende Sparkassenvorstand Helmut Augustin, der französische Botschafter Philippe Voiry und Jazzer Olaf Schönborn.
Tausende weiße Kreuze
Verdun. Es ist der 22. Januar 2022. Auch Monseigneur Jean-Paul Gusching ist da. Der Bischof von Verdun empfängt die Mannheimer vor dem Ossuaire (Beinhaus). 104 Jahre zuvor soll einer seiner Vorgänger, Monseigneur Ginisty, gleich in den ersten Stunden des Waffenstillstands die Schlachtfelder besucht und das Grauen gesehen haben. Für Verdun die ideelle Geburtsstunde für die heutige Weihestätte, in der sich auch eine Kapelle befindet.
Es ist das erste Mal, dass so etwas stattfindet. Für Honorarkonsul Zöller, der das Treffen initiiert und mit dem Institut Français durchgeführt hat, sind die Beziehungen zum Nachbarn ein tiefes Anliegen. Wenn er über Frankreich und Deutschland redet, wird er ernst: „Es war für mich ein bewegender Moment, an dem Ort der größten kriegerischen Auseinandersetzung unserer beiden Länder an diesem besonderen Tag unsere Freundschaft zu feiern.“ Tausende weiße Kreuze auf dem französischen Friedhof von Douaumont flankieren den Ort im Abfallen in ein Tal, das seinen Schrecken immer noch nicht verloren hat. Was hier stattfindet, ist Erinnerungskultur in Reinform.
Die Erinnerung, das Gedenken - das ist das eine, was die Mannheimer Delegation nach Verdun führt. Mindestens genauso wichtig aber ist die Pflege der Freundschaft. „Sie können Tausend Papiere schreiben“, wird Polizeipräsident Kollmar am späteren Abend sagen, „das Wichtigste aber ist, Menschen zusammenzubringen, in Sportveranstaltungen oder, wie hier, in einem Konzert mit jungen Musikern beider Nationen.“ Am Morgen schon hatte Kollmar sich mit einem Oberst und einem Oberstleutnant der Gendarmerien aus Paris und der Maas über eine Intensivierung der Zusammenarbeit ausgetauscht. Es wird schon viel getan. Es geht aber mehr, befindet Kollmar. Bislang war der Spitzenbeamte nicht so aktiv in den Beziehungen zum Nachbarn, jetzt aber wolle er das ändern, wie er sagt.
Die Deutschen werden in Verdun mehr als 100 Jahren nach dem Ersten und mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg herzlich aufgenommen. Die Band Engin der Popakademie, ein Jazzquartett um Schönborn und Musikschulleiter Björn Strangmann sowie Mitglieder des Institut Français von Virginie Jouhaud-Neutard (die mit „Göttingen“ von Barbara auch einen musikalischen Beitrag liefert) treffen in der „Soirée Franco Allemande - la mélodie de l’amitié“ im Weltzentrum für Frieden, Freiheit und Menschenrechte auf junge Gitarristen und den Rapper Erostratt aus Verdun. Es gibt Musik aller Genres, deutsches Bier und französischen Wein, Bratwurst und Baguettes, Sauerkraut und Crêpes. Klassik und Rock.
Bis zum nächsten Mal
Ist das der Beginn einer großen Liebe? Könnte sein. Denn das Treffen gestaltet sich als harmonisch, man feiert gemeinsam, achtet sich, macht Pläne. Auch Madame la préfète ist beglückt, und als Saxofonist Olaf Schönborn sich in (fast) perfektem Französisch mit dem Quartett von der Bühne verabschiedet, sagt er: „à la prochaine“ - bis nächstes Mal. „Solche Abende sind ein wichtiger Beitrag, um die Freundschaftsverträge mit Leben zu erfüllen“, meint Schönborn, „sie bringen die Menschen zusammen, präsentieren Künstler beider Länder, führen zu Begegnungen mit der anderen Kultur und vor allem zu Gesprächen und gemeinsamen besonderen Momenten.“
Die vielen Bekenntnisse ließen sich gleich im kommenden Jahr einlösen. Da feiert die Unterzeichnung des Elysée-Vertrags durch Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle einen runden Geburtstag. Den Sechzigsten.
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