Reportage

Mannheim: Eindrücke aus einer leeren Stadt

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cap
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Wie sieht es aus in Mannheim, um 21 Uhr, dem Beginn der Ausgangssperre? Ein Blick auf die Planken in der Innenstadt. © Christoph Bluethner

Mannheim. Mannheim gilt nicht gerade als Stadt, in der die Bordsteine am frühen Abend hochgeklappt werden. Im Gegenteil, die Innenstadt der Kurpfalzmetropole ist normalerweise ein Ort, an dem das Leben pulsiert. Am Freitagabend bietet sich jedoch gegen 20.45 Uhr ein ganz anderes Bild: Menschenleere Trottoirs, wenige Autos fahren auf den Straßen zwischen Planken und Wasserturm. Die Atmosphäre wirkt fast ein wenig bedrohlich, erinnert an eine Szene aus einem dystopischen Science-Fiction-Film. Denn ab 21 Uhr beginnt die Ausgangssperre. Wer sich bis 5 Uhr morgens ohne plausiblen Grund draußen aufhält, verstößt gegen die Auflage.

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Wer etwa mit dem Hund raus muss, darf das tun. So sind an diesem Abend vor allem Hundehalter unterwegs, die mit ihren Vierbeinern Gassi gehen. Einer von ihnen ist Jakob Hollmer, der noch kurz vor der Sperrung mit seinem Husky Panda nahe der Kunsthalle unterwegs ist. Holler ist gerade auf dem Heimweg. „Ich muss später trotzdem noch mal raus", sagt er. Die Ausgangssperre interessiert ihn wenig. „Man kann eh nichts anderes machen“, sagt er, während er seinem Hund den Kopf tätschelt.

Eine weitere Hundehalterin wartet gerade an der Ampel darauf, in Richtung Kunststraße zu laufen. Die Ausgangssperre empfindet die Mannheimerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, als Frechheit. „Ist das Virus zwischen 21 und 5 Uhr schlimmer?“, erbost sie sich. „Hier geht es nicht mehr um Corona. Der Mittelstand wird gegen die Wand gefahren.“ Sie betont, dass es ohnehin ruhiger geworden sei, seitdem die Gastronomen aufgrund des Lockdowns schließen mussten. Als die Ampeln grün werden, läuft sie über die Straße und verschwindet in der Nacht.

Am Plankenkopf, wo normalerweise viel los ist, ist es still und nur wenige Bürger sind noch unterwegs. Hier eine Familie, die auf dem Heimweg zu sein scheint. Dort zwei junge Männer, die von den Polizisten freundlich auf die Ausgangssperre aufmerksam gemacht werden. Und sich dann ohne zu Murren entfernen. Ein Lieferant in orangener Uniform wartet vor einem Fastfood-Restaurant. „Ich muss noch eine Lieferung machen“, sagt Cosmin Ioana. „In 30 Minuten bin ich fertig.“ Vor einem Geschäft für Sportbekleidung werfen zwei Männer Müll in ihre Tonne. Eine Kleingruppe läuft von der Fressgasse über den Münzplatz am Einkaufszentrum Q6/Q7. Auch sie scheinen auf dem Weg nach Hause zu sein. Die Fahrbahn ist angenehm autofrei. Nur wenige Autos passieren die Straße, von Posern keine Spur.

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Der Paradeplatz, der Marktplatz und die Breite Straße sind gespenstisch leer. Lediglich ein paar gut genährte Ratten flitzen an den Bänken entlang und verschwinden rasch unter einem Kioskhäuschen. Polizisten in Zweiergruppen sind in der Stadt unterwegs, zudem sehen auch Beamte in Autos nach dem Rechten.

Die Straßenbahnen sind weiterhin unterwegs. An den Haltestellen warten vereinzelt Leute auf die Bahn. So auch eine fünfköpfige Familie aus Ludwigshafen, die vom Paradeplatz nach Hause fahren will. Die Mutter, die anonym bleiben will, ist genervt von den allgemeinen Maßnahmen, die die Freizeitmöglichkeiten für Kinder stark eingrenzen. Aber: „Die Ausgangssperre ab 21 Uhr finde ich in Ordnung.“

Einen Steinwurf entfernt, am Marktplatz, warten auch Sebastian und Bianca auf die Straßenbahn. „Die Ausgangssperre finde ich nicht normal“, sagt der Schüler. „In der Straßenbahn sitzen alle nebeneinander und in der Schule sind viele Leute zusammen.“ Die 18-Jährige Bianca aus dem Jungbusch findet es übertrieben, dass sie ab 21 Uhr nicht mehr aus dem Haus darf. Als ihre Bahn kommt, verabschiedet sie sich von Sebastian und steigt ein. Der junge Edinger muss in die andere Richtung fahren und bleibt in der Kälte zurück.

 Halid läuft schnellen Schrittes die Breite Straße entlang zur Haltestelle. Er kommt gerade von der Arbeit. Als sein Chef am Donnerstag von der Ausgangssperre erfahren hat, stattete er seine Mitarbeiter mit einer schriftlichen Genehmigung aus.  Vorzeigen musste der Mannheimer, der kurz vor 22 Uhr auf die Bahn wartet, sie bisher noch nicht. „Die Ausgangssperre finde ich schwachsinnig", moniert er. Doch jetzt geht es für ihn erstmal nach Hause.

 Lediglich in den S-Quadraten ist laute Musik und Gegröle aus einer Wohnung zu hören; die Geräuschkulisse dringt von einem Fenster aus nach unten. Sonst ist es totenstill. Inzwischen ist es 22 Uhr. Zurück auf den Planken hört man lediglich das Krächzen eines Raben. Aaron von Pilgrim führt gerade seinen Hund aus. „Die Ausgangssperre ist unverhältnismäßig, da in anderen Bereichen gespart wird.“ Etwa im Schulbereich. Außerdem dauere die Auswertung der Corona-Tests zu lange, bemängelt der junge Mann bevor er mit seinem Vierbeiner weiter in Richtung Paradeplatz flaniert.

Inzwischen sind nur noch wenige Autos unterwegs und man begegnet kaum noch anderen Menschen im Freien. Die meisten sind  wohl inzwischen daheim, machen es sich dort vor dem Fernseher gemütlich oder schlafen bereits. Und die Stadt bleibt weiterhin so still, wie man sie selten erlebt. 

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