Auto, Aufzug, TÜV

Mannheim: Die Stadt der Erfindungen

Von 
Peter W. Ragge
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Man kann sie gar nicht alle zählen: Auf über 300 Erfindungen, Ideen, Patente, geistesgeschichtliche Denkanstöße und kulturelle Fortschritte, angestoßen durch Mannheimer oder in Mannheim, kam der frühere Stadtrat Paul Buchert schon vor 20 Jahren. Ständig werden es mehr. „In Mannheim wird die Zukunft gemacht“, formulierte das Stadtmarketing daher mal. Das stimmt, wie diese – nur beispielhafte – Liste zeigt. 

Das Auto

Es soll zwar schon US-Präsidenten und Stuttgarter Ministerpräsidenten gegeben haben, die sich da irrten – doch historisch ist klar: Das Automobil ist in Mannheim erfunden worden. Der Mannheimer Ingenieur und Unternehmer Carl Benz (1844-1929) entwickelt den selbstfahrenden Wagen mit Benzinmotor, startet Ende 1885 mit einem Prototyp zu Testfahrten in den Quadraten und auf dem Ring und erhält am 29. Januar 1886 dafür das Reichspatent mit der Nummer 37435.

Der Führerschein

Erstes Auto – also auch erster Führerschein: Die erste Fahrerlaubnis ist vom Großherzoglichen Bezirksamt Mannheim handschriftlich für Carl Benz ausgestellt worden, am 1. August 1888, als „Berechtigung zur Durchführung von Versuchsfahrten mit einem Patentmotorwagen“ in Mannheim. Das Papier ist Benz wichtig, denn das knatternde und stinkende Gefährt macht manchen Menschen auf den holprigen Straßen Angst. Als Bertha Benz im August 1888 mit ihren 13 und 15 Jahre alten Söhnen ohne Wissen ihres Mannes nach Pforzheim aufbricht, um die Alltagstauglichkeit der pferdelosen Kutsche zu beweisen, ist sie die erste Frau am Steuer und unternimmt die erste Fernfahrt.

Der Aufzug

Einen halben Meter in der Sekunde schafft er, mehr als 8000 Menschen hievt er empor: der erste elektrische Aufzug der Welt gilt als technische Sensation. Werner Siemens führt ihn ab 11. Juli 1880 in Mannheim vor. Schauplatz ist die „Gewerbliche und Landwirtschaftliche Ausstellung des Pfalzgaues“ im damaligen Botanischen Garten zwischen Schloss und Parkring, danach umgestaltet und Friedrichspark genannt. Es ist „der erste und erfolgreiche Versuch, ein Hebezeug elektrisch zu betreiben“, so zeitgenössische Dokumente.

ISDN

Ein wichtiger Meilenstein der Telekommunikation ist der ISDN-Pilotversuch in Mannheim 1987, auch wenn man heute darüber schmunzelt. Man könne „gleichzeitig telefonieren und über dieselbe Leitung ein Bild oder eine Zeichnung übermitteln“, wird das „Dienstintegrierte digitale Fernmeldenetz“ in dieser Zeitung bejubelt. Von einem „neuen Fernmelde-Zeitalter“ ist die Rede, das in Mannheim seinen Ausgang nimmt. 1989 beginnt dann bundesweit der Betrieb.

Raketenflugzeug

Noch bis kurz vor seinem Tod im November erläutert er staunenden Besuchern im Technoseum seine dort gezeigte Erfindung: Julius Hatry. Auf den 1907 geborenen Mannheimer Ingenieur geht das erste raketengetriebene Flugzeug zurück und der erste öffentliche Raketenflug der Welt – eine neue Ära der Luftfahrt. Am 17. September 1929 startet Hatry auf einem Acker bei Rüsselsheim, legt 350 Meter in zehn Metern Höhe zurück und setzt das hölzerne Vehikel mit seinen stoffbespannten Tragflächen wieder auf dem Boden auf. 1983, beim Start des Spacelab, wird Hatrys Konstruktion der Weltöffentlichkeit als Prototyp des Spaceshuttle vorgestellt.

Traktor

John Deere baut noch heute viele Traktoren in Mannheim – denn hier fängt alles an. Die Firma Heinrich Lanz, Produzent landwirtschaftlicher Geräte, stellt 1921 auf der Landwirtschaftsausstellung in Leipzig den Prototyp eines von Fritz Huber entwickelten Rohölschleppers mit zwölf PS und Glühkopfmotor vor. Wegen seines Aussehens, das einer Bulldogge gleicht, wird er „Lanz-Bulldog“ genannt. 1956 fusioniert die Firma Heinrich Lanz mit dem amerikanischen Landmaschinenhersteller John Deere. Der gilt heute in der Präzisionslandwirtschaft als Vorreiter – mit GPS für Traktoren sowie Sensoren, die messen, wo wie viel Dünger ausgebracht worden ist.

Fahrrad

Vier Poststunden in einer, aus eigener Kraft – in der damaligen Zeit ist unfassbar, wovon Drais träumt. Die Menschen staunen über „ein Pferd, das nichts frisst“. Sie meinen das Fahrrad beziehungsweise den Vorgänger. Am 12. Juni 1817 hat Drais die erste Fahrt mit seiner zweirädrigen Laufmaschine von Mannheim Richtung Schwetzingen gemacht. Die Strecke schafft er vier mal schneller als die Postkutsche.

Industrieroboter

2015 startet ABB in Mannheim eine neue Ära der industriellen Automatisierung: mit YuMi. So heißt der weltweit erste kollaborative Zweiarm-Roboter. „Kollaborativ“ heißt, dass Menschen und Roboter Seite an Seite arbeiten – erstmals ohne Schutzzäune. Ob bei Computern, Mobiltelefonen, Digitalkameras, Uhren oder Spielzeug – der fleißige Helfer kommt überall zum Einsatz, wo es um die präzise Montage von Kleinteilen geht. Der Mensch überwacht die Produktion, der Roboter leistet die monotone, schwere und gesundheitsgefährdende Arbeit. Der Roboter gewinnt den renommierten Innovationspreis „Invention and Entrepreneurship Award in Robotics and Automation“ (IERA).

Mini-Kraftwerk

Ein Lego-Baukasten ist das Vorbild: Modular Power Plant nennt sich das patentierte Kleinkraftwerk, das Caterpillar Energy Solutions (2011 aus den Mannheimer Motorenwerken hervorgegangen) entwickelt hat. Wie ein Fertighaus besteht es aus vorgefertigten Elementen und kann in nur zwölf Tagen aufgebaut werden – ohne vor Ort schweißen zu müssen. So sind Strom und Wärme dezentral auch in Regionen mit einer schwachen Infrastruktur schnell und zuverlässig verfügbar. Der Gasmotor kann über 1000 Haushalte mit Strom versorgen, ebenso im Bergbau oder Krankenhäusern in Entwicklungsländern eingesetzt werden. Man kann es stufenweise auf bis zu sechs Einheiten erweitern.

Die Datenbrille

Jeder hat wohl schon einmal mit der Bedienungsanleitung gekämpft, wenn es darum geht, ein Möbelstück aufzubauen. Noch viel schwerer ist es, eine komplizierte Maschine oder aufwendige Produktionsschritte nachzuvollziehen. Dafür hat die ioxp GmbH aus Mannheim mit Cognitive AR ein sogenanntes Augmented Reality Assistenzsystem für die Industrie entwickelt. Setzt man die Datenbrille auf, erklärt sie virtuell, Schritt-für-Schritt in das Sichtfeld eingeblendet, an welcher Position man anpacken oder ein Teil einbauen muss. Wer einen Fehler macht, wird gewarnt – dann erscheint virtuell die Hand rot eingefärbt.

Blutzuckermessgerät

Das erleichtert das Leben für unzählige Diabetes-Patienten, erspart viele Arztbesuche: Nur ein Tropfen Blut auf einem Teststreifen reicht, schon zeigt das Gerät den Blutzuckerspiegel an. Roche (damals Boehringer Mannheim) hat 1983 das Blutzuckermessgerät für zu Hause auf den Markt gebracht und 2009 zu „Accu-Chek Mobile“ auch für unterwegs weiterentwickelt. Inzwischen können die Werte automatisch an eine App auf dem Smartphone übertragen werden – für weitere Diagnosen.

„Mannheimer Schule“

„Wie ich Mannheim liebe, so liebt auch Mannheim mich“, hat er am 12. November 1778 nach Hause geschrieben, weil er beim höfischen Publikum so gut ankommt: Wolfgang Amadeus Mozart. Bei vier Aufenthalten von zusammen 176 Tagen lebt, arbeitet und feiert das junge Musikgenie in Mannheim. Kurfürst Carl Theodor lauscht ihm gerne, beauftragt ihn mit Musikunterricht für seine unehelichen Kinder im Palais Bretzenheim – aber die ersehnte Stelle als Kapellmeister erhält Mozart vom Kurfürsten nicht. Doch die Hofkapelle jener Zeit schafft mit Crescendo oder der „Rakete“ einen modernen Orchesterklang und die Symphonie in ihrer heutigen Form, weshalb die Klassik von der „Mannheimer Schule“ spricht.

Freiwillige Feuerwehr

Er ist 1818 in Heidelberg geboren, aber aufgewachsen in Feudenheim: Carl Metz. Nach seinen Wanderjahren gründet der Schlosser eine „Fabrik hydraulischer Maschinen, Eisen- und Messinggießerei“. Dort baut er Feuerspritzen und Rettungsgeräte. Aber Metz verkauft nicht allein Gerät, sondern Wissen. Er bietet den Käufern stets an, dass er eine Mannschaft einübt, und plädiert dafür, regelmäßig trainierende, dafür ausgebildete und ausgerüstete Männer mit der Brandbekämpfung zu betreuen – Freiwillige. Das Wort „Freiwillige Feuerwehr“ ist damit zwar noch nicht geboren, aber heute gilt Metz als Wegbereiter der Freiwilligen Feuerwehren.

„Mannheim-Gen“

Ein Enzym-Gen trägt den Namen Mannheim, weil 2005 am Universitätsklinikum eine Forschergruppe um Professor Fokko van der Woude eine wichtige genetische Ursache des Nierenversagens bei Diabetes entschlüsselt. Die als „Mannheim-Gen“ benannte Variante des Gens CNDP 1 bewirkt, dass nur in geringem Umfang ein Enzym produziert wird, welches das nierenschützende Eiweiß Carnosin aufspaltet. Die Erkennung des Gens hilft Diabetikern, ihr persönliches Risiko einer Nierenschädigung abzuschätzen. Das Gen sitzt auf dem Chromosom 18.

Spaghetti-Eis

Er ist 17 Jahre jung, als er 1969 in der Eisdiele seines Vaters in Mannheim mit einer Spätzlepresse experimentiert: Dario Fontanella. Er will eine grün-weiß-rote italienische Fahne aus Pistazien-, Zitronen- und Erdbeereis gestalten. Das gelingt nicht so ganz, aber er probiert weiter und es entsteht etwas anderes – das Spaghetti-Eis. Mit Vanilleeis, Erdbeersoße und weißen Schokostreuseln oder Kokosraspeln sieht es aus wie Nudeln mit Tomatensoße und Käse. Leider hat Fontanella nicht die 900 D-Mark Gebühr gezahlt, um sich seine Kreation patentieren zu lassen. Als Erfinder gilt er dennoch.

Näherungsschalter

Ein Funke kann eine Explosion auslösen. Die chemische Industrie braucht daher Schalter zur Steuerung ihrer Anlagen, bei denen das nicht passieren kann. Obendrein ist er verschleißfrei, weil sich die entscheidenden Teile nicht berühren, sondern nach präzise einstellbaren Abstand über einen Magnetverstärker Strom ein- oder ausschalten. Diese Erfindung gelingt 1958 in Mannheim in dem als Rundfunkwerkstatt von Walter Pepperl und Ludwig Fuchs gegründeten Unternehmen Pepperl+Fuchs.

TÜV

„Ich muss zum TÜV“ – den Satz hat jeder schon einmal gesagt. Dabei handelt es sich um eine Mannheimer Erfindung. Schuld ist eine Dampfkesselexplosion in der Mannheimer Brauerei zum „Großen Mayerhof“ in E 4 im Jahr 1885, als sie Maische erhitzt. Daraufhin setzen sich am 6. Januar 1866 in einem Café in D 2 in Mannheim 22 Unternehmer zusammen und gründen die „Gesellschaft zur Überwachung und Versicherung von Dampfkesseln“. Sie soll durch regelmäßige Überprüfungen der Kessel künftige Unglücke verhindern. Das gilt als Geburtsstunde der technischen Überwachungsvereine in Deutschland.

Redaktion Chefreporter

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