Mannheim. „Eine anstrengende, aber beglückende Aufgabe“, so umschreibt Waltraud Eschelbach Bereitschaftspflege. 20 Kindern hat sie ein liebevolles Zuhause auf Zeit gewährt. Ein Mädchen und ein Junge leben inzwischen dauerhaft in der Familie.
Unlängst ist die 69-jährige Mannheimerin mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet worden. Als „Vorbild für das Gemeinwesen“ hat sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewürdigt.
Von der Geburtsstation zu den Pflegeeltern
Ursprünglich arbeitete Waltraud Eschelbach in einem Büro. Als die Firma dicht machte, hörte sie eher zufällig, dass die Jugendbehörde der Stadt Familien sucht, die Kinder in Krisensituationen zeitlich begrenzt aufnehmen. Die Mutter von zwei Töchtern, damals zehn und zwölf Jahre alt, meldete sich.
Nach vielen Gesprächen und einigen Hausbesuchen war es 1999 soweit: Ein wenige Tage altes Mädchen wurde direkt von der Geburtsstation eines Krankenhauses gebracht - „damals noch per Taxi, was schon lange nicht mehr üblich ist“, blickt Waltraud Eschelbach zurück: „Plötzlich zu fünft! Wir waren alle sehr aufgeregt.“
Weil die leibliche Mutter aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage war, ihr Kind zu versorgen, sollte eine geeignete Dauerpflegestelle gesucht werden. Bis diese gefunden war, verbrachte das Baby die ersten vier Monate seines Lebens liebevoll umsorgt bei den Eschelbachs.
20 Mädchen und Jungen von Mannheimerin Eschelbach auf Zeit betreut
Inzwischen hat die Bereitschafts-Mama 20 weitere Mädchen und Jungen auf Zeit betreut. Meist einige Monate, manchmal auch deutlich länger. „Ein Mädchen blieb fast drei Jahre bei uns.“ Denn oftmals gilt es, Kinder aus schwierigen Verhältnissen, kombiniert mit eskalierenden Konflikten, in Obhut zu nehmen.
Pflegeeltern gesucht
- Das Jugendamt der Stadt Mannheim sucht dringend Familien, Paare oder auch Einzelpersonen, die Kinder wie Jugendliche auf Zeit oder dauerhaft aufnehmen. Sie sollten offen, emotional belastbar, kooperativ sein und in gesicherten Verhältnissen leben. Telefonischer Kontakt 0621/ 293-62 60.
- Über Bereitschaftspflege (für Kinder bis sechs Jahre) informiert am Dienstag, 4. Juni, 18 Uhr, der Pflegekinderdienst des Jugendamtes in seinen Räumen am Kaiserring 14-16. Anmeldung per E-Mail erbeten: pflegekinderdienst@mannheim.de
- Weitere Informationen stehen unter www.mannheim.de/pflegeeltern.
Nicht nur die jeweiligen Schicksale sind vielfältig, es bedarf außerdem unterschiedlich viel Zeit, ehe geklärt ist, ob eine Rückkehr in die Herkunftsfamilie beziehungsweise zu einem Elternteil möglich ist, ob Großeltern bereit und in der Lage sind, Erziehungsverantwortung zu übernehmen, ob sich eine Alternative, beispielsweise eine Mutter-Kind-Einrichtung, anbietet. Erst dann kann nach einem passenden Zuhause in Dauerpflege gesucht werden.
Große Herausforderung: Eingliederung in eine richtige Familie
„Bei Anruf Kind!“ Mit dieser Schlagzeile bringen Medien Bereitschaftspflege häufig auf den Punkt. Sich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf ein Kind einzulassen, das womöglich schon sehr viel durchgemacht hat, davon kann auch Waltraud Eschelbach berichten. Aber wenn irgendwann später das Kennenlernen der dauerhaften Ersatz-Eltern ansteht, so betont sie, werde Zeitdruck ganz bewusst vermieden.
Für uns ist jedes Mal herzzerreißend, wenn das Bettchen das erste Mal abends leer bleibt
Meist laufe der „hochsensible“ Eingewöhnungsprozess über sechs bis zehn Wochen - „in Absprache mit dem Jugendamt“. Sie schildert, wie gegenseitige Besuche ausgebaut werden. „Wichtig ist, das Kind im Alltag zu erleben. Beim Füttern, Spazierengehen, ins Bettbringen.“ Sie weiß nur zu gut, dass der Rückzug einer Bereitschafts-Mama behutsam und schrittweise erfolgen muss.
Zu ihren Erfahrungen gehört auch: „Für uns ist jedes Mal herzzerreißend, wenn das Bettchen das erste Mal abends leer bleibt“ - weil das Kind bei der neuen Familie schläft. Auch nach der „Übergabe“ ist es für Waltraud Eschelbach selbstverständlich gewesen, ihren jeweiligen Schützling weiterhin regelmäßig zu besuchen - „das gibt Sicherheit“. Zumal, wenn ein Kind schon einmal erlebt hat, dass die Mama plötzlich nicht mehr da ist.
Bereitschaftspflegerin Eschelbach aus Mannheim mittlerweile zweifache Oma
Bevor ein neues Pflegekind auf Zeit in die Familie kam, nahm Waltraud Eschelbach stets die Möglichkeit einer „Auszeit“ in Anspruch. „Meist um die acht Wochen.“ Nach zwei Monaten, so sagt sie, wäre sie auch sicher gewesen, dass sich der „abgegebene “ Schützling in dem neuen Zuhause eingewöhnt hat und von ihr keine zusätzliche Begleitung mehr braucht.
Wenn die 69-Jährige - inzwischen zweifache Oma - von den Herausforderungen einer Mama auf Zeit erzählt, blitzt auf, dass die gesamte Familie mitzieht. „Mein Mann ist so etwas wie der Ruhepol.“ Und weil die Eschelbachs ein Team sind, ist Lisa (Name geändert) einfach in der Familie geblieben, als sich für das mit zehn Monaten aufgenommene Mädchen keine geeignete Dauerpflegestelle fand. „Sie ist für uns eine Tochter“, sagt Waltraud Eschelbach und erzählt stolz, nächstes Jahr mache sie Abitur.
Mannheimerin Eschelbach noch mit vielen ehemaligen Schützlingen in Kontakt
Dauerhaft aufgenommen hat die Familie vor einigen Jahren außerdem einen schwer misshandelten Jungen. Längst ist er nicht mehr abgemagert, außerdem sind Brüche und Hämatome verheilt - aber es blieben seelische Verletzungen, die bis heute nachwirken.
Gleichwohl ist Waltraud Eschelbach zuversichtlich, dass es dem Pflegesohn mit Liebe, Zuwendung und therapeutischer Hilfe gelingt, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten, bei Konflikten mit Gleichaltrigen weniger aggressiv zu reagieren und eine innere Balance zu finden. „Den Sprung in die Realschule hat er schon mal geschafft.“
Auch wenn Waltraud Eschelbach inzwischen keine Kleinkinder mehr in Bereitschaftspflege aufnimmt, so ist sie mit vielen ihrer ehemaligen Schützlinge in Kontakt. Es sei „wunderbar“ zu erleben, wenn Kinder, die es nicht einfach hatten, ihren Weg gehen. Sie erzählt von einem einst in Obhut genommenen Jungen, bei dem sich aufgrund des Alkoholkonsums der Mutter während der Schwangerschaft massive Verhaltensauffälligkeiten entwickelten. „Und jetzt hat er seine Lehre abgeschlossen.“
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