Mannheim. An seiner Schule habe es das nicht gegeben, sagt Winfried Kretschmann: Dass sich so viele prominente Persönlichkeiten dem Gespräch mit Schülern stellen. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts war schon im Lessing-Gymnasium zu Gast, genau wie die damalige Kultusministerin. Und am Freitagvormittag ist eben der Ministerpräsident an der Reihe. Winfried Kretschmann fährt in der schwarzen Elektro-Limousine auf dem Schulhof vor, ein kurzes Winken, ein leises „Guten Morgen“ - und schon sitzt der Grünen-Politiker auf dem Podium im Theaterkeller.
Acht Millionen Euro verschwendet
Diese Ausgabe des Lessing-Forums sei der Höhepunkt eines denkwürdigen Schuljahres, sagt Gemeinschaftskunde-Lehrer Bernhard Bildstein, der die Veranstaltung mit den Klassen 10b und 10c vorbereitet hat. Die Masken vor den Mündern zeugen vom neuen Pandemie-Zeitalter. Trotzdem ist man froh, dass Veranstaltungen wie diese jetzt wieder möglich sind. „Ich habe noch nie eine so große Freude verspürt, wieder vor Schülern zu stehen“, erzählt Schulleiter Jürgen Layer über den Neustart des Präsenzunterrichts.
Das Lessing-Forum
- Das Lessing-Forum soll den Schülern des Mannheimer Gymnasiums eine Möglichkeit bieten, mit bekannten Gästen aus Politik oder Wissenschaft ins Gespräch zu kommen.
- Die Jugendlichen bereiten die Diskussionen vor, moderieren und dokumentieren sie. Sie sollen so ihre sozialen Kompetenzen, aber auch die Diskussionskultur an der Schule stärken.
- Zu Gast waren bisher unter anderem Susanne Eisenmann (damalige Kultusministerin, CDU), Andreas Voßkuhle (früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts) und Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD). Zuletzt war im Juni Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble Referent des Forums – allerdings virtuell.
Die Schülerinnen und Schüler haben sich selbst Themen und konkrete Fragen für das Gespräch überlegt - natürlich geht es dabei auch um die Corona-Krise. Man habe sich von der Politik im Stich gelassen gefühlt, sagt Benjamin Heineke: In der Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten habe die Warnung von Kinder- und Jugendärzten vor den Folgen des Lockdowns keine Rolle gespielt. „Wie konnte es dazu kommen?“, will er wissen. Kretschmann sieht das erwartungsgemäß anders. Was denn die Alternative zum Lockdown gewesen wäre, lautet seine Gegenfrage. „Ich habe immer nur gehört: öffnen, öffnen, öffnen. Was wäre denn die Folge gewesen? Dass sich die Pandemie rabiat ausbreitet.“
Gleichwohl begegnet der frühere Lehrer Kretschmann den Jugendlichen auf Augenhöhe. Er spricht bedächtig und langsam, verzichtet auf Floskeln, zeigt sich auch nachdenklich und selbstkritisch. Die digitale Ausstattung der Schulen und ihrer Lernenden sei kein Ruhmesblatt für die Politik, gibt er zu: Mit der gescheiterten Lernplattform Ella habe das Land acht Millionen Euro „in den Sand gesetzt“. Natürlich ist das auch ein Seitenhieb auf seine frühere Kultusministerin und CDU-Konkurrentin Susanne Eisenmann. Mit einer grünen Kultusministerin und einer speziell für das Thema abgestellten Staatssekretärin soll nun alles schneller gehen, verspricht der Grünen-Politiker.
Sorge wegen Impfverweigerern
Nicht auf alles hat Kretschmann eine Antwort. Dass sich Millionen von Deutschen nicht gegen das Coronavirus impfen lassen wollen, bereitet ihm große Sorge. Wie kann man die Impfbereitschaft steigern, will Arwen Weiß wissen. „Das wüsste ich auch echt gerne“, seufzt Kretschmann. Eine Impfpflicht werde es nicht geben - aber es könne schon sein, dass Impfverweigerern bestimmte Freiheiten vorenthalten bleiben. Die Pandemie sei noch nicht ausgestanden, warnt der Ministerpräsident: Es komme inzwischen vereinzelt vor, dass sich Zweifachgeimpfte mit dem Virus infizieren. Bisher habe man geglaubt, dass bei einer Impfquote von 70 bis 80 Prozent Herdenimmunität erreicht sei. „Davon können wir heute nicht mehr ausgehen.“
Ihr habe der Auftritt des Ministerpräsidenten gefallen, sagt Zehntklässlerin Emma Uhrig nach der Diskussion. Besonders interessant fand sie, dass der Politiker auch den einen oder anderen Einblick in Persönliches gewährte. Ob er sich manchmal wünsche, nicht mehr so viel Verantwortung zu tragen, fragt ein Schüler. „Nee“, antwortet Kretschmann: „Ich denke mir nicht: Ach, wäre ich jetzt nur in Australien. Solche Fluchtgedanken darf man nicht haben - sonst wird man dem Amt nicht gerecht. Wenn ich diese Verantwortung irgendwann nicht mehr tragen will, dann werde ich aufhören.“
Einziges Problem - der Schlaf
Noch denkt er aber nicht daran. Schließlich ist der 73-Jährige gerade in seine dritte Amtszeit gestartet. „Ich bin ja ein alter Kerle“, sagt Kretschmann. Seine Kinder sind erwachsen. Für ihn sei es da leichter, Politik und Privates unter einen Hut zu kriegen, als zum Beispiel für seinen neuen Finanzminister Danyal Bayaz, der gerade Vater geworden ist. „Das einzige Problem für mich ist die ständige Frage: Habe ich genug Schlaf? Alles andere kriege ich hin.“
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