Bildung

Kinderbetreuung in Mannheim: Kaum Plätze und gekürzte Öffnungszeiten

Seit Jahren ist die Kinderbetreuung in Mannheim ein Problem. Was Platzmangel und gekürzte Öffnungszeiten für Eltern bedeuten: Von Dauerstress über finanzielle Probleme bis hin zu Arbeitslosigkeit - Betroffene berichten

Von 
Susanne Merz und Ilgin Seren Evisen
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Mannheim. Ab September gelten in Mannheim gekürzte Öffnungszeiten in allen Kitas, Kindergärten und in den städtischen Horten. Die Einrichtungen von Stadt, Evangelischer und Katholischer Kirche sind dann nur noch von 7.30/ 8 Uhr bis 16/16.30 Uhr geöffnet und freitags bis 15 Uhr. Damit will die Stadt dem Fachkräftemangel und dem damit einhergehenden Mangel an Kita-Plätzen begegnen.

Dagegen haben Elterninitiativen mobil gemacht. Mit kreativen Aktionen und in Internetforen protestieren sie gegen die geänderten Öffnungszeiten und den Mangel an Betreuungsplätzen, der schon seit Jahren ein Problem ist. Denn: Für betroffene Eltern sind das bedeutende Einschnitte in ihr Leben. Von organisatorischem Dauerstress über finanzielle Einbußen bis hin zur Arbeitslosigkeit - Betroffene berichten.

Emotionaler Ausnahmezustand: Dauerstress für die Familie

William Gemkow ist empört: „Das geht schon seit Corona so. Keine verlässlichen Öffnungszeiten, man wird morgens angesprochen, ob man sein Kind wieder mitnehmen kann. Und jetzt gekürzte Öffnungszeiten.“ Gemkow und seine Frau haben drei Kinder, im Alter von zehn, fünf und eineinhalb Jahren. Der Jüngste geht in die Krippe, der Fünfjährige noch in den Kindergarten. Auch seine Frau arbeitet 20 Stunden in der Woche als Einkäuferin bei Porsche.

Sonja Siebert-Gemkow und William Gemkow arbeiten beide. © William Gemkow

„Seit vier Jahren operieren wir am Limit. Das kontinuierliche Stresslevel belastet unsere Familie“, sagt Gemkow. Er selbst ist Werksleiter bei einer Firma in Germersheim. „Ich kann nicht die Kinder um 8 Uhr in die Betreuung bringen und erst um 9 Uhr bei der Arbeit auftauchen. Um 8 Uhr Betreuungsbeginn ist viel zu spät!“, sagt er.

Am Ende bleibe die Mehrarbeit an seiner Frau hängen, das Bringen, Abholen und Betreuen. Zurzeit könne sie noch von zu Hause arbeiten, aber ihre Firma habe schon angekündigt, wieder zwei Tage die Woche Arbeit im Büro vor Ort zu verlangen: „Dann kann sie sich einen anderen Job suchen. Wie soll sie denn bei diesen Betreuungszeiten noch zweimal in der Woche nach Stuttgart fahren?“, fragt Gemkow.

Frauen sind die Leidtragenden der Situation

Und auch ihr Gehalt braucht die Familie, obwohl sie sicher zu den Gutverdienern gehört. „Wir haben eine Wohnung in Neckarau teuer saniert. Da laufen Kredite, die bedient werden müssen. Und die Kita-Gebühren sind um 25 Prozent gestiegen und die Betreuungszeiten wurden gekürzt“, empört sich der dreifache Vater. Ein anderer Aspekt ärgert Gemkow ebenfalls, denn „den Nachteil haben die Frauen, und es ist schlecht für unsere Wirtschaft, wenn die Frauen nicht arbeiten“. Und nicht nur das: „Frauen zahlen dann auch viel weniger in die Rente ein“, wie er richtig feststellt.

Öffnungszeiten

Stadt Mannheim arbeitet an Lösungen für betroffene Kita-Eltern

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Von
Bertram Bähr
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Von Bürgermeister Dirk Grunert, der für die Kinderbetreuung zuständig ist, verlangt er „eine Stellungnahme, was jetzt getan wird und einen konkreten Maßnahmenkatalog, was in den nächsten drei Jahren gemacht wird“, denn dieser sei Gemkow nicht bekannt. Er schrieb Grunert eine E-Mail, in der er um ein persönliches Gespräch bat: „Ich habe nicht damit gerechnet, dass er zustimmen wird. Aber: Er hat mir nicht mal geantwortet!“

„Ich musste meine Arbeitszeit auf 25 Stunden reduzieren“

Familie Böhler aus Rheinau hatte Glück, denn einen Platz hat sie zumindest bekommen. Ihr Sohn Jonas wird im Juli zwei und kann ab September in die Krippe gehen. Aber: „Obwohl ich 39 Stunden in der Woche arbeiten wollte, haben wir jetzt nur einen Platz von 8 bis 14 Uhr. Ich musste meine Arbeitszeit auf 25 Stunden reduzieren“,berichtet Angela Böhler. Sonst könnte sie ihren Sohn am Nachmittag nicht betreuen. Auch ihr Mann arbeitet 35 Stunden pro Woche. „Glücklicherweise ist mein Unternehmen familienfreundlich, so dass es mir erlaubt wurde, meine Arbeitszeit zu reduzieren“, sagt Böhler.

Jonas (v.l.) mit Oma Gabriele, Vater Tobias und Angela Böhler. © Susanne Merz

Aber finanziell werde es nicht einfach, denn: „Die Kosten bleiben die Gleichen bei weniger Gehalt.“ Und schon das zweite Jahr in Elternzeit hätte finanzielle Einbußen bedeutet, denn „meine einzige Einnahme war das Kindergeld, ich habe meinen Sohn betreut“, so Böhler. Eine private Betreuung sei für sie keine Alternative, denn „die sind noch teurer, das können wir uns nicht leisten“. Wie es nach dem Jahr in der Krippe aussehe, wisse sie nicht, denn dann müssen sie sich erneut bewerben, und bei reduzierter Arbeitszeit bekommt sie weniger Punkte im städtischen Vergabeverfahren.

„Ich bin jetzt vom Staat abhängig, dabei will ich arbeiten“

Für eine weitere Mutter aus Rheinau ist der Platzmangel in Krippe und Kitas noch dramatischer. Mona Mayzouni arbeitete bei einer großen Supermarktkette im Einzelhandel. Sie war festangestellt. Unbefristet. Sie ist alleinerziehend. Ihr erster Sohn geht schon in den Kindergarten. „Im städtischen Vergabeverfahren habe ich die höchste Punktzahl. Dennoch habe ich keinen Platz bekommen, als mein Sohn Adam drei wurde, weil es Fünfjährige gab, die noch keinen Platz und somit Vorrang hatten“, erzählt Mayzouni. Adam werde ab Mitte Oktober in den Kindergarten gehen.

„Mit der Eingewöhnung sind das acht Monate nach seinem dritten Geburtstag. Mein ehemaliger Arbeitgeber war sehr kulant, hätte mir eine Schicht von 9 bis 12 Uhr gegeben, aber solange konnte er nicht warten.“ Jetzt ist Mayzouni arbeitslos: „Ich bin jetzt vom Staat abhängig, mir wurde meine Unabhängigkeit genommen. Ich habe immer gearbeitet, mit 16 eine Ausbildung gemacht. Ich habe ja auch eine Vorbildfunktion für meine Kinder.“ Ihre Mutter habe sie früher viel unterstützt, sei aber krank geworden: „Sie kann mir nicht mehr helfen.“

Sobald ihr Jüngster in den Kindergarten gehe, werde sie eine Weiterbildung oder Umschulung beginnen, um eine Arbeit auszuüben, die besser mit der Kinderbetreuung vereinbar sei. Die Schuld an der Situation hat für sie die Stadt, die nicht genug unternommen habe. „Es liegt vielleicht auch an der Bezahlung von Erziehern und Erzieherinnen, dass es so wenige gibt. Man sollte diese Berufe viel mehr fördern, so dass die Leute dauerhaft Lust darauf haben“, regt Mayzouni an. Aber auch mit mehr finanziellen Mitteln verzweifeln Eltern an der Betreuungssituation und am starren Vergabesystem.

Kita-Platz in Mannheim gesucht: Kinderärztin verzweifelt

„Ich bin gerne Kinderärztin“, beginnt die 41-jährige Carina Schmitt aus Mannheim, die anonym bleiben möchte und anders heißt. Die Mannheimerin hat drei Kinder im Alter von eins, drei und 15 Jahren. Weil sie als Kinderärztin keine Gleitzeit hat und oft in Früh- und Spätdiensten arbeitet, sei ihr Partner bis vor kurzem nicht berufstätig gewesen. Denn eine Vollzeitbetreuung für ihre zwei Kleinen habe die Kinderärztin trotz zahlreicher Bemühungen nicht erhalten. „Die Betreuung meines dreijährigen Kindes durch die Tageseltern von 8 bis 14 Uhr deckt meine Arbeitszeit - 25 Stunden pro Woche - an keinem einzigen Tag in der Woche ab“, sagt Schmitt.

Sie ist gerne Kinderärztin - doch wie lange sie ihre Tätigkeit ausüben kann, das könne sie nicht mit Sicherheit sagen: „Der Stress für unsere Familie ist einfach zu groß.“ Dabei ist ihre Arbeit gerade für die kleinen Patienten wichtig. Die Praxis liegt in einem sozialen Brennpunkt. Sie arbeite aus Überzeugung und mit viel Idealismus, eben weil in vielen Familien ihrer kleinen Patienten die medizinische Versorgung der Kinder nicht sichergestellt sei.

Kaum Chancen auf einen Platz vor dem sechsten Geburtstag

„Ich habe Dutzende städtische Einrichtungen in meiner spärlichen Freizeit als arbeitende Dreifachmutter abtelefoniert, die mir alle sagten, dass sie keinerlei Plätze unter 28 Meki-Punkten anzubieten hätten, solange meine Kinder nicht im letzten Jahr vor der Einschulung sind“, erklärt die Mannheimerin. Meldestelle Kindergarten (Meki) heißt das städtische Vergabesystem, bei dem sich die Eltern registrieren müssen. Zudem habe sie sich bei zahlreichen Elterninitiativen beworben. Doch würden dort Kinder nichtarbeitender Mütter vorgezogen - schließlich haben diese mehr Zeit, um sich in der Einrichtung zu engagieren. Schmitt habe trotz dieser zahlreichen Absagen nicht aufgegeben und das städtische Vergabesystem - Meki - und das Jugendamt mehrmals kontaktiert. Ohne Erfolg.

Als Kirchenmitglied habe sie auch alle kirchlichen Einrichtungen in ihrer Nähe um einen Betreuungsplatz gebeten. Auch das ohne Erfolg. Sie habe schließlich für ihren mittleren Sohn Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz eingeklagt - immerhin habe dies dazu geführt, dass die Stadt ihr nun die Kosten für die Tageseltern erstatten müsse. Ihr bald vierjähriges Kind werde wohl auch die nächsten zwei Jahre bei den Tageseltern verbringen - mit vorrangig ein- und zweijährigen Kindern. Bei Meki sei ihr gesagt worden, dass es kaum Chancen gebe, ihm vor seinem sechsten Geburtstag einen Kindergartenplatz zuzuteilen. Trotz seines rechtlichen Anspruchs auf altersentsprechende Förderung. Schmitts Partner war bis vor kurzem Hausmann - damit seine Frau arbeiten kann. Ihre berufliche Zukunft sei nun ungewiss, da ihr Partner ein Arbeitsverhältnis begonnen habe.

„Meki berücksichtigt nur die absolute Arbeitszeit“

Schmitt erhielt für ihren zweiten Sohn nach einer Klage einen Teilzeitplatz bei einer anderen Tagesmutter. 450 Euro im Monat zahle sie nun für 20 Stunden Betreuung pro Woche. Für einen vierten Tag müsste sie noch einmal 100 bis 200 Euro zahlen, denn das Jugendamt fördere nur Stunden, in denen beide Elternteile gleichzeitig arbeiten, ohne Schichtarbeit oder wechselnde Arbeitszeiten zu berücksichtigen. „Ein fünfter Tag wäre selbst für mich als Fachärztin unbezahlbar“, sagt sie.

Auch die unterschiedlichen Ferienzeiten der Tageseltern seien problematisch: „An über dreizehn Wochen im Jahr haben wir durch urlaubsbedingte Schließungen keine Kinderbetreuung. Mit regulärem Urlaubsanspruch ist das unmöglich aufzufangen.“

Jüngst habe die Kinderärztin von Meki die Empfehlung bekommen, sich auf einen Platz in einer Einrichtung in Rheinau zu bewerben, am anderen Ende der Stadt. Dort seien aktuell die meisten Plätze zu vergeben. Der Arbeitsweg von Schmitt würde sich so auf zwei Stunden ziehen, sie nutzt öffentliche Verkehrsmittel.

Für Schmitt ist die Stadt für das Betreuungsdesaster verantwortlich. Meki berücksichtige schließlich nur die absolute Arbeitszeit. Dabei unterscheidet das städtische Vergabesystem nicht nach Arbeitszeiten und Arbeitsrealitäten von Eltern. Selbstständige, Lehrer oder Ärzte wie Schmitt arbeiten auch an Wochenenden oder an Abenden und haben selten pünktlich Feierarbeit. Für Schmitt steht fest: „Das städtische Vergabesystem richtet sich nur nach den Arbeitsrealitäten von Beamten oder Angestellten mit Gleitzeit.“

„Erzieherinnen sind Mangelware - Kinderärzte auch“

„Ich kann nicht verstehen, was in der Stadt Mannheim schiefläuft und jahrelang schiefgelaufen ist, dass die Betreuungssituation so auf Kosten der Familien und der frühkindlichen Förderung eskaliert ist“, sagt Schmitt. Eine gute Freundin sei in die Pfalz gezogen - unter anderem wegen des Mangels an Kita-Plätzen in Mannheim. Nun gehe ihr Sohn, seitdem er zwei Jahre alt sei, in einen kostenlosen Ganztagskindergarten.

„Überall fehlen Erzieherinnen, aber auch Kinderärzte“, sagt sie. „Ich bräuchte Betreuungsplätze von 7.30 bis 15.30 Uhr - das ist Minimum“, erklärt sie. Diese Plätze habe die Stadt ihr in den vergangenen drei Jahren trotz juristischer Interventionen nicht angeboten. Ihre Kündigung, so Schmitt, rücke somit in greifbare Nähe. Dann wenigstens könne auch ihr Partner mehr arbeiten und sie müsse sich nicht zwischen Arbeit, fehlender Kinderbetreuung und bürokratischen Auseinandersetzungen mit der Stadt zerreißen: „Wenn ich gehe, hinterlasse ich 1000 Kinder in der Rhein-Neckar-Region ohne kinderärztliche Versorgung.“

 

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