24 Kinder sind dieses Jahr bereits ertrunken – sechs mehr als im Vorjahreszeitraum. 70 000 bis 100 000 Kinder deutschlandweit konnten durch Corona nicht schwimmen lernen: Mit dieser erschreckenden Zahl rechnet Thekla Südhof, Ausbilderin und DLRG-Leiterin im Neckarauer Hallenbad. Doch schon vor Corona sah es nicht gut aus mit den Schwimmfähigkeiten der Kinder. Im Interview mit dieser Redaktion spricht die Lebensretterin über die Gründe – und beunruhigende Zukunftsaussichten.
Frau Südhof, wie ist es um die Schwimmfähigkeit der Kinder bestellt?
Thekla Südhof: Derzeit sind wir froh, dass wir wieder mit Schwimmkursen starten dürfen. Allerdings sieht man, dass die Lage dramatisch ist.
Inwiefern?
Südhof: Corona hat eine Problematik verschärft, die vorher schon da war: Viele Kinder sind Wasser nicht gewohnt, haben sogar Angst davor und sind weit entfernt vom Schwimmen-Lernen. Laut einer DLRG-Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 60 Prozent der Kinder keine guten Schwimmer, wenn sie die Grundschule verlassen. Die Studie von 2017 halte ich immer noch für aktuell, eher ist es schlechter. Während der Pandemie gab es wahnsinnige Einschränkungen im öffentlichen Badebetrieb, beim Schulschwimmen und keine DLRG-Kurse.
Worauf müssen Eltern achten, wenn Kinder noch nicht richtig schwimmen können?
Südhof: Eltern müssen die Aufsicht sehr ernst nehmen und ständig wachsam sein. Sie sollten ihrem Kind vermitteln, dass Bewegung im Wasser Spaß macht, aber dass man Schwimmen auch üben muss und die Kinder ihre Grenzen kennen lernen und einschätzen müssen.
Sind Kinder mit dem „Seepferdchen“ schon sichere Schwimmer?
Südhof: Nein. Zu den sicheren Schwimmern zählt man mit dem Bronzeabzeichen. Meistens haben die Kinder das Abzeichen aber im Schwimmbad gemacht, und die Realität sieht anders aus: Wasserspritzer, Frieren, ein Krampf in der Wade. In offenen Gewässern gibt es noch viel schlimmere Gefahren, die die Kinder ganz schlecht einschätzen können. Untiefen, Überforderung, Angst, plötzliche Kälte. Beim Fließenden Gewässer gibt es Strömungen, Strudel, Walzen und Schiffe, die vorbeifahren und einen Sog ausüben. Der gruppendynamische Prozess, wenn Teenager zusammen am Baggersee sind und ihre eigenen Grenzen nicht mehr wahrnehmen, ist auch nicht zu unterschätzen.
Welche Faktoren führen noch zu Badeunfällen? Schließlich ertrinken ja auch erwachsene Schwimmer.
Südhof: Beim Auftauchen mit dem Kopf an einen Ponton stoßen. Oder wenn einem jemand vom Beckenrand auf den Rücken springt, kann man ein noch so ein guter Schwimmer sein und trotzdem Verletzungen davontragen. Die Kinder sind natürlich am meisten gefährdet. Bei Erwachsenen ist es oft die Überschätzung im Wasser und die Unterschätzung der Situation. Deshalb ist es wichtig, seine Grenzen auszuloten. Das Schwimmen im See muss man üben, das ist anders als im Schwimmbad. Generell soll man nur in Gewässern baden, die bewacht sind.
Im Miramar ist vergangene Woche beinahe ein Kind ertrunken, das von einem Badegast gerettet wurde. Wie kann so etwas passieren?
Südhof: Zu dem Unfall an sich kann ich überhaupt nichts sagen, weil ich das Miramar und die Gegebenheiten dort nicht so gut kenne. In den öffentlichen Badebetrieben steht ein Bademeister am Beckenrand, in allen Mannheimer Freibädern und im Stollenwörthweiher 2 zusätzlich unterstützt durch die DLRG. Wenn man sich so ein Gewässer an einem vollen Tag vorstellt, ist das sehr schwer im Blick zu behalten. Man entwickelt ein gutes Auge und sieht schnell, ob ein Kind taucht oder nicht. Aber man kann nicht jeden Millimeter gleichzeitig beobachten. Deshalb müssen Eltern ihre Kinder wirklich gut beaufsichtigen.
Gibt es in Mannheim genügend Schwimmkurse für alle Kinder?
Südhof: Nein, das liegt an zwei Dingen: fehlenden qualifizierten Trainern und Trainerinen, aber auch an den fehlenden Wasserzeiten.
Bedeutet das, wenn Sie mehr Wasserzeiten bekommen würden, könnten Sie mehr Kurse anbieten, um weitere Unfälle zu verhindern?
Südhof: Im Grunde ja, aber das würde zu Ungunsten des öffentlichen Badebetriebs gehen. Es bräuchte das Verständnis der Bevölkerung, dass ein Bad mal geschlossen ist, weil dort ein Schwimmkurs stattfindet. Aber wie gesagt haben wir auch nicht genügend qualifizierte Trainerinnen und Trainer, um allen Kindern das Schwimmen beizubringen.
Wer bestimmt die Wasserzeiten?
Südhof: Schlussendlich die Politik, die Verwaltung weist die Wasserzeiten zu.
Von wie vielen Kindern, die nicht schwimmen lernen, sprechen wir?
Südhof: In Mannheim werden jedes Jahr ca. 2000 Kinder eingeschult. Wir als DLRG können pro Jahr 300 Kinder zum Schwimmer ausbilden, dazu kommen städtische und andere Vereine. Wenn jeder von ihnen ebenfalls 300 Kinder ausbilden würde, kämen wir mit 900 Kindern auf nicht mal die Hälfte der Schulanfänger, die Schwimmen lernen können.
Eine aussichtslose Bilanz.
Südhof: Ja, da muss man tatsächlich schauen, wie das funktioniert. Die Vorort-Hallenbäder in Seckenheim und Vogelstang und das Freibad im Herzogenried werden voraussichtlich schließen, wenn das Kombibad eröffnet wird. Dann wird die Hürde noch größer, wohnortnah einen Schwimmkurs zu bekommen.
Kinder-Schwimmkurse
Anmeldestart für die Schwimmkurse der DLRG in der Wintersaison ist am Sonntag, 31. Juli, auf der Website der DLRG Mannheim.
Die Anmeldung für die Anfängerschwimmkurse und Wassergewöhnungskurse findet ausschließlich online über die Website bez-mannheim.dlrg.de statt.
Anfängerschwimmkurse sind für Kinder ab sechs Jahren geeignet.
Wassergewöhnungskurse sind für Kinder zwischen drei und sechs Jahren in Begleitung eines Elternteils. vg
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