Stadtgeschichte

Im Varieté ist das Geld oft knapp

Erinnerungen an das vor 125 Jahren eröffnete Apollo in G 6, seine große Zeit und das traurige Ende

Von 
Peter W. Ragge
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1935 abgerissen: Das Varieté Apollo in G 6, wo es Damenringkämpfe gab, Artisten und Schauspieler auftraten und auch der SPD-Vorsitzende. © Marchivum

Artisten, Damen-Ringkämpfe, aber auch eine kämpferische Rede des damaligen SPD–Vorsitzenden August Bebel mit dem Appell an Frauen, sich aus der ökonomischen Abhängigkeit des Mannes zu befreien – all das haben diese Mauern gesehen: Am 3. Dezember vor 125 Jahren eröffnet in G 6 der neue Saalbau, das Varieté-Theater Apollo. Bis zum Abriss in der Zeit der Nationalsozialisten ist das private Theater eine bedeutende kulturelle Institution.

Erst steht hier zu Zeiten der französischen Revolutionskriege 1789 ein Lazarett. Ab 1798 empfängt der „Badner Hof“ als mit Rheinwasser betriebene private Badeanstalt seine Gäste, lädt in acht Badezimmern mit Kupferbadewannen zur Entspannung ein, offeriert bei Bedarf sogar Elektroschocktherapie. Daraus wird nach einem Eigentümerwechsel 1817 ab 1835 das Gasthaus „Badner Hof“, das Tanzveranstaltungen und im Sommergarten Theatervorstellungen unter freiem Himmel bietet. Es ist also schon immer eine Menge los in dem Innenstadtquadrat G 6. Daran erinnert dort heute nur noch eine „Stadtpunkte“-Tafel.

1898 entsteht hier, so ergeben es Unterlagen im Marchivum, nach Plänen der Mannheimer Architekten Köchler & Karch das Apollo-Theater. Anfangs wird offenbar nur der an das Gasthaus angebaute Saal so genannt, teils wirbt das Apollo („Elegantestes Variete-Theater Süddeutschlands“) mit dem Zusatz „Hotel Badner Hof“, etwa auf einer Postkarte aus dem Jahr 1900.

Es ist die aufregende Zeit der „Belle Époque“ zwischen der Reichsgründung 1871 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914, der die Reiss-Engelhorn-Museen eine gleichlautende Ausstellung widmen. Herren tragen Zylinder, Damen dunkle Kleider und Pelz. Zwischen den Pferdefuhrwerken auf der Straße tauchen immer öfter Autos auf. Vereine entstehen, Erfindungen werden gemacht, die bürgerliche Selbstinszenierung beginnt, Mannheim wächst und verändert sich.

Dazu gehört auch ein blühendes Kulturleben jenseits der einst höfisch geprägten großen Institutionen. Das ist der beste Nährboden, auf dem ein privates Theater, das sich in erster Linie der leichten Unterhaltung verschreibt, entsteht.

Es ist Kaufmann Hans Sido, Schwiegersohn der Gastwirtsfamilie Hillenbrand vom „Badner Hof“, der als Bauherr des Saalbaus genannt wird. Zunächst werden ihm „Veranstaltungen von Gesangs- und deklamatorische Vorträgen“ gestattet, vier Jahre darauf erhält er eine Konzession für ein Schauspielhaus. Laut Marchivum finden in dem neobarocken Theatersaal Konzerte aller Art, Varieté-, Kabarett- und Filmvorführungen statt. „Leicht geschürzte Muse“ nennen das damalige Zeitungsautoren. Dabei fungiert Sido nicht als Veranstalter, sondern er verpachtet den Saal an die gastierenden, meist umherziehenden Artisten, Künstler und Ensembles.

Lange geht das aber nicht gut, denn offenbar kommt so nicht genug Geld in die Kasse. Jedenfalls ist von 1904 eine Zwangsversteigerung überliefert, deren Grund sich zu dem Zeitpunkt aber nicht feststellen lässt. Den Zuschlag erhält Jakob Lassmann, der die Anwesen G 6,3 und G 6,8 ersteigert. Lassmann, aus Straßburg stammend, betreibt zu der Zeit in Mannheim bereits das Palast-Café in J 1,6 sowie zwei Kabaretts in O 7. Er renoviert das Apollo, worauf der Saal rund 1200 Personen fasst, und eröffnet 1905 wieder. Nach nur einem Jahr macht Lassmanns Pächter aber Konkurs.

1906 schreibt das Apollo Geschichte – oder es ist zumindest ein Teil davon. Bei ihrem Parteitag im voll besetzten Nibelungensaal des Rosengartens verabschiedet die SPD das „Mannheimer Abkommen“, das die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften sowie die Arbeitsteilung zwischen den beiden Organisationen regelt. Zeitweise müssen die Sozialdemokraten aber den Rosengarten verlassen, weil er – angeblich – für den Großherzog benötigt wird. Nach Protesten und Verhandlungen genehmigt der Stadtrat der SPD die Rückkehr in den Rosengarten, doch in der Zwischenzeit tagen die Delegierten im – dafür viel zu engen – Apollo-Theater.

Als Variete-Theater hat es das Apollo nicht leicht. „Das Theater lag eher am Rand der Quadrate in der Nähe des Jungbusches. Diese Lage war nicht nur für die Besucher fern ab der Innenstadt, sondern auch die Menschen, die in dieser Umgebung wohnten, galten nicht unbedingt als „bürgerlich“, was für einige potenzielle Besucher abschreckend wirkte“, schreibt Sergej Ochkovskij in einer im Marchivum vorhandenen Hausarbeit für das Historische Institut der Universität Mannheim.

Er hat sich auch ausführlich mit der Zeit beschäftigt, als Salomon (Sally) Zacharias, 1881 als Kind einer jüdischen koscheren Metzgerfamilie in Mainz geboren, das Apollo leitet, also ab 1909 – wobei da die Quellen sehr lückenhaft sind. Seine Frau Augusta führt das zugehörige „Restaurant d’Alsace“. Aber deutlich wird, dass – nach einer kurzen Episode der Vermietung als Kinovariete – Zacharias versucht, neben der leichten Muse auch auf anspruchsvollere Unterhaltung zu setzen, ja sogar „Künstler von Weltrang nach Mannheim zu locken“, so Ochkovskij.

Nach seiner Einschätzung versucht zwar das Apollo, sich „immer wieder neu zu erfinden“, aber er konstatiert letztlich neben den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise sowie den neu aufkommenden Kinos ein „Versagen am Markt“. Dadurch häufen sich Schulden, auch Steuerschulden. Es gibt auch immer wieder Gesuche um Senkung der Vergnügungssteuer. Bereits 1929 muss Zacharias sein Privathaus in der Werderstraße verkaufen,

1934 ersteigert die Sparkasse Grundstück und Inventar vom Apollo – zu einem „Schleuderpreis“, wie sich die Familie nach dem Zweiten Weltkrieg beklagt. Die Sparkasse verweist indes damals darauf, das Areal sei „total verwahrlost und heruntergekommen“, einen anderen Bieter gebe es nicht. Laut Ochkovskij gibt es jedenfalls keinen Beleg dafür, dass die Stadt ihr damals einziges Privattheater bewusst in den Konkurs getrieben hat.

1935 wird das gesamte Quadrat G 6 durch die nationalsozialistische Stadtverwaltung abgerissen und mit Wohnhäusern, die im Erdgeschoss Läden aufweisen, neu bebaut. Zacharias lebt noch bis 1939 in Mannheim und in Südbaden bei Verwandten. Dann gelingt ihm die Flucht in die Schweiz, wo er kurz darauf stirbt. Seit der Zerstörung des Apollo-Theaters sei Salomon ein gebrochener Mann gewesen, heißt es 2014, als für ihn in der Nähe vom alten Standort des Varietés beim heutigen TiG 7 ein Stolperstein verlegt wird.

Redaktion Chefreporter

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