Zwei Wochen hat Karl-Rudolf Korte den "MM" gelesen - um sich auf seine gestrige "Blattkritik von außen" vorzubereiten. "Ich lebe von und mit Zeitungen", sagte der Politik-Professor, "ob auf Papier oder online." Dabei sprach er gleich ein Lob aus: "Ihre Zeitung wirkt sehr frisch." Die Form der externen Blattkritik ist eine Aktion dieser Zeitung, bei der seit Anfang 2015 Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur oder Sport die Redaktion besuchen, um die Ausgaben zu besprechen. Zuletzt hatte das im Juli die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) getan.
Korte bezeichnete Regionalzeitungen als "Qualitätsgarantien der Demokratie". Dazu müssten sie die öffentliche Debatte befördern. "Ich erkenne, dass Sie sich sehr bemühen", lobte der 58-Jährige. Zeitungen trügen zur Urteilsbildung bei, was wichtig sei, "weil Demokratie ohne Maßstäbe verfällt". Dabei warnte er, besserwisserisch daherzukommen. Der Satz "Wir schaffen das" mit Bezug auf die Flüchtlinge müsse die gleiche moralische Einstufung erhalten wie "Wir schaffen das nicht". Sonst wirke das hochnäsig denen gegenüber, die das anders beurteilten. "Sie müssen akzeptieren, dass auch andere Meinungen gelten, und dann darüber streiten."
Recherche erklären
Gleichzeitig schlug Korte vor, auch denen Orientierung zu geben, "die sagen: Ihr seid die 'Lügenpresse'". Etwa durch eine Erklärung, wie Artikel zustandegekommen sind. Es gebe zu wenige Informationen darüber, wer wie und wie lange recherchiert habe. Hier sollten Zeitungen belegen, "dass sie nicht etwas einfach so herausgehauen haben".
Bei seiner zweiwöchigen Lektüre hat Korte einiges gelernt: dass es in Mannheim einen "Suezkanal" gibt ("ein Kuriosum"). Oder aus der Exklusiv-Meldung, dass Baden-Württemberg rund 25 Millionen Euro an Bundesmitteln für den Straßenbau nicht abgerufen hat. Festgelesen hat er sich an der Seite 3 "Theresa May ringt um Kontrolle" vom vorigen Freitag. Viel Raum gebe es für klare Kommentare. Landespolitik findet er hingegen unterrepräsentiert; als E-Paper würde er den "MM" gerne schon vor Mitternacht lesen.
Und wie soll man sich in Zeiten von gezielten Falschnachrichten verhalten? Korte: "Hier fehlen uns Erfahrungen mit Online." Als einen Weg sieht er, sich über den Inhalt von neuen Medien ein Urteil zu bilden. Die Welt sei eben unübersichtlich geworden - "Das spricht alles für die Zeitung."
Zu oberlehrerhaft
Lob und Kritik gab es auch von den Lesern, die zu der Runde mit dem Politologen eingeladen waren. Eberhard Gross, Abonnent "seit 1946", missfiel der Artikel über die Weihe des Rheinauer Kreuzwegs, die er ganz anders erlebt hatte, als es im Artikel "Ein großartiges, menschenverbindendes Werk" gestanden habe.
Friedrich Adolf, Abonnent "bestimmt seit 30 Jahren", störte sich an der AfD-Berichterstattung: "Die sollte nicht so oberlehrerhaft wirken, denn es gibt ja Gründe für die Wähler." Diese dürfe man nicht gleich in eine bestimmte Ecke stellen, das sehe er an vielen Bekannten. Probleme bei der Zuwanderung seien in Stadtteilausgaben wie der für die Neckarstadt gut dargestellt; das wünsche er sich auch für die Stadtausgabe. Das "Geistliche Wort" sah er auf Seite 3 besser platziert. Ansonsten findet Adolf "ganz viele Sahnestückchen" in dieser Zeitung, etwa Pro-&-Contra-Positionen.
Hans-Joachim Adler, Abonnent "seit meiner Jugend", bewertet den "MM" als eine "großartige Regionalzeitung", meint aber zur neuen Blatt-Struktur: "Vier Teile braucht kein Mensch." Außerdem habe ihm beim Empfang der IHK gefehlt, wie sehr die Präsidentin ihren Finger in die Wunde Verkehrspolitik gelegt habe. Über Verbesserungen werde er sich freuen, denn: "Ich liebe meinen 'MM'."
Karl-Rudolf Korte
- Karl-Rudolf Korte wird am 15. November 1958 in Hagen geboren. Seit 15 Jahren lebt er in Worms.
- 1978-1983 studiert er an den Universitäten Mainz und Tübingen Politikwissenschaft, Germanistik, Pädagogik und legt das Staatsexamen ab.
- 1988 promoviert Korte in Mainz in Politikwissenschaft. 1997 habilitiert er sich an der Universität München.
- Seit 2003 ist er Professor an der Universität Duisburg-Essen für den Lehrstuhl "Politisches System der Bundesrepublik Deutschland und moderne Staatstheorien".
- 2006 gründet Korte die NRW School of Governance, deren Direktor er seitdem ist.
- Kortes Schwerpunkte liegen in der Regierungs-, Parteien, Kommunikations- und Wahlforschung.
- Fernsehzuschauern ist Korte vor allem als Wahlexperte und Analyst bei innenpolitischen Krisen bekannt (ZDF, WDR, Phoenix). tö
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