Mannheim. „Am Anfang war es ein bisschen komisch, weil man alleine mit dem Lehrer gesprochen hat“, berichtet Tara. Aber inzwischen mag die Fünftklässlerin der Kerschensteiner Gemeinschaftsschule (GMS) auf der Schönau die „Coaching“-Gespräche nicht mehr missen. In der Regel einmal pro Woche trifft sich die Lehrkraft mit einer Schülerin oder einem Schüler zum Vier-Augen-Gespräch. Thema: Lernfortschritte oder Felder, auf denen noch nachgebessert werden muss. „Ich habe dort schon gute Tipps bekommen“, freut sich Tara.
Dabei geht es nicht nur um schulische Fragen. „Auch wenn man Probleme hat, kann man mit seiner Lehrerin darüber beim Coaching sprechen“, sagt Zehntklässler Mirza. „In der Coaching-Zeit kann ich mich intensiv um die Anliegen einzelner Schüler kümmern“, stellt Physiklehrerin Sarah Böhm fest.
Nachfrage größer als Angebot
Das Coaching ist nur eine von mehreren „Spezialitäten“, die die GMS bieten. Gab es anfangs, vor ein paar Jahren, noch Vorbehalte, ist längst das Gegenteil der Fall: Die Nachfrage nach Plätzen ist regelmäßig höher als das Angebot. Das gilt vor allem auf der Schönau, wie Schulleiter Benjamin Fuchs berichtet. Rund 130 Interessenten gebe es Jahr für Jahr für die 84 zur Verfügung stehenden Plätze. Bei seinem Kepler-Kollegen Thorsten Kuß reicht es in den fünften Klassen gerade noch so. Aber viele Schülerinnen und Schüler möchten später, in der siebten oder achten Klasse, auf die GMS wechseln, weil sie im Gymnasium überfordert sind. Spätestens dann wird es auch in K 5 recht eng.
Gemeinschaftsschule
- Hinter der Gemeinschaftsschule steht die Idee, dass viele Schüler in verschiedenen Fächern unterschiedlich leistungsstark sind. Der Unterricht soll allen gerecht werden – egal, auf welchem Niveau sie in den einzelnen Fächern lernen.
- Bei dem vor neun Jahren im Land eingeführten Modell haben Schüler die Möglichkeit, zum Beispiel in Deutsch auf einem anderen Niveau zu lernen als in Mathematik.
- Nach einem gemeinsamen Input bearbeiten die Schüler an ihren Lernstand angepasste Aufgaben. Regelmäßig finden Gespräche zwischen Schülern, Eltern und Lehrern statt.
- Die Schüler müssen sich Lernziele setzen und selbstständig daran arbeiten, sie zu erreichen.
- Anstelle von Zeugnissen mit Noten gibt es bis für Schüler bis zur achten Klasse detaillierte Lernentwicklungsberichte.
- An der Gemeinschaftsschule werden die gleichen Abschlussprüfungen wie an anderen allgemeinbildenden Schulen absolviert. Unterrichtet wird nach den Bildungsstandards von Haupt-, Realschule und Gymnasium.
- In Mannheim gibt es seit dem Schuljahr 2013/14 die Kerschensteiner und seit 2016/17 die Johannes-Kepler-Gemeinschaftsschule.
Zum Pressegespräch und zum Rundgang hat Fuchs anlässlich der landesweiten Woche der Gemeinschaftsschulen eingeladen. Mit dabei sind neben Kuß und dessen Stellvertreterin Neslihan Kücük-Langer, der im Staatlichen Schulamt für GMS zuständige Jens Drescher und die Grünen-Landtagsabgeordnete Susanne Aschhoff. Rede und Antwort stehen die 5a und die 10a.
An den GMS sitzen Kinder und Jugendliche in einer Klasse, die anderswo auf Gymnasien, Real- oder Werkrealschule aufgeteilt werden. Dementsprechend unterschiedlich ist der Wissensstand. Um die große Heterogenität zu bewältigen, hat das Lernen mit herkömmlichem Frontalunterricht nicht mehr viel zu tun. Aufgaben gibt es auf drei Niveaus. Und das kann von Fach zu Fach ganz unterschiedlich sein. Etwa in Mathe auf Gymnasialniveau, in Deutsch auf dem Level der Hauptschule.
„Man kann sich hoch leveln“
Als Mirza in der fünften Klasse startete, hatte er in allen Fächern Schwächen. Inzwischen konnte der Zehntklässler sich überall so verbessern, dass er das Abitur fest im Blick hat. Dazu muss er allerdings die Schule wechseln, denn eine Oberstufe haben die beiden GMS – zumindest in Mannheim – nicht. Wie Klassenkamerad Dennis hat er sich die kaufmännische Friedrich-List-Schule angeschaut – und möchte gerne dorthin. Dass man in manchen Fächern besser, in anderen schlechter mitkommt, ist ein Stück weit normal. Aber dass Schülerinnen und Schüler je nach individueller Stärke variieren können, findet Tara „eine coole Sache“ – fast wie bei einem Computerspiel. Wo man nicht so stark sei, „kann man sich hoch leveln“, freut sich die Fünftklässlerin.
Dass der Bedarf an GMS hoch ist, hat die Stadt Mannheim erkannt. Spätestens 2030 werden in weiterführenden Schulen jede Menge Plätze fehlen. Um sie zu schaffen, denkt die Verwaltung unter anderem an eine dritte Gemeinschaftsschule, am liebsten im Süden der Stadt und mit Oberstufe. Jens Drescher findet es „gut, dass man versucht, die Kapazitäten aufzustocken, es fehlen definitiv GMS-Plätze“. Den Ausbau habe „die Landesregierung im Blick“, sagt Abgeordnete Aschhoff. Die Tendenz beim Einrichten einer Oberstufe gehe dabei zu Verbünden.
Workshop verschoben
Einen solchen Oberstufen-Verbund mit einer möglichen dritten GMS in Mannheim könnten sich Fuchs und Kuß gut vorstellen. Drescher finden den Ansatz ebenfalls überzeugend: „Das könnte ein Erfolgsmodell werden.“ Doch das wird dauern. Im Juli diskutierte der Bildungsausschuss über die Schulentwicklung der nächsten Jahre. Zu klären sind etliche Detailfragen. Bürgermeister Dirk Grunert kündigte deshalb an, man wolle die bildungspolitischen Sprecher der Fraktionen im Herbst zum Workshop einladen, um zu klären, „was wo möglich ist“.
Zustande kam er bis dato allerdings nicht. „Angesichts der neuen Bevölkerungsprognose (2040) und der neuen Gesetzgebung zum Thema zukünftiger Rechtsanspruch auf Ganztag mussten wir den Workshop auf das Frühjahr 2022 verschieben“, teilt die Stadt auf Anfrage mit. An der grundsätzlichen Position habe sich „nichts geändert. Wir sehen den Bedarf für eine dritte Gemeinschaftsschule und wollen dies nach der Abstimmung mit der Politik angehen“.
Das würde die Politik gerne früher als später. Schon im Juli hatte Stadtrat Reinhold Götz (SPD) festgestellt, bei der Schulentwicklung laufe die Zeit davon. Seine Fraktionskollegin Heidrun Kämper assistierte angesichts der „Riesen-Aufgabe“: „Es ist klar, dass wir jetzt handeln müssen.“ Schulleiter Benjamin Fuchs kann dem mit Blick auf eine dritte GMS nur beipflichten. Die Stadt, meint er, müsse jetzt „in die Pötte kommen“.
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