Die Suppe dünn, die Buden kalt und klamm, es riecht nach Fäulnis, die Strohmatratzen modern vor sich hin. Aber wer dem Massengemetzel auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges entronnen ist, der fühlt sich an diesem unwirtlichen Ort aufgehoben, hier wird nicht geschossen, „nur“ streng reglementiert, drangsaliert, zur Arbeit angetrieben: Im Gefangenenlager auf dem Exerzierplatz saßen 1914 bis 1918 Tausende von Soldaten fest. 23 525 Männer hinter 2,5 Meter hohem Stacheldraht eingepfercht, 8251 Franzosen, 9739 Russen, 188 Belgier 1326 Engländer, 701 Rumänen, 3301 Italiener und 17 US-Amerikaner addierte das preußische Kriegsministerium am 10. Oktober 1918 zu einem bunten Haufen.
Das Camp mit 80 Baracken hinter der Kaiser-Wilhelm-Kaserne lag lange Jahre im toten Winkel der historischen Betrachtung. Nun hat Doreen Kelimes in den neuen Mannheimer Geschichtsblättern das Kapitel ausgeleuchtet. Organisation und Aufbau des Lagers, Arbeitseinsätze der Internierten in Landwirtschaft, Industrie- und Handwerksbetrieben - ein ganz eigener Kosmos im Schatten des Krieges entwickelte sich. Und auch hier starben Verwundete im Reservelazarett, die Grippeepidemie fand leichte Opfer, auf dem Hauptfriedhof wurden die Toten aus der Fremde zu Grabe getragen, ein Holzkreuz mit dem Namen, ein paar Blumen, mehr nicht. Insgesamt 755 Sterbefälle sind im Lager Mannheim bisher bekannt.
Immerhin: Einige kulturelle Lichtblicke erhellten die trübe Zeit des Eingesperrtseins. Die Maler Pierre Bertrand und Leon Noireaut entwickelten ihre Kunst weiter. Und in jedem Block war Theater angesagt, zwei- bis dreimal im Monat verkürzten sich die Gefangenen die Zeit, wobei besonders die harten Kerle in Weiberrollen für Erheiterung sorgten, wo es ansonsten nichts zu lachen gab. Manch einer litt unter der Stacheldrahtkrankheit, „ein über Heimweh und Lagerkoller weit hinausreichender Zustand der Depression“.
Christian Führer, Experte für die Befreiungs- und Besatzungsgeschichte der US-Armee, lässt in seinem Beitrag die Westalliierten im Frühjahr 1945 nochmals über den Rhein setzen. Bei Sandhofen kam es zu einem lokalen D-Day. Geschwächte Wehrmachtssoldaten und Volkssturmangehörige kämpften, bis die Amerikaner am 26. März 1945 um 2.35 Uhr schließlich doch bei einer Flussüberquerung rechtsrheinischen Boden gewannen.
Aus US-Perspektive betrachtet Christian Führer den Vormarsch und die gespaltenen Gefühle in der Truppe: Da mischte sich in die Aggression auf Hitler-Deutschland auch Mitleid mit den deutschen Zivilisten, den Alten, den Frauen und Kindern, die vor Angst schlotternd in Kellern hockten. „Ich glaube, sie dachten immer, wir wären Monster und würden sie umbringen“, erinnerte sich ein US-Soldat. Doch rasch folgte Annäherung: „Sie kochten sich Kaninchen zum Essen, wozu sie auch mich einluden.“ Dem Soldaten schmeckte der Braten nicht, er verdrückte lieber seine Armeeration. Am 29. März marschierten Soldaten des 71st Infantry Regiments durch die zerbombte Stadt: „Die Straßen sind leer mit Ausnahme von Schuttbergen und dem Geruch des Todes“, schilderte ein Schütze die gespenstische Atmosphäre. Und noch mehr Militär: Bernd Ellerbrock lässt eine komplette Division Torpedoboote vom Stapel, begleitet im Jahr 1900 eine bejubelte Propaganda-Flussfahrt von Emmerich nach Karlsruhe.
Hermann Wiegand blickt in seinem Beitrag weiter zurück in der Geschichte, er nimmt sich unter dem Titel „Sie strahlte von Verstand; der Will folgt selbem nach“ eine Gedenkschrift für Raugräfin Luise zu Pfalz, geborene Freiin von Degenfeld vor. Die zweite morganatisch angetraute Gemahlin von Kurfürst Karl Ludwig starb am 18. März 1677 während ihrer 14. Schwangerschaft. Um den trauernden Herrscher zu trösten, flochten ihr - wie damals in höchsten Kreisen üblich - treuergebene Autoren Trauerkränze. In vier Sprachen rühmten sie Luises Seelenadel, die herrliche Gabe ihres Gemüths, ihre Lauterkeit, ihre Schamhaftigkeit, ihre Schönheit - eine Sammlung von Ergüssen in wunderbar barocker Schwülstigkeit. Wiegand wandert und führt höchst kenntnisreich durch Varianten dieser Schrift, die noch in fünf Exemplaren vorhanden ist.
Treu, aber geizig
Nicht so gut weg kommt Graf Matthäus von Vieregg, treuester Freund des Kurfürsten Carl Theodor, in einem Artikel von Günther Ebersold. Als Außenminister gab Vieregg ein eher schwaches Bild ab, stark ausgeprägt war indes ein Charakterzug: Geiz. Nicht mal porträtieren ließ sich der Knicker, und so existiert kein Bild von dem Diener seines Herrn. Horst-Dieter Freiherr von Enzberg blättert in den Fotoalben seiner Familie, er lässt im Beitrag „Adliges Leben zwischen Unterem Neckar und oberer Donau“ die Lebensläufe seiner Vorfahren mäandern.
Jüngerer Geschichte aus den Tagen des Kalten Krieges wärmt Max Piechotta zu einem spannenden Kapitel auf. Im Verein zur Darstellung der Deutschen Sozialgeschichte verbündeten sich in den 1950er Jahren West-Historiker und Politiker um „Ein Museum gegen die DDR“ auf den Weg zu bringen, dort ihre Sicht der Dinge und die Segnungen der freien sozialen Marktwirtschaft zu präsentieren. Viele Jahre später sollten einige Impulse aus diesem Verein in die Konzeption des Technoseums einfließen.
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