Bunker in Mannheim

Graue Kolosse als Lebensretter

Von 
Peter W. Ragge
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© Marchivum

Bunker bieten im Zweiten Weltkrieg in Mannheim Platz für bis zu 130 000 Menschen – und die Betonbauten retten Leben. Trotz der massiven Bombenangriffe gibt es in keiner vergleichbaren Stadt weniger Tote durch Luftangriffe der Alliierten als in der Quadratestadt.

Er hört sich heute seltsam an, dieser „Hochgesang aus dem Tiefbunker“ vom 16. März 1944. Und er ist anonym – denn eine Namensnennung wäre damals für den Autor lebensgefährlich gewesen. Aber dieses vergilbte Stück Papier klingt unheimlich dankbar. „Und gibt es einst wieder vernünftigen Wein, und Federweißer und Bitzler, Verdammt, das erste Prosit ist Dein, O Massenretter Sepp Zizler!“, reimt ein – so die Unterschrift – „dankbar Geretteter“ über Josef Zizler, den „Vater von Mannheims Bunkern“.

2171 Tote fordert der Luftkrieg in Mannheim – diese Zahl ist offiziell dokumentiert. Dagegen hatten Heilbronn und Pforzheim noch kurz vor dem Ende des Kriegs jeweils bei einem einzigen Luftangriff mehrere tausend Todesopfer zu beklagen. „Im Vergleich hierzu erscheint die Anzahl der in Mannheim während des Zweiten Weltkriegs registrierten Luftkriegstoten als geradezu minimal“, schreibt Dieter Wolf, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Marchivum, der bereits 2003 anhand alliierter Quellen alle Luftangriffe auf die Quadratestadt aufgelistet hat.

Das sei „nicht zuletzt dem in Mannheim besonders konsequent durchgeführten Bauprogramm für Schutzbunker zu danken“, so Wolf: „Weit Schlimmeres hätte man erwarten müssen, belegen doch englisch-amerikanische Statistiken den Abwurf von mehr als 25 000 Tonnen Spreng- und Brandbomben aller Art auf die Stadt“, schreibt er.

Auch für Andreas Schenk, Baugeschichts-Forscher und Bunker-Experte im Marchivum, steht fest, dass „der Bunkerbau vielen Menschen das Leben rettete“ und Zizler „der Kopf des Mannheimer Bunkerbaus“ ist. Dabei kennen die Mannheimer in erster Linie viele andere Objekte von ihm: Das alte Planetarium, das Fröbel-Seminar, das Geschäftshaus an den Planken in P 5 (heute AppelrathCüpper, ehemals „Defaka“ und Café „Kossenhaschen“) stammen von ihm, auch das Rathaus in E 5.

Zwangsarbeiter ausgebeutet

Architekt Zizler steht schon seit fast 20 Jahren an der Spitze des Hochbauamtes, als er im Oktober 1940 nach Berlin muss. Da verkündet der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Fritz Todt, das „Führer-Sofortprogramm“ zur Errichtung von Bunkern in besonders gefährdeten Städten. „Diesem Programm ist zu verdanken, dass bis Ende 1944 im gesamten Stadtgebiet 56 Schutzbauten entstehen“, so Schenk. Zusammen bieten sie mehr als 47 000 Sitz- und Liegeplätze und, im Alarmfall bei maximaler Ausnutzung, 130 000 Menschen Schutz.

Gebaut wird, nach strengen Vorgaben auf der Basis von Untersuchungen der Technischen Hochschule Braunschweig, in Stahlbeton, damit die Schutzräume dem Treffer einer 1000-Kilo-Bombe widerstehen und Schutz vor Giftgas bieten. „Der Bunkerbau wird in Mannheim mit Hochdruck betrieben. Dabei werden auch Zwangsarbeiter herangezogen, sie werden bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit ausgebeutet“, blickt Schenk zurück. Bis 1943 fließen 30 Millionen Reichsmark von Berlin nach Mannheim, um den Bau der Kolosse zu finanzieren.

Unterirdische Schutzräume

Nach dem Krieg rühmt sich Carl Renninger (1881–1951), der von den Nationalsozialisten eingesetzte Oberbürgermeister, dass er den Luftschutz maßgeblich vorangetrieben habe. „Tatsächlich aber lag der Bunkerbau ausschließlich in der Verantwortung Josef Zizlers, der durch die Anweisungen des Reichsministers Todt zu raschem Handeln verpflichtet war“, so Schenk. Zizler sagt später aus, Renninger habe ihn unterstützt, „aufs äußerste“.

Dabei folgt der Leiter des Hochbauamtes nicht allen Weisungen aus Berlin: „Statt vieler kleiner Luftschutzbauten will er große Bunker errichten“, so Andreas Schenk: „Aus städtebaulichen Gründen lässt Zizler nur 20 Schutzbauten als Hochbunker errichten, obwohl diese günstiger als Tiefbunker sind“. In der Innenstadt, an historisch bedeutenden Orten und auf Freiflächen, die er schützen will, entstehen indes unterirdische Schutzräume – im Ehrenhof des Schlosses, unter dem Paradeplatz, unter dem Alten Meßplatz, unter dem Pfalzplatz auf dem Lindenhof oder unter den Tennisplätzen der Oststadt, wo heute das Nationaltheater steht.

Außer Zizler planen auch andere Mannheimer Architekten Bunkerbau, etwa Manfred Dörr, Peter Urban und Christian Schrade, der Erbauer der Christuskirche. Zizler achtet auf architektonische Details – Rundbögen etwa oder schmückende Wasserspeier (wie am Luisenring-Bunker), durch Gesimse gegliederte Fassaden oder Türmchen (wie beim Ochsenpferchbunker).

Mittelpunkt einer Anlage

Oberbürgermeister Renninger ist ein anderer Aspekt wichtig – die Nutzung nach dem Krieg. Man geht ja vom „Endsieg“ aus, weshalb etwa der Feudenheimer Betonbau ein Glockengeschoss „zur Einläutung nationaler Feiertage“ erhalten soll. „Ich glaube, es wird uns in Verbindung mit den Bunkerbauten gelingen, H.J.-Heime in stattlicher Zahl auf das ganze Stadtgebiet zu verteilen“, sagt er mal im Gemeinderat. Er hofft auf Versammlungsstätten und die Nutzung durch die Hitler-Jugend (HJ). „Der Gartenstadt-Bunker sollte Mittelpunkt einer Gemeinschaftsanlage für Paraden und andere Feierlichkeiten bilden. Das Hochbauamt erstellte dafür 1941 sogar ein Modell“, hat Schenk entdeckt.

Selbst während des Krieges herrscht die Partei, auch im Bombenhagel: „Deutsche Volksgenossen“ haben Vorrang, Juden und Zwangsarbeiter dürfen keinen Schutz suchen – und wenn, dann in den oberen Geschossen, sollte dort eine Bombe einschlagen. Die harte Linie macht selbst vor dem obersten Bunker-Architekten nicht halt: Wie Zizler nach dem Krieg Mannheims früherem Stadtarchivar Friedrich Walter berichtet, wurde er „mit meinen zwei Töchtern, die werdende Mütter waren, aus dem Goetheplatzbunker coram publico (vor aller Öffentlichkeit) und zu dessen Gaudium herauskomplimentiert und mir verboten, die Bunker weiter zu betreten im Auftrag des Ortsgruppenleiters“. „Ein Racheakt wegen meiner politischen Einstellung“ vermutet Zizler – weil er nie der NSDAP oder einer ihrer Unterorganisationen beitrat. Dafür wird er nach dem Krieg geehrt. 1954 erhält er in Anerkennung seiner Verdienste die Schillerplakette der Stadt Mannheim.

Redaktion Chefreporter

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