Mannheim. Der erste Zeuge, der am Montag im größten Gerichtssaal des Mannheimer Landgerichts aussagen soll, windet sich. Noch bevor er im Zeugenstand Platz genommen hat, sagt er auf Türkisch: „Warum musste ich hierherkommen?“ Eine Dolmetscherin übersetzt seine Frage ins Deutsche, es ist der sechste Prozesstag, der um den Fall der getöteten Frau kreist, deren Leiche im Oktober 2024 an der Pferderennbahn aufgefunden wurde.
Seit Mitte Juli muss sich die Hauptangeklagte in dem Verfahren, Jessica K.-G., wegen Totschlags vor Gericht verantworten, ihr mutmaßlicher Komplize Haci A. steht wegen Strafvereitelung vor Gericht. Jessica K.-G. soll ihr späteres Opfer, eine 51 Jahre alte Frau, laut Anklage bei sich aufgenommen haben, nachdem diese ihre Wohnung verloren hatte. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Verhältnis der Frauen sich im Laufe der Zeit veränderte und K.-G. die Frau immer häufiger beleidigte und körperlich misshandelte. Zeugen berichteten im Laufe der Verhandlung, Jessica K.-G. habe die 51-Jährige wie eine Sklavin gehalten, die für sie putzen und einkaufen musste. Begehrte die Frau dagegen auf, drohten Sanktionen – so die Zeugen.
Zwischen dem 12. und 13. Oktober 2024 soll die Angeklagte der Frau – vermutlich während eines Streits – mit einer Metallvase auf den Kopf geschlagen haben. Danach soll sich K.-G. mehrere Male auf die unterernährte Frau geworfen haben, die auf dem Boden lag. Dabei wurde diese so schwer verletzt, dass sie starb. Um die Tat zu vertuschen, soll Jessica K.-G. ihren Freund Haci A. angerufen haben. Gemeinsam sollen sie die Leiche gewaschen, angezogen und in einem Waldstück an der Pferderennbahn abgelegt haben.
„Ein Gespräch unter vier Augen mit dem Richter ist nicht vorgesehen“
Die Angeklagten haben zu Beginn des Prozesses zwar ihr Leben nachgezeichnet, zu den Vorwürfen haben sie vor Gericht bislang aber geschwiegen. Und so interessiert es die Schwurgerichtskammer am Montag ganz besonders, was der Zeuge, der von der Dolmetscherin und drei Wachtmeistern flankiert wird, zu berichten hat.
„Sie sollen sich an die Staatsanwaltschaft gewandt haben, weil Sie Angaben zur Sache machen können“, sagt der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz. Der Zeuge habe Haci A. in U-Haft kennengelernt, während der gemeinsamen Untersuchungshaft soll A. dem Zeugen von der Tat erzählt haben. „Ich werde keine Antwort geben, ich werde keine Aussage machen“, sagt der Zeuge, der offenbar nicht damit gerechnet hat, sofort in der Verhandlung aussagen zu müssen. „Ein Gespräch unter vier Augen mit dem Richter ist nicht vorgesehen“, sagt Rackwitz, der den Zeugen darauf hinweist, dass er verpflichtet ist, Angaben zu machen.
Der Vorsitzende Richter schickt den Mann wieder aus dem Saal und fordert ihn auf, noch einmal über die Aussage nachzudenken. Dann verständigt er dessen Rechtsanwalt, der den Zeugen in anderer Sache bereits vor Gericht vertreten hat. Steffen Lindberg soll den Mann beraten und ihn über seine Rechten und Pflichten aufklären. Am späten Vormittag soll der Zeuge, der aktuell in der JVA untergebracht ist, wieder im Zeugenstand Platz nehmen.
Im Gerichtssaal verstreicht Stunde um Stunde mit weiteren Zeugenaussagen. Zunächst ist da ein Polizeibeamter, der das Smartphone der Angeklagten ausgewertet hat. Auf der Leinwand im Saal sind Videos zu sehen. Das Opfer, das einen Feldweg entlangläuft. Das Opfer, das dazu gedrängt wird, seinem Smartphone die immergleiche Frage zu stellen: Wie bekommt man Selbstbräuner aus schwarzen Kleidern? Eine andere Frau im Video raunzt etwas von einer Lernschwäche.
Dann projiziert Rackwitz Chats an die Leinwand, WhatsApp-Unterhaltungen zwischen der Angeklagten und ihren Töchtern. Jessica K.-G. unterstellt ihren Töchtern darin üble Nachrede, sie sollen weitererzählt haben, dass sie die Mitbewohnerin schlecht behandelt habe. Die Mutter beschimpft die jungen Frauen, ihre Sprache ist derb, vulgär. Eine der Töchter fleht: „Mama, du verlierst deine Kinder“. Doch Jessica K.-G. schreibt: „Oh mein Gott, was für Opfer ihr seid.“
Gelöschte Chats erschweren Auswertung des Smartphones des Angeklagten
Danach sind da weitere Zeugen, ein Polizeibeamter, der die Probleme skizziert, die die Ermittler bei der Auswertung des Smartphones von Haci A. hatten, weil die meisten Chatnachrichten des Mannes gelöscht worden waren. Nach ihm sprechen zwei Frauen im Zeugenstand über Jessica K.-G.
Die eine, die Tochter einer Nachbarin, berichtet, wie aufgedreht Jessica K.-G. am 12. und 13. Oktober 2024 gewesen sei und dass sie auf der Mannheimer Oktobermess Alkohol trank, obwohl die Zeugin sie normalerweise nie trinken sah. Und, dass ihr auffiel, dass der Teppich auf dem Balkon fehlte. Während sie spricht, ist im Zuschauerraum immer wieder ein Tuscheln zu hören, jemand zischt Beleidigungen.
Eine andere Zeugin spricht über den Umgang der Angeklagten mit dem späteren Opfer. Im Gerichtssaal werden ihre Sprachnachrichten angehört, wieder werden Chats verlesen. In einem schreibt die Zeugin: „Es gibt Menschen, die brauchen das, geknechtet zu werden.“ Und sinngemäß auch: Das Opfer hätte sich längst wehren sollen.
Dann, mehrere Stunden nach seinem ersten Auftritt im Gerichtssaal, wird der erste Zeuge des Tages erneut in den Zeugenstand gerufen. Doch er will partout nicht, folgt den Wachtmeistern nicht zurück in den Saal. Rechtsanwalt Lindberg spricht noch einmal mit seinem Mandanten, der sich dann doch im Zeugenstand niederlässt. Der Anwalt sagt: „Er hat große Sorge um seine Sicherheit und die seiner Familie.“
Obwohl dem Zeugen bewusst sei, dass ihm Zwangsmaßnahmen drohen, werde er keine Aussage machen. Der Vorsitzende Richter Rackwitz betont, wie wichtig dessen Aussage sei und verhängt ein Ordnungsgeld von 300 Euro, außerdem muss der Mann in Haft – bis er kooperiert. Während der Ordnungshaft wird dessen eigentliche Haft unterbrochen.
Am nächsten Donnerstag, wenn der Prozess fortgesetzt wird, soll der Mann erneut in den Gerichtssaal gebracht werden.
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