UMM-Chefärztin im Interview

"Frauen haben häufig keine großen Netzwerke und selten Förderer"

Als erste Frau führt UMM-Chefärztin Grietje Beck den deutschen Anästhesistenverband. Was aus ihrer Sicht für mehr Frauen in der Medizin nötig ist

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Grietje Beck blickt im OP-Saal auf Hightech-Überwachungsmonitore: Seit dem ersten „Äther-Schlaf“ im Jahr 1846 hat sich viel getan. © UMM

Mannheim. Weil das Verabreichen einer Narkose in den 1950ern bei Chirurgen als unattraktiv galt, übernahmen zunächst Ärztinnen diese Tätigkeit. Gleichwohl sollte es über fünf Jahrzehnte dauern, ehe eine Frau an die Spitze des Berufsverbands für das riesige Fachgebiet Anästhesie gewählt wurde: Grietje Beck von der Universitätsmedizin Mannheim (UMM).

Frau Professor Beck, Sie sind unlängst zur Präsidentin des mehr als 20 000 Mitglieder zählenden Berufsverbands Deutscher Anästhesisten und Anästhesistinnen gewählt worden. Als erste Frau! Ein Signal für Medizin-Kolleginnen aller Fachrichtungen?

Grietje Beck: Ich hoffe ja, es bedeutet aber auch, Erwartungen zu erfüllen. Ich freue mich sehr über das Vertrauen.

UMM-Chefärztin Grietje Beck © siehe Bildtext

Stichwort Medizin-Feminisierung. Auch beim Mannheimer Medizin-Modellstudiengang MaReCuM überwiegen inzwischen Frauen deutlich. Dennoch erobern Männer die Spitzenpositionen. An der UMM gibt es an den über 30 Kliniken und Instituten außer Ihnen nur drei Chefärztinnen. Woran liegt das?

Beck: Das ist komplex. Frauen haben häufig keine großen Netzwerke und selten Förderer. Dies ändert sich schrittweise, aber immer noch viel zu langsam. Zusätzlich wird es schwierig, wenn bei Ärztinnen der Wunsch nach Familie besteht und damit eine Berufspause verbunden ist. Wenn Frauen auf Kinderbetreuung und Arbeitsteilung angewiesen sind, erweisen sich langfristige Karriereplanungen als schwierig. An der UMM haben wir deshalb in meiner Zeit als Gleichstellungsbeauftragte der Fakultät eine Kita mit Krippe etabliert. Bis heute sehr gefragt.

Grietje Beck

  • Grietje Beck, 1965 in Gera geboren, studierte in Jena und Heidelberg Medizin. 2004 Habilitation. Seit April 2022 ist sie an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) Direktorin der Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensiv - und Schmerzmedizin. Davor war sie Chefärztin in Wiesbaden.
  • Das Mannheimer Uni-Klinikum ist ihr bestens vertraut. Dort war sie von 2003 bis 2009 tätig, anfangs als OP-Managerin, zuletzt als stellvertretende Klinikdirektorin.
  • Der verheirateten Mutter eines erwachsenen Sohnes liegt am Herzen, dass Medizin-Kolleginnen besser Klinik und Familie vereinbaren können. wam

1846 versetzte der US-Zahnarzt William Morton den ersten Patienten für eine OP mit Äther-Dämpfen in Schlaf - die Geburtsstunde der Anästhesie. Und die machte überhaupt erst die stürmische Entwicklung der Chirurgie möglich. Was sind für Sie die Meilensteine Ihres Faches?

Beck: Diese reichen von rasanter Technisierung zur Unterstützung von Organfunktionen über die Entwicklung moderner Anästhesie- und Notfallmedikamente fast ohne Nebenwirkungen und gut steuerbar bis hin zu detaillierten wie digitalisierten Überwachungsmethoden. Und natürlich die Entwicklung zu einer auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten abgestimmten Anästhesie-, Intensiv- und Schmerztherapie.

Sie sind also weit mehr als eine Narkose-Ärztin?

Beck: Absolut! Unser Fach umfasst ebenfalls die kompletten Tätigkeiten in der Intensivmedizin, Notfallmedizin als Notärzte sowie Schmerz- und Palliativmedizin. Somit ist die Narkose wirklich ein kleiner Teilbereich.

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Da drängt sich ein Kuriosum auf: Bis Anfang der 1950er galt das Einschläfern vor einer OP als unattraktiv und wurde nur widerwillig von Ausbildungschirurgen gemeinsam mit Pflegekräften übernommen. Und so interessierte sich kein Mediziner für jene Stelle, die das Klinikum 1952 für anästhesiologische Tätigkeiten schuf und zuerst mit Ärztinnen besetzte. Als aber 1968 eine eigenständige Anästhesie-Abteilung eingerichtet wurde, eroberte ein Mann den Chefsessel. Und dies sollte bis zu Ihrer Berufung so bleiben.

Beck: Richtig, das spiegelt die Entwicklung der Anästhesie und von Führungspositionen in der Medizin wider. An der UMM gibt es mit mir immerhin zwei jener insgesamt vier Frauen, die in Deutschland eine solche Universitätsklinik führen. In der „körperlich betonten“ operativen Medizin ist die Geschlechterbalance nochmal weiter verschoben. Sicherlich muss Qualifikation ausschlaggebend für die Besetzung bei Chefarztpositionen sein, aber dank moderner Operationsverfahren muss sich auch hier ein Geschlechterwandel vollziehen.

Was ist nötig, damit Ärztinnen mit Kind oder mehreren Sprösslingen am Krankhaus bleiben?

Beck: Veränderte Konzepte! Mehr Frauen werden nur in der Medizin bleiben, wenn sie passende Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf samt Kinderbetreuungseinrichtungen finden. Und wenn attraktive Arbeitszeitmodelle samt Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden.

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Zurück zu Ihrer Kernaufgabe. So manche Menschen fürchten, während einer OP aufzuwachen oder schlimmer noch, aus einer Narkose nicht mehr zu erwachen. Was sagen Sie bei solchen Ängsten?

Beck: Ärzte für Anästhesiologie und spezialisierte Pflegekräfte sind die ganze Operation über bei Ihnen! Wir können die Anästhesie in Wirkung und Zeit genau steuern und haben modernste Überwachungsmethoden, damit Sie nicht ungeplant aufwachen. Anästhesie ist heute ein sehr sicheres Verfahren.

Vor der Narkose galt eine Operation als Tortur. Die Anästhesie schaltet nicht nur Schmerzen während einer OP aus. Inzwischen gehört zu Ihrem Fachgebiet auch das Bekämpfen von Pein, die vom Körper befeuert wird. Was sind die Herausforderungen?

Beck: Akute und chronische Schmerzen sind in der Ursache und damit auch in der Therapie sehr verschieden. Oft reichen Medikamente nicht aus, weshalb ganzheitliche, sogenannte multimodale Konzepte gefunden werden müssen. Eine Herausforderung! Und deshalb gehören längst auch Schmerzambulanzen zu meinem Fach.

Freie Autorin

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