Kriminalität

Femizide: Warum eine Frau in Mannheim starb

Ein Mann tötet seine Ex-Partnerin in Neckarau. Es ist eine Tat mit einer Vorgeschichte. Die Trennung ist häufig der gefährlichste Moment für die Frau - das zeigt auch der Mannheimer Fall

Von 
Stefanie Ball
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2021 gab es in Deutschland mehr als 143 000 Opfer von häuslicher Gewalt – 80 Prozent davon Frauen. Hochrisikofälle zu identifizieren, ist nicht immer einfach. © dpa

Mannheim. Als es der Polizei endlich gelingt, sich über die mehrfach gesicherte Tür Zugang zum Haus zu verschaffen, ist die Frau tot. Die 36-Jährige hatte noch selbst den Notruf abgesetzt. Ihr Ex-Partner hatte sie mit einem Messer angegriffen und auf sie eingestochen. Dann bringt sich der 33-Jährige selbst um. Auch für die Frau kommt jede Hilfe zu spät. Es ist das dramatische Ende einer Beziehung, die schon lange in gefährlicher Schieflage war. Solche Intimizide, die Ermordung von (ehemaligen) Liebespartnerinnen, haben meist eine Vorgeschichte. Sie sind keine „tragischen Familiengeschichten“, wie sie häufig beschrieben werden, sondern eine Amoktat, die sich lange vorher ankündigt, oft sogar explizit ausgesprochen wird.

Niemand sieht die Gefahr

Auch das, was in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni im Neckarauer Waldweg geschieht, ist kein spontanes Beziehungsdrama, sondern nur die letzte Eskalationsstufe. Wie die Akten von Staatsanwaltschaft und Polizei sowie Beratungsgespräche belegen, war Peter H. (Name geändert) schon länger gegenüber seiner Familie gewalttätig. 2020 wurde zwei Mal, 2021 ein Mal ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung gegen ihn eingeleitet, ein Mal war die 14-jährige Tochter involviert. Das Kind stammt aus einer früheren Beziehung von Christine B. Auch der Name der Frau wurde von der Redaktion geändert. Mit ihrem neuen Lebensgefährten Peter H., der zeitweise bei der 36-Jährigen im Haus in Neckarau wohnt, zuletzt in der Innenstadt lebt, hat sie zwei weitere gemeinsame Kinder. Sie sind zum Zeitpunkt der Tat zwei und drei Jahre alt.

Hilfe bei häuslicher Gewalt

Wenn Sie oder Ihnen nahestehende Frauen von häuslicher Gewalt betroffen sind, finden Sie an folgenden Stellen Hilfe: 

  • Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ berät von häuslicher Gewalt Betroffene, Angehörige, Freundinnen und Fachkräfte. Erreichbar ist das Hilfetelefon unter der Rufnummer 08000 - 116 016. Weitere Informationen gibt es hier. 
  • Das Mannheimer Frauenhaus bietet Frauen und deren Kindern Schutz in akuten Gewaltsituationen. Telefonisch ist das Frauenhaus unter der Rufnummer 0621 - 74 42 42 erreichbar. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • In der Gewaltambulanz der Uniklinik Heidelberg werden kostenlos Spuren von Gewalttaten gesichert. Sie ist 24 Stunden erreichbar. Es besteht keine Anzeigepflicht. Telefonisch ist die Gewaltambulanz unter der Rufnummer 0152 -  54648393 erreichbar. Weitere Informationen gibt es hier. 

Die Verfahren wurden jedes Mal eingestellt - der Sachverhalt konnte nicht aufgeklärt werden. Laut Staatsanwaltschaft hätten sich Peter H. und Christine B. wechselseitig der Körperverletzung beschuldigt, es stand also Aussage gegen Aussage. Allerdings hat die Polizei nach dem Vorfall 2021 ein mehrtägiges Annäherungsverbot gegen den Mann verhängt und eine Gefährderansprache durchgeführt. Ihm wird klargemacht, dass er unter Beobachtung steht.

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Im November 2022 schließlich trennt sich die Frau von ihrem Partner. Das ist die Wende - ab diesem Tag wird Christine B. zum Hochrisikofall. Nur: Sie weiß es nicht. Niemand scheint es zu wissen. Denn für Peter H. ist das der Tiefpunkt, er will sich nicht trennen. Was genau das in ihm ausgelöst hat, wird sich nicht mehr in Erfahrung bringen lassen. Aber in allen Fällen von Intimiziden, auch denen, in denen es vorher keine gewaltsamen Übergriffe gegeben hat, haben die Männer irgendwann das Gefühl, nichts mehr verlieren zu können. Sie töten, weil sie glauben, alles andere schon verloren zu haben. Ihre Würde, ihre Anerkennung als Mann und Vater, ihren Status, ihren Freundeskreis.

Ich sage den Frauen dann: ,Sie wollen das jetzt nicht hören, aber aus unseren Erfahrungen kann ich Ihnen sagen, er wird sich nicht ändern’.
Annette Heneka Fraueninformationszentrum Mannheim

„Hoffentlich habe ich mich geirrt“, denkt Annette Heneka, als sie am 6. Juni im „Mannheimer Morgen“ die Überschrift liest: „Mann ersticht seine Freundin“. Doch eigentlich weiß sie da längst, dass die Frau, die im März 2020 erstmals bei Heneka im Fraueninformationszentrum (FIZ) vorstellig wurde und seitdem immer wieder dort war, ihrem Ex-Partner zum Opfer gefallen ist.

Unter dem Hashtag Accountnamen @femizide_stoppen zählt eine Gruppe auf Instagram die Tötungen von Frauen durch Männer in Deutschland. Der Ausdruck Femizid meint hier die Tötung von Frauen wegen ihres Geschlechts. Der Fall in Mannheim ist der 47., Ende des Jahres werden es mehr als 100 sein, im Schnitt wird in Deutschland an jedem dritten Tag eine Frau von einem Mann getötet.

Druck, Beleidigungen, Schläge

Heneka arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten beim FIZ, der ambulanten Beratungsstelle des Vereins Mannheimer Frauenhaus. Vorher war sie viele Jahre selbst im Frauenhaus tätig. Sie hat viele Geschichten gehört, von Männern, die ihren Frauen nach der Trennung drohen, sie via GPS-Geräte, die sie am Fahrzeug anbringen, auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Von Kindern, die ihre Väter nicht mehr sehen wollen, und Familiengerichten, die dennoch auf Umgang bestehen. Von Frauen, die sich fragen, warum ihre Lebenspartner sie so behandeln, sie beleidigen, unter Druck setzen, schlagen. Die die Schuld bei sich suchen und hoffen: Ich muss nur noch mehr tun, dann hört es auf. Doch Heneka weiß: Es hört nicht auf. Nie. „Ich sage den Frauen dann: ,Sie wollen das jetzt nicht hören, aber aus unseren Erfahrungen kann ich Ihnen sagen, er wird sich nicht ändern’.“

Hilfe bei Suizidgedanken

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide. Dies gibt der Pressekodex vor. Ausnahmen sind zu rechtfertigen, wenn es sich um Vorfälle von erhöhtem öffentlichen Interesse handelt. Wenn Sie verzweifelt sind und in einer bedrückenden Lebenssituation keinen Ausweg sehen: Suchen Sie sich Hilfe. Das kann ein Gespräch mit Angehörigen oder Freunden sein, oder professionelle Unterstützung:

  • Das Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) bietet einen Notdienst für Menschen in psychischen Krisen an, der rund um die Uhr besetzt ist. Die telefonische Erreichbarkeit erfolgt unter der Nummer 0621 / 1703-7777. Die Erreichbarkeit vor Ort: J5, Therapiegebäude, Erdgeschoss, separater Eingan neben dem Haupteingang.
  • Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention bietet ein Info-Telefon an, das unter der Rufnummer 0800 / 33 44 533 zu erreichen ist. Weitere Informationen finden Sie hier.
  • Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden unter der Rufnummer 0800 1110111 erreichbar. Weitere Infos zur Telefonseelsorge gibt es hier.
  • Caritas Deutschland bietet eine online eine Beratung für suizidgefährdete junge Menschen (U25) an. Weitere Infos gibt es hier.
  • Hilfe – auch in türkischer Sprache – bietet das muslimische Seelsorge-Telefon "MuTeS" unter 030/44 35 09 821. Die Mitarbeiter dort sind 24 Stunden am Tag erreichbar. Weitere Infos dazu finden Sie hier.

Bevor die Frauen jedoch den Schritt gehen und sich trennen, muss einiges passieren. „Man klammert sich an die Beziehung, man lebt schon lange zusammen, hat ein gemeinsames Haus, Kinder, man versucht, das Nest zu bewahren, das ist ganz normal“, sagt Nazan Kapan, Geschäftsführerin des Vereins Mannheimer Frauenhaus. Christine B. hat es geschafft und sich getrennt. Doch dann sind da die drei Kinder. So hat sie weiter Kontakt mit ihrem Ex-Partner. „Das ist das Fatale, weil die Kinder mit beiden Elternteilen Umgang haben sollen, gibt es keine endgültige Trennung“, so Kapan. Manche Männer nutzen das aus - um weiter Macht über ihre Partnerinnen auszuüben.

Das ist das Fatale, weil die Kinder mit beiden Elternteilen Umgang haben sollen, gibt es keine endgültige Trennung
Nazan Kapan Geschäftsführerin Mannheimer Frauenhaus

Dass sie Christine B. nicht helfen konnten, hat Annette Heneka schwer getroffen. Es ist das erste Mal, dass eine Frau aus der Beratung durch einen Intimizid stirbt. „Jede Beraterin hat das im Kopf, dass es schlimm enden kann.“

Um bei Fällen von häuslicher Gewalt Hochrisikofälle herauszufiltern, wendet die Polizei seit geraumer Zeit wissenschaftliche Prognoseinstrumente an, die die Vorkommnisse analysieren und in Risikostufen einteilen. Auch der Fall von Christine B. wurde 2020 und 2021 einer Analyse unterzogen. Aus Datenschutzgründen kann die Mannheimer Polizei das Ergebnis nicht mitteilen. Noch sind die Ermittlungen nicht abgeschlossen.

Am 19. Juni zählt @femizide_stoppen den 54. Fall. Eine 21-Jährige wird mutmaßlich durch ihren Lebensgefährten getötet. Angehörige haben die Frau leblos in ihrer Wohnung gefunden. Zeugen berichten von früherer Gewalt in der Beziehung. „Wir müssen das aushalten“, sagt Heneka, „gleichzeitig müssen wir am Ball bleiben, damit die Frauen wissen, dass sie nicht alleine sind.“

Freie Autorin

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