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Fachkongress in Mannheim: "Musikunterricht ist unverzichtbar"

Während der Pandemie, sind Defizite entstanden, sagt Georg Biegholdt, Vizepräsident des Verbands Musikunterricht. Man könne nicht auf Musik verzichten, mahnt er bei einem Kongress in Mannheim

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Valerie Gerards
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Georg Biegholdt, Vizepräsident des Bundesverbands Musikunterricht. © Valerie Gerards

Mannheim. „Resonanz“ lautet das Tagungsmotto des Bundeskongresses Musikunterricht, der seit Mittwoch im Rosengarten, der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, der Musikschule und umliegenden Schulen über die Bühne geht. Fünf Tage lang finden zahlreiche Vorträge und Workshops zu Musikpädagogik, Ensembleleitung, interkulturellem Unterricht, Inklusion, Gesang, Chor und Tanz statt. Das Kursprogramm richtet sich an Musiklehrerinnen und Musiklehrer, die Anregungen für ihre Arbeit und fachlichen Austausch mit Kollegen suchen. Im Interview mit dem „MM“ erklärt Georg Biegholdt, Vizepräsident des Bundesverbands Musikunterricht, warum Musikunterricht aus seiner Sicht unverzichtbar ist und wie Inklusion und Integration ganz leicht gelingen könnten.

Herr Biegholdt, man hört immer wieder, dass sich Musizieren positiv auf die Gehirnentwicklung auswirkt. Wie sehen Sie das?

Georg Biegholdt: Man weiß vieles nicht wirklich. Es gibt Studien, bei denen am Ende unklar ist, ob die positiven Effekte direkt auf die Musik zurückzuführen sind, oder vielleicht auch darauf, dass man in der Musik sozial aktiv ist. Durch Musik denken wir vernetzter, weil sie verschiedene Areale im Gehirn anspricht. Und zumindest für die Zeit, in der wir Musik machen, verhalten wir uns sozialer. Es ist aber auch ein Effekt, der sich wieder verliert, wenn Musizieren nicht mehr praktiziert wird.

Dann ist die vielgewünschte Persönlichkeitsentwicklung doch kein so großes Argument fürs Musizieren …

Biegholdt: Das spricht eher dafür, lebenslang Musik zu machen. Wir sind keine Zulieferer, weil Musik klug oder sozial macht. Sie hat einen ganz eigenen Stellenwert im Leben des Menschen, nämlich ein erfülltes Leben und einen Ausgleich zu anderen Dingen zu schaffen. Diese Möglichkeiten muss Musikunterricht in der allgemeinbildenden Schule eröffnen.

Warum gerade an allgemeinbildenden Schulen?

Biegholdt: Weil wir dort alle Kinder erreichen. In der Musikschule ist das schon nicht mehr der Fall.

Das ist sicher auch eine Frage des Geldes. Nicht alle Menschen können sich die Musikschule leisten.

Fachausstellung

  • Während des Bundeskongresses Musikunterricht findet eine große Musikalien-, Instrumenten- und Medienausstellung im Musensaal sowie den angrenzenden Foyerbereichen des Congress Centers Rosengarten statt.
  • Die Fachausstellung ist kostenfrei und öffentlich zugänglich. Die Öffnungszeiten sind am Freitag von 10 bis 19 und am Samstag von 10 bis 17 Uhr. vg

Biegholdt: Es ist nicht nur eine Frage des Sich-leisten-Könnens, sondern auch des Augenmerks, das Eltern darauf haben. Darum ist der Musikunterricht an der Schule so wichtig.

Während der Corona-Pandemie war der an den Schulen stark eingeschränkt.

Biegholdt: Selbst sogenannte Bildungsexperten sagen, auf Musik können wir mal verzichten. Ich finde, das können wir nicht! Während der Corona-Zeit sind echte Defizite entstanden. In den Grundschulen gibt es jetzt zwei Jahrgänge, die noch nie wirklich Musikunterricht hatten. Ein Chor beispielsweise lebt aber davon, dass die Großen in der dritten und vierten Klasse die Kleinen mitziehen. Vieles fängt jetzt ganz von vorne an. Das wird schwierig, zumal wir Lehrermangel haben.

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Was halten Sie dem entgegen?

Biegholdt: Wir haben außer der Pandemie noch eine Inflation, Krieg und Klimaerwärmung. Da könnte man denken, Musik sei eine Marginalie - aber das ist sie nicht. Sich mit Musik, Literatur und Kunst zu beschäftigen ist es, was uns zu Menschen macht.

Haben Sie Strategien, um Bildungspolitiker zu überzeugen?

Biegholdt: Musikunterricht wird nur dann als wichtig empfunden, wenn er auch als gewinnbringend wahrgenommen wird. Wenn die Kinder und Jugendlichen mit dem, was sie im Musikunterricht lernen, auch etwas anfangen können, sie Freude an Musik und am Entdecken neuer Musikrichtungen haben. Wenn uns das gelingt, ist das ein Musikunterricht, für den es sich zu kämpfen lohnt.

Stoßen Sie damit auf offene Ohren?

Biegholdt: Bei Bildungspolitikern ist es oft abhängig von dem Musikunterricht, den sie selbst einmal hatten. Wenn sie den positiv erlebt haben, wissen sie, wie wichtig es für Kinder ist, sich musikalisch darstellen zu können. Dieser Kongress soll dazu beitragen, dass der Musikunterricht ein guter ist.

Das steht und fällt mit dem Lehrer.

Biegholdt: Auf jeden Fall. Es kommt darauf an, wie Lehrende auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen. Hier in diesen Hallen begegnet man natürlich den Lehrerinnen und Lehrern, die sowieso schon engagiert sind und neue Anregungen suchen.

Lehrende holen sich bei einem der Workshops während des Bundeskongresses im Mannheimer Rosengarten Anregungen, wie sie Popmusik im Musikunterricht einsetzen können. © Valerie Gerards

Können Sie konkretisieren, was Musiklehrer bei den Workshops lernen?

Biegholdt: Es gibt vielfältige Umgangsweisen, nicht nur Musik zu hören und zu singen, sondern eben auch ein Instrument zu spielen, zu tanzen, zu Musik zu malen, sich über Musik zu verständigen. Oder einen Popsong mit den Kindern einstudieren: Das macht unheimlich Spaß, weil die Musik den jungen Leuten liegt. Und es zeigt ihnen, dass so ein Song kein Hexenwerk ist. Das sind mitunter nur vier Akkorde, die relativ schnell gelernt sind. Im Besten Fall hören die Kinder den nächsten Song, der ihnen gefällt, und merken, dass sie den auch spielen können.

Es geht also darum, die Bausteine der Musik zu verstehen.

Biegholdt: Genau. Auch beim Tanzen geht es nicht nur darum, Tänze beizubringen, sondern als Lehrer mit einer vagen Idee in den Unterricht zu gehen und den Tanz mit den Kindern zusammen zu kreieren. Auch dazu brauche ich erst ein paar Bausteine, mit denen ich loslegen kann. Danach entsteht etwas Kreatives.

Wenn man Musik als gemeinsame Sprache der Menschen betrachtet, dürfte auch die Integration von ausländischen Kindern gut funktionieren.

Biegholdt: Es ist vielleicht nicht ganz so einfach zu sagen, Musik sei eine universelle Sprache und alle kämen gleich gut damit klar. Aber Musik funktioniert eben auf weiten Strecken ohne Sprache, und das stellt schneller Gemeinsamkeiten her. Eine Kollegin von mir unterrichtet an einer Schule, an der 90 Prozent nicht-deutschsprachige Kinder sind. Der Musikunterricht funktioniert von allen Fächern am einfachsten. Ob es arabische, türkische oder jetzt eben ukrainische Kinder sind, spielt keine Rolle.

Wie funktioniert Inklusion im Musikunterricht?

Biegholdt: Das ist gar nicht so schwer, weil bei uns immer schon sehr individualisiert werden musste. Man hat 20 Kinder oder Jugendliche mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen - ein Kind spielt vielleicht nur zwei Töne und das andere die Tonleitern rauf und runter. Inklusion bedeutet ja eigentlich nur, dass die Bandbreite der Kinder noch etwas größer wird.

Klappt das in der Realität?

Ein geübter Musiklehrer kann das. Auch einen Rollstuhlfahrer kann ich in Tanz einbeziehen. Kinder haben keine Hemmungen, mit Kindern mit Handycap umzugehen. Es sind eher die Lehrenden, die noch Vorbehalte haben - die man ihnen gar nicht anlasten kann, denn unser Schulsystem war früher so. Jetzt wird die Bandreite größer, und das ist für manche eine Herausforderung. Aber viele Lehrende stellen sich dem.

Freie Autorin

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