Salon Diplomatique

Expertengespräch über Mafia in Mannheim: „Basta – es ist genug!“

Experten diskutieren über die kriminellen Strukturen der Mafia in Deutschland und Italien, über Geldwäsche, Drogenhandel und Razzien

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
Lesedauer: 
© siehe Bildtext

Mannheim. Wenn von Mafia die Rede ist, denken viele sofort an den Kino-Klassiker „Der Pate“ , in dem Marlon Brando, ausgestattet mit bulldoggenartigen Hängebacken, einen der mächtigsten Verbrecherbosse von New York spielt. Und natürlich kommen spektakuläre Morde als blutiges Geschäftsprinzip in den Sinn. Aber das war einmal. Heute laufen schmutzige Mafia-Transaktionen, ob Drogenhandel, Wetten oder Glücksspiel, unauffällig unter dem Radar öffentlicher Wahrnehmung. Das ist die Botschaft eines Gesprächs mit Experten, die anlässlich des italienischen Nationalfeiertags auf Einladung des Mannheimer Salon Diplomatique die Wandlungsfähigkeit einer inzwischen global agierenden Organisation ausleuchten.

In einem Konferenzraum des Dorint-Hotels sitzt eine „lebendige Legende“ am Tisch, wie der moderierende Richter und Buchautor Alessandro Bellardita den berühmten Gast Leoluca Orlando vorstellt. Der langjährige Bürgermeister von Palermo, der um Leib und Leben fürchten musste, hat in seinem Buch „Ich sollte der Nächste sein“ geschildert, was es bedeutet, die Mafia zu bekämpfen – politisch wie persönlich.

LKA-Präsident Andreas Stenger (v.l.), Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando und der Karlsruher Richter Alessandro Bellardita. © Gregor Spachmann

Dieses vor zwei Jahrzehnten veröffentlichte Bekenntnis hat Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg mitgebracht, um sich sein Exemplar von dem Autor signieren zu lassen. In hervorragendem Deutsch, das Leoluca Orlando während seiner Zeit als Jura-Student in Heidelberg erworben hat, erzählt der heute 75-Jährige, wie es gelang, organisierter Kriminalität beizukommen: „Die Mafia hat zu viel gemordet – ein großer Fehler“. Denn irgendwann wollte die italienische Zivilgesellschaft nicht mehr das Phänomen des Schweigens, die Omertà, mittragen und befand: „Basta – es ist genug!“

Zugehörigkeit steht unter Strafe

Als juristisches Schwert mit scharfer Klinge habe sich jenes Gesetz erwiesen, das bereits eine Zugehörigkeit zur Mafia unter Strafe stellt. Orlando berichtet spannend und kenntnisreich, wie in den 1980ern das organisierte Verbrechen „von innen“ agierte, weil in deren Hochburgen, beispielsweise der sizilianischen Hauptstadt Palermo, politische Gremien wie auch Behörden, ja die Polizei, von Korruption durchdrungen waren und obendrein Mafia-Mitglieder höchste Ämter bekleideten.

In der Diskussion sind sich die drei Experten einig: Heute agiert die Mafia grenzüberschreitend von außen – und dies möglichst lautlos, deshalb unblutig, aber dafür strategisch und effektiv. Der aus Italien stammende deutsche Richter und Hochschuldozent Alessandro Bellardita, der sich intensiv mit der Mafia beschäftigt, vergleicht die Organisation mit einem Virus, das in der Lage ist, Mutationen zu entwickeln und sich damit an neue Situationen anzupassen.

Mehr zum Thema

Interview

Mafia - die "Route des Todes" führt nach Mannheim

Veröffentlicht
Von
Walter Serif
Mehr erfahren

International werde inzwischen organisierte „Weiße-Kragen-Kriminalität“ betrieben. Andreas Stenger betont als baden-württembergischer LKA-Präsident: Zur erfolgreichen Bekämpfung bedarf es „agiler, außerdem grenzüberschreitender Strukturen“ – eben Kooperationen wie Europol.

„Rauschgift wird tonnenweise verschoben“

Im Gespräch blitzt beispielhaft die einige Wochen zurückliegende Operation „Eureka“ auf, bei der weltweit, auch in Deutschland , Razzien gegen die kalabrische Mafia-Organisation Ndrangheta wegen Drogenhandels und Geldwäsche liefen und auch zu Verhaftungen führten. „Zu Beginn meiner Berufslaufbahn wäre das Sicherstellen von zehn Kilo Kokain medial gefeiert worden“, so Stenger, der vor seinem Karrieresprung auf den LKA-Chefsessel das Mannheimer Polizeipräsidium geleitet hat: „Inzwischen wird Rauschgift tonnenweise verschoben“, sagt er.

Bei einer Eureka-Aktion habe sich herausgestellt, dass in Deutschland eine 17-köpfige Mafia-Gruppierung ausreichte, um eine Tonne aus Kolumbien stammendes Kokain mit Riesengewinn zu verhökern. Nicht nur Dimensionen haben sich gewandelt – auch Geschäftspraktiken: Statt Pizzabäckern und Restaurantbetreibern Schutzgeld abzupressen, werden sie zum Kauf von Lebensmitteln, Wein oder anderen Produkten überredet und manchmal auch genötigt, die aus Mafia-kontrolliertem Handel stammen. Auch wenn italienische Gastronomie gern als Tarnung für Geldwäsche dient, so wissen Experten: Pizzerien, Eisdielen und Co. reichen nicht aus, um Milliardenerlöse aus schmutzigen Geschäften reinzuwaschen.

Illegales Geld in legalen Projekten

Inzwischen nutze die Mafia so ziemlich alle Geschäftsfelder – samt „Galionsfiguren mit sauberen Namen“, wie es Orlando ausdrückt. Und LKA-Chef Stenger weiß nur zu gut, dass es kriminellen Organisationen zunehmend gelingt, illegales Geld in legalen Projekten unterzubringen. Als die Mafia ihre Macht noch mit Morden festigte, lautete die Devise der Ermittler: „Folge dem Blut“. Heute gilt: „Folge dem Geld“. Dabei sieht Andreas Stenger das Problem, dass kriminell erworbene Erlöse beziehungsweise damit gekaufte Immobilien oder Luxusautos nicht einfach beschlagnahmt werden können – „es muss erst eine Straftat nachgewiesen werden“. Beispielsweise in einem Prozess mit rechtskräftiger Verurteilung.

Auch wenn sich der LKA-Chef darüber in Klaren ist, dass der Rechtsstaat ein hohes Gut ist, wünscht er sich im Bereich der Geldwäsche eine Umkehr der Beweislast. Die Mahnung der Expertenrunde: Eine heute eher unsichtbar agierende Mafia, die Deutschland erst als Rückzugsort und schließlich als attraktiven Umschlagplatz entdeckt hat, dürfe nicht unterschätzt werden. Die Folgen eines kriminell unterwanderten Wirtschaftssystems, so Richter Bellardita, könne jeder zu spüren bekommen: Wenn beispielsweise mit Mafia-Geld im großen Stil Häuser aufgekauft und für andere unerschwinglich würden.

Freie Autorin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen