Auf der Straße lebt er schon lange nicht mehr, gleichwohl gilt er als Deutschlands bekanntester Obdachloser – Richard Brox. Dass es still um ihn geworden ist, hat seinen Grund: Der gebürtige Mannheimer, der drei Jahrzehnte „Kein Dach über dem Leben“ hatte, wie seine Erfolgsbiografie heißt, arbeitet in Köln mit einem Team an seinem neuen Buch.
Aber diesmal sollen weder jene Übergriffe, die er als Heimkind erlebt und erlitten hat, noch seine Erlebnisse als „Wandersmann“ am Rande der Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Das Team möchte verschlungene Wege von Männern und Frauen nachzeichnen, die nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihre Lebensperspektive verloren haben, erzählt der 58-Jährige am Telefon. Wie schon in dem Anfang 2018 erschienenen Bestseller geht es darum, Menschen mit Schattendasein sichtbar zu machen. „Es werden auch Biografien aus Mannheim und Ludwigshafen aufgenommen.“
Vorwort von Günter Wallraff
Wie Brox berichtet, gehört zum Autorenteam neuerdings Albrecht Kieser vom Kölner Journalistenbüro, der früher auch in anderen Berufen tätig war, beispielsweise als Sozialarbeiter. Seit seinem Quereinstieg in den Journalismus beschäftigt sich der diplomierte Sozialwissenschaftlicher mit den Schwerpunktthemen Flucht, Migration , Rassismus und in diesem Zusammenhang mit Aspekten des sozialen Prekariats.
Richard Brox
- Richard Brox wurde 1964 in Mannheim geboren. Mit fünf Jahren landete er das erste Mal im Heim, flüchtete, verweigerte die Schule, galt als schwererziehbar.
- Nach einem Drogenentzug Mitte der 1980er verbrachte er drei Jahrzehnte auf der Straße.
- Über das Schicksal der Mutter, eine polnische Zwangsarbeiterin, die das KZ Ravensbrück überlebte, und den ebenfalls von den Nazis verfolgten Vater sind bereits in dem Buch „Kein Dach über dem Leben“ (Rowohlt, zehn Euro) historische Recherchen veröffentlicht worden. In dem neuen Buch soll die Spurensuche weitergehen.
Außerdem arbeitet Richard Brox mit der Journalistin Sylvia Rizvi zusammen – Mitautorin des Buches „Mein Schmerz trägt Deinen Namen“ über einen Ehrenmord in Deutschland. Im Herbst 2023, so die Planung, soll das neue Sachbuch zum Thema Obdachlosigkeit bei Rowohlt erscheinen. „Dass Günter Wallraff wieder ein Vorwort schreibt, steht schon fest“, verrät Brox. Der inzwischen 79-jährige Enthüllungsjournalist und Spezialist für Undercover-Reportagen wie „Ganz unten“ war auf Brox über dessen Internetblog „ohnewohnung-wasnun“ aufmerksam geworden. „Ich wünsche seiner Biografie viele Leserinnen und Leser“, schrieb Wallraff – nicht ahnend, wie umfassend die Leserschar auch jenseits des deutschen Sprachraums werden würde.
Brox, der Autor und Aktivist mit nur wenig Schulbildung, aber umso mehr Lebenserfahrungen, kann sich rühmen, dass sein (Taschen-)Buch neun Mal aufgelegt, außerdem in viele Sprachen, sogar in Mandarin, übersetzt und obendrein mit dem „Openbook Award“ für das beste fremdsprachige Sachbuch des Jahres 2020 in Taiwan ausgezeichnet wurde. Klar hätte Brox, der sich trotz durchlebter Zwänge gern „freier Berber“ nennt, nicht zu träumen gewagt, dass seine veröffentlichte Biografie in einer Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier erwähnt werden würde – wie unlängst anlässlich des Tages der Wohnungslosen.
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Aber wie so ziemlich alles hat auch Erfolg eine Kehrseite. Der 58-Jährige erzählt von „Neid und Hass“, denen er im Netz begegnet – „von Menschen, die ich gar nicht kenne“. Zur Straße habe er noch viele Kontakte, „ich gehöre aber nicht mehr zur Szene, die Türen sind für mich geschlossen“. Dies komme auch daher, dass er für superreich gehalten werde. „Viele erwarten, dass ich ihnen mit Geld helfe.“ Aber das gehe schon deshalb nicht, „weil ich noch in einem Insolvenzverfahren stecke“.
Der Stadt verbunden
Auch wenn Brox viel Zeit in das Buch-Projekt investiert, so ist ihm nach wie vor ehrenamtliches Engagement wichtig – ob als Berater von Einrichtungen oder Sterbebegleiter von Obdachlosen. Und was bedeutet für den heutigen Wahl-Kölner seine Heimstadt? „Ich bin immer mal wieder in Mannheim, pflege Kontakte.“ Verbunden fühle er sich der Luther-Diakoniekirche, wo er vor zwei Jahren von seinem ganz persönlichen „Dreißigjährigen Krieg“ erzählte. Im Gespräch mit dem „MM“ kündigt er an, dort zuerst sein neues Buch vorstellen zu wollen. Wer weiß, vielleicht kann Richard Brox dann schon mehr über ein Filmprojekt berichten: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen wie ein Privatsender, erzählt er, hätten Interesse bekundet, seine Lebensgeschichte in Szene zu setzen – entweder als Spielfilm oder als Dokumentation.
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