Mannheim. „Der Gegensatz zu Spiel ist nicht Ernst, sondern Wirklichkeit“, sinnierte einst Seelenkundler Sigmund Freud – lange bevor Computerspiele zum Siegeszug rund um die Welt ansetzten. Wie beeinflusst heutiges Gaming die Realität, macht es schlau oder abhängig? Diese brisante Frage ist im Technoseum beim gut besuchten 13. Dr. Manfred Fuchs-Kolloquium ausgeleuchtet worden.
Um das Ergebnis des hochkarätig besetzten Gesprächs gleich vorwegzunehmen: Wie so häufig zeichnet sich auch in diesem Bereich die Wirklichkeit durch viele Facetten aus. Und dazu gehört die jahrhundertealte Erkenntnis des Mediziners Paracelsus, dass stets die Dosis das Gift macht.
Linda Breitlauch, Deutschlands erste Game-Design-Professorin, und Patrick Bach, Suchtforscher am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI), analysieren aus ihrer Sicht Gaming – jeweils in einem Kurzreferat als Einführung. Die Medienwissenschaftlerin von der Hochschule Trier, die „Chancen und Kompetenzen in der digitalen Spielwelt“ aufzeigt, lenkt den Blick weg von „Daddel-Spielen“ auf „interaktive Kunstwerke“ zum Erleben von Welten. Beispielsweise beim Pyramidenklettern zur Zeit von Cleopatra, angereichert mit historischen Fakten.
Zur Veranstaltung
- Das Technoseum hat das jährliche Kolloquium nach dem Mannheimer Unternehmer und Mäzen Dr. Manfred Fuchs benannt, der sich von 1995 bis 2011 als Vorsitzender des Freundeskreises Technoseum mannigfach engagiert hat.
- Debattiert werden jeweils brisante gesellschaftliche Themen rund um Technik und Arbeit.
- Die Veranstaltungen sind stets eintrittsfrei und werden neuerdings live im Internet übertragen.
Sie sieht die Games-Branche bei der Wissensvermittlung, insbesondere bei hochkomplexen Abläufen, als Innovationstreiber. Geradezu begeistert erläutert die Hochschullehrerin „Foldit“, jenes experimentelle wie biochemische Science-PC-Spiel, bei dem es darum geht, Proteine zu falten und dabei Schwarmintelligenz zu befördern.
Unser Belohnungssystem mischt kräftig mit
Hingegen zeichnet der ZI-Mediziner nach, wie beim Gaming der Weg „vom Lifestyle zur Sucht“ verlaufen kann, aber nicht zwangsläufig muss. Faktenreich erläutert der Wissenschaftler, warum und wie dabei unser Belohnungssystem eine zentrale Rolle spielt. Parallelen zu stoffgebundenen Abhängigkeiten, ob Alkohol oder Nikotin, verdeutlicht er mittels auf die Leinwand geworfener „Kernspin“-Aufnahmen, die beim Blick in funktionelle Hirnvorgänge erhöhtes Verlangen farbig sichtbar machen.
Die Debatte solle „weder mit erhobenem Zeigefinger noch rosaroter Brille“ geführt werden, kündigt Moderatorin Katharina Menne, Redakteurin vom „Spektrum der Wissenschaft“, an. In der Tat wird Gaming im Laufe des Gesprächs weder einseitig verteufelt noch unkritisch bejubelt, sondern aus vielen Blickwinkeln betrachtet.
Die Trierer Medienwissenschaftlerin wie der Mannheimer Mediziner sind sich einig: Virtuelle Spiele gehören längst zur Wirklichkeit quer durch Altersgruppen und sind keineswegs ein Jugendphänomen. Linda Breitlauch spricht von der großen Gruppe der „Silver Gamer“. Schließlich haben viele Menschen jenseits der Fünfzig die Anfänge an der Spielkonsole miterlebt und schwärmen bis heute von dem Kult-Klassiker „Tetris“.
Kippen vom Kick zum Kontrollverlust
Die zahlreichen Beiträge des zum Schluss einbezogenen Publikums offenbaren: Eltern wie Großeltern treibt die Frage um, welche Signale darauf hindeuten, wenn Gaming kippt – sozusagen vom Klick und Kick zum Kontrollverlust. Patrick Bach nennt zunehmend verlängerte Nutzungszeiten, ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Medium, außerdem das Vernachlässigen von Pflichten – ob Lernen für Klassenarbeiten oder das Verschieben der Steuererklärung. Häufig auch begleitet von Ruhelosigkeit, Schlafstörungen und Rückzug aus der realen Welt. Seine Botschaft lautet aber auch: Gaming-Sucht kann diagnostiziert und erfolgreich behandelt werden, bei Jugendlichen wie Erwachsenen. Allerdings mit zeitaufwändigen Therapien.
Linda Breitlauch, bekennender „homo ludens“ („spielender Mensch“) ermutigt, dass Mamas und Papas gemeinsam mit ihren Sprösslingen digitale Angebote ausprobieren, um eigene Eindrücke und Erfahrungen zu gewinnen. Die Medienwissenschaftlerin wie der Mediziner betonen, wie „extrem wichtig“ es sei, in der Familie offen über Gaming zu sprechen und sich über Ratgeber zu informieren.
Verbote seien hingegen weltfremd, weil nicht durchsetzbar. Und beide stimmen überein: Spiele mit integrierten Glücksmechanismen – beispielsweise virtuellen Beuteboxen zum Finden, Freischalten oder Kaufen – bergen Suchtpotenzial, weil sie durch zusätzliche Verlockungen geschickt im Spiel halten.
Das Kolloquium endet analog mit Gedankenaustausch bei Wein und Brot. Zu den eifrig diskutierenden Gästen gehören der Ehrenvorsitzende des Technoseum-Freundeskreises Manfred Fuchs und seine Frau Lilo.
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