Mannheim. Die drei Bronzeglocken sind nach Ostfriesland verkauft worden, das Kreuz wird auf der Vogelstang verwendet, die Orgel in Käfertal. Auch Altar, Taufbecken und Ambo hat man ausgebaut, Taufschale, Abendmahlutensilien, Altardecke, Osterkerze und Glasfenster gerettet. Aber dann, Anfang März, kamen die Bagger. Es wurde laut, staubig, Wände krachten ein, Fenster zersplitterten, schnell türmte sich Schutt auf.
Das war im Frühjahr 2012 das Ende der 1956 bis 1958 errichteten Kreuzkirche im Wohlgelegen. Wenige Wochen später folgte die Immanuelkirche auf der Rheinau. Dort hat man erst den Bürgern Hoffnung gemacht, das Gebäude werde zu Wohnzwecken „umgewidmet“ – was sich dann aber zerschlagen hat; zerschlagen im Wortsinne, denn auch da kam dann der Bagger. Zwei evangelische Kirchen wurden in Mannheim also schon abgerissen. Werden weitere Gotteshäuser folgen?
Situation ist „knallhart“
Ralph Hartmann, der Dekan der Evangelischen Kirche in Mannheim, kann und will das nicht ausschließen, auch wenn es ihm schwerfällt. Er gibt zu, dass ein, wie er es nennt, „Störgefühl“ einsetzt, wenn man daran denkt, dass ein Kirchturm von einer Abrissbirne weggeschlagen wird. Doch die finanzielle Situation sei „knallhart“ und lasse keine andere Wahl, als sich für „Konzentration und Profil“ zu entscheiden – was die Trennung von Standorten bedeute.
Der Grund seien „zurückgehende Kirchensteuereinnahmen bei steigenden Kosten“, so der Dekan. Weil die Zahl der Kirchenmitglieder abnimmt, zugleich geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen und auch aufgrund der Wirtschaftsentwicklung rechnet die Badische Landeskirche mit – schon inflationsbereinigt – 20 Prozent geringeren Steuereinnahmen im Jahr 2030. Zugleich stünden dem zehn Prozent höhere Aufwendungen für Digitalisierung und Klimaschutz entgegen. „Wir haben also 30 Prozent weniger Ressourcen für Gebäude und Personal“, rechnet er vor, denn das seien die beiden größten Ausgabeposten.
Zahlen zur Kirche
In Mannheim gibt es derzeit etwa 68 000 evangelische Gläubige, das sind rund 22 Prozent der Bevölkerung. 1960 waren es noch 160 000 Mitglieder.
Derzeit hat die Evangelische Kirche in Mannheim 32 Gemeindepfarrstellen. Dazu kommen zehn weiterere Pfarrer in der Sonderseelsorge (Krankenhäuser, Gefängnis und vieles mehr). Auch die Zahl der Pfarrer wird um ein Drittel abnehmen.
Bei den 30 Kirchengebäuden gibt es einen Sanierungsstau von 22,5 Millionen Euro. Das Budget beträgt sechs Millionen Euro.
Der letzte beschlossene Doppelhaushalt der Evangelischen Kirche in Mannheim sieht für das Jahr 2020 Ausgaben von rund 72,6 Millionen Euro und für 2021 von rund 73,6 Millionen Euro vor. Man rechnet binnen zehn Jahren mit 30 Prozent weniger Einnahmen.
Zugleich seien die Gebäudekosten in den vergangenen zehn Jahren, besonders aber in den zurückliegenden Monaten „exponentiell gestiegen“. Hinzu komme ein, so der Dekan, „enormer Sanierungsstau“ bei vielen der 30 Kirchengebäude – Gemeindehäuser sind in der Zahl gar nicht eingerechnet. Diesen Sanierungsstau beziffert Hartmann bis 2025 auf 22,5 Millionen Euro, „ohne die aktuell ja steigenden Baukosten“. Dem stehen Mittel in Höhe von sechs Millionen Euro gegenüber. „Es muss also etwas passieren“, sagt er. Der weitere Erhalt aller Kirchen sei jedenfalls „nicht darstellbar“.
Die Stadtsynode als höchstes Entscheidungsgremium hat daher einen Prozess begonnen, den sie „Kirchenmasterplan“ nennt. Er sieht vor, bis zum Frühjahr 2022 ein Konzept zu erarbeiten und Prioritäten zu setzen. Letztlich gehe es darum, „welche unserer Kirchen wir langfristig als geistliche Orte erhalten und pflegen wollen“, so Hartmann. Das könne auch, „zur Stärkung der Strahlkraft“, wie er formuliert, mit Investitionen verbunden sein – von Akustik über Licht bis zu Sanitäranlagen oder Veranstaltungstechnik.
Dazu wurden drei Kriterien entwickelt: Kirchen, die langfristig erhalten und saniert werden. Hartmann beziffert die Zahl auf „schätzungsweise zwölf Kirchen“. Kirchen, in die man „nur das Nötigste an Reparaturen“ stecke und die vorübergehend genutzt werden, die aber mittelfristig keine Chance haben. Deren Zahl gibt der Dekan auch mit „etwa zehn bis zwölf“ an. Kirchen, in die man kein Geld mehr stecke und die man ganz aufgebe, was Umnutzung oder alternative Finanzierung bedeuten könne, im Notfall auch Abriss. Das könnten „sieben bis acht“ sein.
Auch Katholiken geben Gebäude auf
- Nicht nur die Evangelische Kirche steht für einschneidende Änderungen – auch die Katholiken.
- Das katholische Stadtdekanat Mannheim wird 2025, spätestens 2026 ebenso wie alle einzelnen Mannheimer Pfarrgemeinden aufgelöst. Im Zuge des Prozesses der Kirchenentwicklung der Erzdiözese Freiburg entsteht daraus eine einzige Pfarrei. Grund sind auch da sinkende Einnahmen aus der Kirchensteuer, aber – bei den Katholiken noch viel stärker – auch der enorme Priestermangel. Derzeit gibt es in Mannheim 53 katholische Priester, 18 davon sind Pensionäre, teils in sehr hohem Alter. Neue Geistliche kommen nur vereinzelt.
- Stadtdekan Karl Jung hat daher bereits vor über zehn Jahren einen Zukunftsprozess initiiert, noch ehe der Prozess der Kirchenentwicklung für die gesamte Erzdiözese Freiburg anlief. Wie die neue Struktur mit Leben gefüllt wird, darüber laufen derzeit viele Gespräche. Klar ist schon, dass es bestimmte Themenkirchen – die Jugendkirche in Liebfrauen oder Heilig Geist mit Schwerpunkt Musik – geben wird sowie für bestimmte Stadtteile „Pastorale Zentren“. An vielen Details wird gearbeitet.
- Bei den Gebäuden haben die Katholiken den Vorteil, dass der Sanierungsstau nicht so hoch ist wie bei der Evangelischen Kirche. Im Vorfeld des Deutschen Katholikentags 2012 wurden in der Quadratestadt 14 Kirchengebäude saniert – für zusammen 18 Millionen Euro. Ohne diese Investitionen sähe es bei den Katholiken eher noch schlimmer aus als jetzt bei der Evangelischen Kirche.
- Dennoch ist klar, dass sich auch das katholische Stadtdekanat von Bauten trennen muss. Kriterien gibt es noch nicht, der Diskussionsprozess läuft. In Feudenheim wurde aber schon das katholische Gemeindehaus „Prinz Max“ aufgegeben, in Wallstadt steht der Abschied von dem als sanierungsbedürftig geltenden Gemeindezentrum an. St. Peter in der Schwetzingerstadt, wo ein hoher Sanierungsbedarf besteht, soll abgerissen und durch ein Caritas-Seniorenheim ersetzt werden. pwr
Aus Sicht der Synode – wo ja Laien und Hauptamtliche zusammensitzen – entscheiden über die Einstufung verschiedene Kriterien. Dabei geht es um die Frage, welches Gebäude genügend Raum für zeitgemäßen und zukunftsfähigen Gottesdienst biete. Berücksichtigen wolle man aber ebenso, welche Rolle dem Gebäude im Stadtteil zukomme. Schließlich sei die Wirtschaftlichkeit zu klären– also die Frage, ob sich eine Sanierung, gerade mit Blick auf den Klimaschutz, rentiere.
Ein Problem: Viele der Kirchen, die wohl eher keine Zukunft haben, stehen unter Denkmalschutz. Hartmann ist bewusst, dass dies „eine besondere Sensibilität“ erfordere und letztlich einen Abriß verbiete, ja sogar Umbauten erschwere. Aber er stellt auch ganz klar: „Wir können dem definitiv nicht nachkommen!“
Entscheidungen, welche Gebäude es trifft, würden im Frühjahr 2022 fallen. Vorher will Hartmann bewusst keine Namen nennen, nichts bestätigen. Aber bekannt ist, dass die 1904 und 1906 im neugotischen Stil erbaute Lutherkirche in der Neckarstadt unter die Kandidaten fällt, die aufgegeben werden könnten. Sie wird ohnehin schon – mit Kirchencafé, Beratungsräumen und Arbeitslosenzentrum – als Anlaufstelle der Diakonie genutzt. In der Neckarstadt würden sich die Evangelischen dann auf die Paul-Gerhardt-Kirche am Neuen Meßplatz konzentrieren. Von der Pauluskirche auf dem Waldhof, 1907 geweiht, ist bekannt, dass es dort den höchsten Sanierungsstau gibt. Besonders kritisch wird man in allen Stadtteilen hinschauen, wo es zwei evangelische Kirchen gibt – in Käfertal etwa. In Feudenheim wurde Epiphanias bereits erfolgreich zur Kulturkirche umgewidmet, und die Trinitatiskirche – nur wenige Meter von der Konkordienkirche entfernt – dient seit 2017 als Eintanzhaus. „Doch das löst unser Problem nicht – wir haben immer noch den Bauunterhalt“, macht Hartmann deutlich. Vielversprechender sei da das Neuostheimer Modell, wo St. Pius beide Konfessionen als Ökumenisches Zentrum nutzen – und die evangelische Kirche aufgegeben wird.
In jedem Stadtteil präsent
Noch gar nicht untersucht sind die Gemeindehäuser – die kommen nach den Kirchen dran, auch da werde es deutliche Einschnitte geben. Es gibt Überlegungen, die Pfarrgemeinden zu sieben Regionalgemeinden zu fusionieren, die dann jeweils ein gemeinsames Pfarrbüro haben, personelle und inhaltliche Schwerpunkte setzen können. Ziel sei indes, dass man „in jedem Stadtteil präsent“ bleibe, versichert er, doch sicher „nicht immer das volle Programm mit Kirche, Gemeindehaus, Pfarrhaus und Pfarrer und Konfirmandenunterricht an jedem Ort“, so der Dekan: „Wir werden uns von Gewohntem und auch Liebgewonnenem verabschieden müssen“, macht er klar. Das sei „schmerzhaft“, aber wegen der Finanzlage ohne Alternative.
Die in der Wirtschaft übliche Frage, welche „Wirksamkeit“ man erziele, dürfe auch für die Kirche „kein Tabuthema“ sein. Die Coronakrise etwa habe gezeigt, dass man außerhalb von Kirchengebäuden, bei Open-Air-Gottesdienst oder anderen neuen Formen, mehr Menschen erreiche. Einzelne Kirchen könnten sich profilieren, als Hochzeitskirche oder mit musikalischem Schwerpunkt. Hartmann will „die notwendige Veränderung daher auch als Chance sehen“, sich „mehr an Menschen und Aufgaben statt an Strukturen und Flächen zu orientieren“. So wie derzeit die Gesellschaft, so müsse sich eben auch die Kirche wandeln. Was aber unverändert bleibe, sei „unser Auftrag und unsere Leidenschaft, unseren Glauben zu leben und in die Welt zu tragen“, für die Menschen da zu sein und den Zusammenhalt zu fördern.
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