Buchbesprechung

Die große Geschichte vom kleinen Turm: Neue Erkenntnisse über Geschichte der Mannheimer Sternwarte

Von 
Peter W. Ragge
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So sieht der Barockbau heute aus: die sanierte Alte Sternwarte, die wieder ihre Kuppel mit Kupferdach bekommen hat. © Buch/Verlag Waldkirch, Henne, REM, Theatermuseum München

Mannheim. Fast hätte es ihn gar nicht gegeben, diesen schönen barocken Turm in A 4. Ursprüngliche Pläne sahen den Bau der Mannheimer Sternwarte an ganz anderer Stelle vor – und dann wäre er längst nicht mehr vorhanden. Das alles ergibt sich aus der neuen Veröffentlichung „Das große Buch zur Mannheimer Sternwarte 1772 – 2020“. Dazu hat Kai Budde zahlreiche bisher gar nicht oder nicht in dieser Form veröffentlichte Faken, Bilder und Zeichnungen zusammengetragen. So entstand ein wertvolles, obendrein aufwendig gestaltetes Kompendium, das es bisher über die Sternwarte nicht gab.

Der Hofastronom Christian Mayer hatte bei Kurfürst Carl Theodor einen Stein im Brett. Der Regent schätzte den Wissenschaftler sehr, und dieser unterbreitete ihm 1771 eine 39 Seiten umfassende Denkschrift. Zuvor hatte er von Stockholm über Paris und St. Petersburg, in Hamburg und Göttingen Sternwarten besucht, dazu teures astronomisches Instrumentarium gekauft.

Zwar verfügte Mayer auf dem Dach vom Mittelbau des Schwetzinger Schlosses über eine Beobachtungsstation, aber die war klein, eng, schwer zugänglich. Um „nützlichere Entdeckungen an dem Himmel machen zu können“, so Mayer, müsse ein Neubau in der Residenzstadt her: „Wie sollte Mannheim, die Krone der kurpfälzischen Städte, mit ihrer so vorteilhaften Lage dieser Zierde beraubt sein“, schmeichelte der Astronom dem Kurfürsten und seiner Residenz – mit Erfolg.

Zunächst plante Mayer, die neue Sternwarte in einem der Pavillons, also der Eckbauten, des Schlosses einzurichten. „Dieser Gedanke musste aber verworfen werden, da der Pavillon schräg gegen den Meridian stand“, so Kai Budde, der sich von 1986 bis 2013 als Konservator am Technoseum mit dem dort erhaltenen und teilweise ausgestellten Instrumentarium von Mayer befasst hat. Aus dem Sternwarten-Neubau im Schloss wurde also nichts, man hätte wegen des Gewichts der astronomischen Geräte obendrein die Mauern verstärken müssen.

Doch eine zweite Idee reifte heran: Mayer schlug vor, einen schon bestehenden, alten Observationsturm auszubauen. Der befand sich auf dem Gebäude des Jesuitenkollegs, das zwischen dem Schloss-Westflügel und der Jesuitenkirche stand. Heute sind dort auf der einen Seite das Amtsgericht, dann der Bau des Katholischen Stadtdekanats – unterbrochen von der Bismarckstraße. Als die Ende des 19. Jahrhunderts als Verbindung nach Ludwigshafen geschaffen wurde, musste das Jesuitenkolleg abgebrochen werden – dann gäbe es heute auch keine Sternwarte mehr.

Die Idee eines Türmchens auf dem Jesuitenkolleg gefiel Mayer aber zunächst so sehr, dass er anbot, einen Teil der Baukosten selbst aufzubringen – aus dem Erlös des Verkaufs der Landkarten, die er von der Sternwarte aus zu erstellen gedachte. Die Pläne von Wilhelm Rabaliatti zeigt das Buch erstmals der Öffentlichkeit. Aber baustatische Berechnungen erbrachten, dass das Gemäuer zu schwach für die neue Funktion war. Zudem hätte der Zugang zum Observatorium über den Turm der Jesuitenkirche geführt – das gefiel weder dem Jesuitenpater noch dem Kurfürsten. „Möglicherweise war diese Planung nicht repräsentativ genug für eine kurfürstliche Sternwarte“, nimmt Budde an.

So entstand dann doch das Gebäude mit weiß verputzten Wandflächen, kontrastierend zu dem warmen Rot der behauenen Sandsteine. Budde hat 2006 schon einmal eine Broschüre zur Sternwarte verfasst, die aber 1880 endete. Längst ist er aktiv im „Aktionsbündnis Alte Sternwarte“ und bekannt für seine informativ-unterhaltsamen Führungen in dem Barockbau. Spannend wie seine Führungen, so liest sich auch sein neues Buch. Es nimmt den Faden von 1880 auf und erzählt die komplette Geschichte des Turms bis 2020. Inzwischen machte „die gründliche Sichtung der handschriftlichen Archivalien zur Sternwarte, insbesondere der Korrespondenzen“, so Budde, „einige Zusammenhänge klarer und zeitliche Abläufe korrigierbar.“ Nicht nur das: Budde stellt neben der umfassenden Baugeschichte auch in Kurzbiografien alle vor, die astronomische Geräte (vornehmlich aus London) nach Mannheim geliefert oder hier jemals zwischen 1775 und 1880 gearbeitet haben. Neu abgebildet sind ebenso eine Darstellung der Schwetzinger Sternwarte (1764-1772), Architekturskizzen für eine neue Fernrohrkuppel des Badischen Baurats Friedrich Weinbrenner auf der Sternwarte, aber auch Abbildungen ehemals in der Mannheimer Schlossbibliothek ausgestellter Gegenstände oder verschollene astronomische Geräte.

Schließlich schildert Budde, wie die zunehmende Industrialisierung Mannheims die Fortführung der Astronomie verhinderte, weil die ursprüngliche freie Sicht auf den Horizont verbaut war und der Rauch aus den Fabrikschornsteinen den Himmel verdüsterte. Aber auch alle Mieter ab 1880 und sämtliche Künstler, die hier ab 1953 Ateliers hatten, lernt man ausführlich in Bild und Text kennen. Nicht fehlen darf das große personelle und finanzielle Engagement zur Rettung und Sanierung des Turmes ab 2010 durch das „Aktionsbündnis Alte Sternwarte“ unter der Vorsitzenden Helen Heberer.

Redaktion Chefreporter

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