Nachtwandel

Die Geheimnisse des Szeneviertels: Durch den Mannheimer Busch mit „Mr. Jungbusch“

Zehntausende schwärmen an diesem Wochenende beim Nachtwandel wieder durch den Mannheimer Jungbusch. Wie hat sich der Stadtteil verändert? Ein Rundgang mit „Mr. Jungbusch“.

Von 
Martin Geiger
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Mannheim. Von der „Rumpelkammer“ zum „Szeneviertel“: Über kaum einen Mannheimer Stadtteil wird so viel gesprochen wie über den Jungbusch; kaum einer übt solch einen Reiz aus; kaum einer hat sich zuletzt so stark verwandelt. Und niemand hat das intensiver verfolgt als Michael Scheuermann.

33 Jahre lang war er als Geschäftsführer des Gemeinschaftszentrums und später auch als Quartiersmanager so etwas wie Gesicht und Stimme des Stadtteils. „Mr. Jungbusch“ nennen sie ihn hier. Nun ist er in Rente gegangen. Vorher hat er uns noch gezeigt, wie sich „sein“ Stadtteil verändert hat. Und was das mit dem Nachtwandel zu tun hat.

Die Jungbuschstraße ist das Portal zum Stadtteil. © Martin Geiger

Der gebürtige Waldhöfer sitzt in seinem Lieblingscafé in der Hafenstraße, wo er so oft die Mittagspause verbracht hat. Es gibt schwarzen Tee, stilecht aus den kleinen, gewölbten türkischen Gläsern. Woanders mag das etwas Besonderes sein, hier nicht. 69 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner des Jungbuschs haben einen Migrationshintergrund. Als der Sozialpädagoge und Sozialmanager 1992 angefangen hat, war es nicht anders.

Mannheimer Jungbusch galt als Rückzugsort der Mafia

„Es gab den türkischen Jungbusch, so um die Böckstraße herum, und auf der anderen Seite den italienisch-sizilianischen Jungbusch“, erzählt er. Man habe wenig miteinander zu tun gehabt und sich in Ruhe gelassen. „Leben und leben lassen, war damals die Devise.“ Meistens zumindest. Kurz nach seinem Dienstantritt ist im Jungbusch jemand ermordet worden. Jahrelang galt Mannheims früheres Hafenviertel als Rückzugsort der Mafia.

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„Der Jungbusch war ein Dorf“, erinnert sich Scheuermann. Wenn man Jugendlichen eine Lehrstelle auf der Rheinau angeboten habe, hätten die gesagt: „Da fahr‘ ich nicht hin. Das ist Ausland.“ Viele hätten sich abgeschnitten gefühlt: „Damals war die Mentalität: Wir leben auf einer Art Insel. Die Stadt hat uns vergessen.“ Denn der Hafen, der einst Waren, Arbeit, Menschen, Leben, Wohlstand und Identität brachte, war längst im Niedergang begriffen. Und mit ihm das Viertel.

Peter Kurz sieht Kreativwirtschaft als Treiber für Mannheimer Jungbusch

„Am Verbindungskanal war tote Hose“, erzählt Scheuermann. „Da hat man seinen Hund ausgeführt.“ Nach und nach wurde es weniger, bis irgendwann alles zu machte: Firmen, Handwerksbetriebe, Kneipen, Post, Bäcker, Metzger. Sogar die Außenstelle des Arbeitsamts verschwand, wo bis Ende der 90er Jahre morgens immer Tagelöhner in der Schlange nach Arbeit anstanden.

In den 1970er Jahren sei sogar überlegt worden, das ganze Viertel abzureißen und neu zu gestalten, berichtet Scheuermann. Doch dann wählte man den Weg der inneren Erneuerung, den seine Vorgänger sehr innovativ initiiert hätten. Und irgendwann sei ein junger Bürgermeister auf ihn zugekommen, der für Bildung, Kultur und Sport zuständig war und eine Vision für den Jungbusch und dessen Auferstehung hatte: Peter Kurz. „Den Treiber sah er in der Kreativwirtschaft.“

So entstand auch 2003 die Idee, die leeren Gebäude einmal im Jahr mit kulturellen Aktionen zu beleben. Der Nachwandel war geboren.

Die Ergebnisse der Überlegungen sind seit Jahren Stein geworden. Und nirgendwo ist das besser zu sehen als auf der anderen Seiten der Hafenstraße. „Das ist die Trennlinie“, sagt Scheuermann. Gründungszentrum C-Hub, Galerie Port 25, das Silo der Kauffmannmühle und die Popakademie: Hier erinnert Mannheim an Berlin, Oslo, New York. Hier gibt es verglaste Co-Working-Spaces und Latte Macchiato mit Hafermilch. Und Loft-Wohnungen wie aus dem Einrichtungskatalog.

Am nördlichen Verbindungskanal ist der neue Jungbusch entstanden. © Martin Geiger

„Das waren die Pioniere“, sagt Scheuermann, als er vor dem flachen Gebäude mit dem schönen Giebel neben dem imposanten Silo steht: „Die wussten genau, was es bedeutet, in den Jungbusch zu ziehen.“ Bei vielen danach sei das nicht der Fall gewesen: „Da gab es auch Enttäuschungen.“

Auf beiden Seiten. Denn mit den Investoren stiegen die Mieten. Und es dauerte nicht lange, bis das böse Wort die Runde machte. „Es fand eine Gentrifizierung statt“, bestätigt Scheuermann. „Es gibt bestimmt 20 Häuser im Jungbusch, wo kein Stein mehr auf dem anderen geblieben ist.“ Aber er erinnert auch: „Was war denn damals die Situation? Wir hatten einen riesigen Instandhaltungsstau. Es ist kaum noch in ein Haus investiert worden. Von daher musste man etwas tun.“ Und die Entwicklung sei stark abgefedert worden.

Ein paar Meter weiter in der Werftstraße läuft Scheuermann in einen Hof: „Das ist so eine ganz typische Immobiliensituation im Jungbusch“, erklärt er. „Vorne ist gewohnt worden und hinten ist gearbeitet worden.“ Früher sei hier ein Eisenhandel gewesen. Jetzt steht auf den silbrig-glänzenden Türschildern „Agentur für Growth Marketing“ oder „Kommunikationsdesign“. „Das ist genau diese Metamorphose, die man wollte“, sagt Scheuermann: „Darauf kann man stolz sein.“

Ein klassischer Jungbusch-Hinterhof. © Martin Geiger

Auf eine andere Entwicklung ist er scheinbar weniger stolz. Er biegt in die Beilstraße ein, die früher die wichtigste „Dorfstraße“ war. Heute ist sie eine Partymeile, mit Cafés, Kneipen, Kiosk, Restaurants. „Der Jungbusch ist heute zweierlei“, erklärt Scheuermann: „Er ist Quartier und er ist Stadtbühne.“ Diesen Begriff hat er geprägt, er soll verdeutlichen, dass der Stadtteil zunehmend zur Feierkulisse geworden ist. Diese beiden Lebenswelten, die der Anwohner und die der Partygänger, müssten in Balance gebracht werden, weil es sonst Konflikte gebe. Freitagabends auf der Beilstraße, so Scheuermann, „da kommt den Menschen ihr Stadtteil abhanden“.

Der Rundgang endet an seinem Lieblingsort, dem Spielplatz in der Beilstraße, wo die großen Platanen ein mediterranes Flair verbreiten, das bunte Wandgemälde die vielfältigen Kulturen widerspiegelt und davor ein bronzenes Denkmal an die Sackträger erinnert. Weil die Männer, die früher die Schiffe ausluden, das Quartier geprägt haben. Zeit für letzte Fragen: Wie geht es nun für ihn weiter? Italienisch wolle er lernen und Philosophie studieren. Und wie geht es für den Jungbusch weiter? „Es ist noch sehr viel zu tun“, sagt er. „Aber wenn man das anpackt, könnte das hier eine sehr interessante Entwicklung werden, und dann sehe ich positiv nach vorne.“

Redaktion Reporter für das Ressort "Mannheim".

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