Die drei Seiten der Medaille

Von 
Andreas Korol
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Sie dachten jetzt sicher: Schon in der Überschrift ein Fehler. Es gibt doch keine Medaillen, die drei Seiten haben. Doch. Lassen Sie sich überraschen.

Im August wurde ich 57 Jahre alt. Und als ich so mein Leben reflektierte, wurde mir bewusst, wie viel ich schon erlebt habe. Sicher ist Ihnen das auch schon so gegangen. Plötzlich kommt Ihnen in den Sinn, was schon alles war. Wie Sie das gemeistert haben. Aber auch wie sich Ihre Perspektiven verändert haben, weil Sie sich mit verschiedenen Fragestellungen und Herausforderungen auseinandersetzen mussten.

Das hat Sie geprägt und geformt, vielleicht auch Ihr Profil geschärft. Sie haben Ihre eigene Sicht auf die Dinge, auf die Lebensfragen und die Zusammenhänge, die durch Ihre Erfahrungen und Ihr Erleben geprägt sind. Also: Seite eins der Medaille ist das, was ich selbst sehe.

Was der andere sieht

Mir bringt es viel Erholung und Entspannung, wenn ich alleine durch den Wald laufe oder jogge. Aber hin und wieder habe ich gerne auch jemanden dabei beim Laufen. Nicht, weil ich mich einsam fühle oder alleine im Wald Angst hätte. Nein. Es tut mir gut, jemandem zuzuhören. Und es tut mir gut, jemanden an meiner Seite zu wissen, der mir zuhört und der mir erzählt, was er wahrnimmt und wie er die Dinge sieht, wo er an seine Grenzen kommt. Das bereichert mich ungemein und erweitert meine eigene Sichtweise. Es ist oft wie ein Spiegel, der mir vorgehalten wird. Die zweite Seite der Medaille: das, was der andere sieht.

Was wir beide nicht sehen

Trauersituationen sind für mich etwas Besonderes. Ich begegne Menschen an den Grenzen des Lebens, und ich bin sensibler als sonst. Ich spüre, dass allein meine Worte und Gedanken für die betroffenen Menschen keine Hilfe sind. Sie selbst fühlen sich auch leer, hilflos oder innerlich durcheinander. Dann wird mir oft die Erkenntnis geschenkt, dass es noch eine andere Dimension gibt.

Es ist die dritte Seite der Medaille: was wir beide nicht sehen. Wir können dieser dritten Seite Namen geben: Hoffnung, Transzendenz, Gottes Geist – wie immer Sie mögen. Mir ist das nicht so wichtig. Wichtiger ist mir, dass wir spüren dürfen, dass es neben all dem eigenen Denken und Handeln und dem gemeinsamen Tun und Erleben eine Kraft gibt, die uns trägt, liebt, begleitet, unterstützt und hält. Ich nenne ihn Gott, die dritte Seite der Medaille.

Das Licht, das über die Schwelle tritt und neue Farben auf die Wände zaubert, den Staub meiner Tage zu Gold verwandelt, seinen warmen Mantel um meine Ängste und Zweifel legt und mir ins Ohr flüstert: Ich bin bei Dir! Diese adventliche Erfahrung wünsche ich Ihnen.

Diakon, katholische Stadtkirche Heidelberg Andreas Korol,

Freier Autor Theologe, Diakon und Mitarbeiter in der Stadtkirche Heidelberg; daneben eigene Praxis für Organisationsberatung, Supervision und Mediation Männerkurse in initiatorischer Männerarbeit VIA SAL Praxis am Neckarsteig

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