Nachruf

Der „Gewerkschafter Gottes“

Pater Otto Ignacz Schabowicz, ein Kämpfer für Gerechtigkeit und Arbeit, ist im Alter von 74 Jahren verstorben

Von 
Roger Scholl
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Pater Otto Ignacz Schabowicz. © privat

Der Mann war ein Kämpfer, zäh, unnachgiebig, verbissen, manchmal bis zur Selbstaufgabe. In viele Schlachten hat er Frauen und Männer geführt, sie, die ihm am Herzen lagen, für deren Jobs er stritt, denen Unrecht widerfahren war, die sich in ihrer Angst und in ihrer Verzweiflung um ihn geschart hatten. Die Siege, die er mit ihnen und für sie erstritt, waren für ihn stets Gottes Lohn für die gerechte Sache. Seinen letzten Kampf aber musste er verlieren: Pater Otto Ignacz Schabowicz, Jesuit, Gewerkschafter, KAB-Präses, lebt nicht mehr. Er starb kurz vor seinem 75. Geburtstag, den er an Heiligabend gefeiert hätte, im Seniorenheim seines Ordens in Unterhaching, der Krebs hat ihn besiegt.

Ich sehe ihn noch vor mir, diesen untersetzen Mann mit der Stirnglatze, die kräftigen Hände über dem barocken Bauch gefaltet, ein sanftes Lächeln auf den Lippen. Um ihn herum, auf Stühlen, auf hastig zusammengeschobenen Tischen, saßen Frauen und Männer aus der Mannheimer Hertie-Belegschaft, Menschen, die verzweifelt waren, denen die Angst vor dem Verlust ihrer Arbeitsplätze die Gesichter trübte. Sie blickten zu ihm auf, zu dem Mann mit dem Kreuz am Revers, das ihn als Geistlichen identifizierte. Ich hätte alles erwartet in diesem Augenblick, tröstende Worte, im gesetzten Predigerton vorgetragen, Zuspruch, Heilsversprechen. Alles, nur das nicht, was dann folgte: Kurz bevor er seine Stimme erhob, schwand plötzlich dieses Lächeln, die Augen hinter der dicken Brille zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, sein ganzer Körper spannte sich. Mit donnernder Stimme setzte er an zu einer kämpferischen Rede, wetterte gegen die Unternehmensführung, geißelte grollend die angedrohte Schließung des Kaufhauses, gelobte bedingungslose Unterstützung für die, die auf seine Hilfe bauten.

Ein Spätberufener

Elf Jahre lang, von 1988 bis 1999, führte er als Präses die Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) in Mannheim, in der ganzen Region Protestzüge gegen Werkschließungen, legte sich mit Vorständen an, von denen manche ihn hinter vorgehaltener Hand als „Weihwasser-Sozialisten“ diffamierten, ohne je verstanden zu haben, worum es ihm ging: um Gerechtigkeit, um Menschen. Er war mitten unter ihnen, bei Hertie, bei BBC, bei SEL, bei den Schlecker-Frauen, er mischte sich lautstark und manchmal ganz leise ein, um dann, wenn alles verloren schien, doch noch das Menschenmögliche zu erreichen. Dabei war der „Schabo“, wie ihn viele nannten, ein Spätberufener. Lange, bevor er zum Priester wurde, war der gelernte Universalfräser aus Guntersblum bei Mainz IG-Metall-Mitglied. Sie und seine Kirche waren ihm immer Heimat, und als er den „Ruf des Herrn verspürte“, wie er sein Erweckungserlebnis umschrieb, als er das Abitur nachholte, in den Orden eintrat, Theologie und Philosophie studierte, wurde er eben zum „Gewerkschafter Gottes“.

Nicht immer, so darf man vermuten, mögen seine unerschrockenen Auftritte seinen Oberen recht gewesen sein, von Mannheim aus führte ihn sein Weg nach Gleiwitz in Polen, sein Ordensprovinzial schickte ihn dorthin, und er gehorchte. Dort, in der Heimat seines Vaters, baute Schabowicz, der – wenn auch mit deutlichem „Määnzer“ Akzent – perfekt Polnisch sprach, ein Bildungshaus auf, ein Begegnungszentrum, auch für Gewerkschaften. Seine Otto-Böckler-Medaille, eine hohe Auszeichnung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), schenkte der Pater dort der schwarzen Madonna von Tschenstochau – eine Art Votiv-Gabe, als „Zeichen für die deutsch-polnische Versöhnung“, wie er damals sagte.

Nach einem kurzen Intermezzo in Dieburg, wo er von 2002 bis 2003 als Gemeindepfarrer eingesetzt war, zog es ihn nach Hof in Oberfranken. Neben seiner Mitarbeit in der Seelsorge stellte er – quasi als erste Amtshandlung – ein Solidaritätskomitee nach dem Vorbild des Mannheimer Solikomitees zusammen, zu dessen Gründervätern er einst gehörte. Nach der Insolvenz einer der größten Regionalbanken in Oberfranken führten sein Kampf und sein Einsatz auch dort dazu, viele Menschen wieder in Arbeit zu bringen. 2008 wechselte er dann zur Kommunität seines Ordens ihn Göttingen, bis kurz vor Ostern dieses Jahres betreute er die katholischen Männerverbände in der Diözese Hildesheim.

Von der Krankheit erschöpft und schwer gezeichnet wurde das Seniorenheim des Ordens in Unterhaching schließlich seine letzte Wegstation. Wer ihn kannte, wird wie ich um den „Gewerkschafter Gottes“ trauern, um einen aufrechten Menschen, um einen mutigen Mann.

Redaktion Lokalredaktion, Koordinator Stadtteilseiten

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