Mannheim. Im Fall von ungerechtfertigter Polizeigewalt bei einer Personenkontrolle auf der Kurpfalzbrücke regt sich Unmut gegen den Entschluss der Staatsanwaltschaft: Sie wird nicht erneut gegen die beteiligten Polizisten ermitteln, die in einem Prozess gegen einen jungen Mann wegen Widerstands gegen die Polizisten der Lüge überführt wurden, und legt den Fall zu den Akten. Der Verteidiger Patrick Senghaus und sein Mandant wollen nun die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens prüfen. Allein-Stadtrat Julien Ferrat möchte dem Polizeipräsidium Mannheim im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung ein paar kritische Fragen stellen. Doch die Stadt hat den Punkt nicht auf die Tagesordnung für die Sitzung am Dienstag gehoben.
Rückblick: Am 22. Oktober 2023 gerät Eric Omoregie in eine Polizeikontrolle, während der er von einem von zwei Beamten attackiert, gewürgt, beschimpft und ihm eine blutige Wunde im Gesicht zugefügt wird. Als er später die zwei Polizeibeamten deswegen anzeigt, zeigen diese ihn wiederum wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte an. Das Verfahren gegen die Polizeibeamten wird eingestellt, stattdessen findet sich Omoregie auf der Anklagebank wieder. Der Vorwurf: Er habe ständig geschrien und sich immer weiter von den Beamten entfernt. Sie hätten ihn festhalten müssen, um ihn daran zu hindern, sich noch weiter zu entfernen. Daraufhin habe Omoregie begonnen, sich massiv zu wehren und den Beamten derart auf den Boden geworfen, dass dieser sich eine Hüftprellung zuzog.
Videoaufnahmen entlarven Polizisten, aber Anklage scheitert
Doch die Angaben der Polizisten sind gelogen, wie eine Videoaufnahme einer öffentlichen Überwachungskamera zeigt. Die Aufnahme bestätigt indes Omoregies Schilderungen und überführt die beiden Polizeibeamten der Lüge, was letztendlich am 27. Januar dieses Jahres zu seinem Freispruch führte. Das Amtsgericht Mannheim erkennt „erhebliche Widersprüche“ zwischen den polizeilichen Berichten und der Videoaufzeichnung und urteilt, dass der Widerstand des Angeklagten vermutlich gerechtfertigt gewesen ist.
Die Staatsanwaltschaft Mannheim hatte nach dem rechtskräftigen Urteil von Amts wegen zu prüfen, ob eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die Polizeibeamten eingeleitet wird – sie hat die Anklage jedoch erneut fallengelassen. Die Begründung: Das Video hat keinen Ton. Laut Staatsanwaltschaft sei es von maßgeblicher Bedeutung für die rechtliche Bewertung, was zwischen den beteiligten Personen – insbesondere vor dem Zugriff durch den Polizeibeamten – gesprochen worden sei. „Die diesbezüglichen Angaben des kontrollierten Mannes einerseits und der Polizeibeamten andererseits sind gegensätzlich. Vor diesem Hintergrund konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Zielrichtung der Polizeibeamten die Verbringung des Mannes auf das Revier zur Blutentnahme war.“
Senghaus sagt, es werde mit zweierlei Maß gemessen
Dass die Anklage gegen die beiden Polizeibeamten fallengelassen wurde, sieht Senghaus kritisch. Seiner Meinung nach werde mit zweierlei Maß gemessen: Auf der einen Seite sei Omoregie wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt worden. Auf der anderen Seite liege ein elementarer Verstoß gegen Polizeirechte vor, was die Voraussetzungen des Einsatzes angehe. Dass die Staatsanwaltschaft darüber einfach hinweggehe mit der Begründung, es stehe Aussage gegen Aussage, stimme eigentlich nicht: Das Video beweise laut Senghaus auch ohne Ton etwas anderes. „Der allergrößte Hammer ist für mich der polizeiliche Aktenvermerk, der so formuliert wurde, dass er Grundlage für das Strafverfahren gegen meinen Mandanten war. Dieser Vermerk ist falsch und entspricht nicht den Tatsachen. Wenn der Vermerk gezielt angefertigt wird, um rechtsauslösend zu sein, dann halte ich das für eine Straftat. Das ist ein Punkt, den man klären müsste – wenigstens disziplinarisch.“
Der Strafverteidiger habe oft erlebt, wie Zeugen vom Gericht wegen uneidlicher Falschaussage mit Strafverfahren gedroht werde und schließlich auch Strafverfahren wegen Nichtigkeiten geführt würden. „Aber gegen diese Polizisten, bei denen die Falschaussage auf der Hand liegt, passiert gar nichts. Die Staatsanwaltschaft kann ja machen, was sie will. Aber dass da gar nichts passiert, hat ein Geschmäckle“, findet Senghaus. Er und sein Mandant wollen nun die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens überprüfen.
Stadt Mannheim verteidigt Verzögerung der Anfragebehandlung
Stadtrat Julien Ferrat von der Wählervereinigung „Die Mannheimer“ wollte von der Stadtverwaltung wissen, ob sie gegenüber dem Polizeipräsidium Mannheim den Fall thematisiert habe und ob ihr Konsequenzen bekannt sind, die das Polizeipräsidium Mannheim aus dem Fall gezogen hat – und hat eine entsprechende Anfrage gestellt.
Laut Ratsinformationssystem sollte Ferrats Anfrage in der Ausschusssitzung an diesem Dienstag im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung des Gemeinderats behandelt werden. Nun fehle der Punkt in der offiziellen Einladung. Ferrat rechne damit, dass einige Ausschussmitglieder dem Vertreter des Polizeipräsidiums, der an dem Tag anwesend sein werde, gerne ein paar kritische Fragen gestellt hätten und dass gerade deshalb die Anfrage im Ausschuss nicht behandelt werden soll. „Offensichtlich will die Stadt Mannheim verhindern, dass der Vertreter des Polizeipräsidiums von den Ausschussmitgliedern ,gegrillt‘ wird“, meint Ferrat in einer Mail an den „MM“.
Die Stadt Mannheim antwortet auf Nachfrage, dass der Zeitpunkt und die Form der Beantwortung von Anfragen und Anträgen des Gemeinderats grundsätzlich der Verwaltung obliege. „Es kommt daher regelmäßig vor, dass Anfragen oder Anträge aufgrund interner Erwägungen (beispielsweise, weil die notwendigen Informationen zur Beantwortung noch nicht vorliegen) erst in einer der kommenden Sitzungen oder per Informationsvorlage zum Versand beantwortet werden“, erklärt Stadtsprecherin Desirée Leisner. Auch die Anfrage von Ferrat werde zeitnah beantwortet.
Polizeibeamte sind weiter im Dienst
Das Polizeipräsidium Mannheim sagt zu der Ausschusssitzung für Sicherheit und Ordnung, es handele sich dabei um eine städtische Veranstaltung, zu der die Polizei regelmäßig eingeladen werde, um Themen aus fachlicher Sicht ergänzen zu können. Zu einzelnen polizeilichen Sachverhalten werde dort keine Stellung genommen. Zudem würden die laufenden disziplinarrechtlichen Ermittlungen eine Auskunft in diesem Gremium ausschließen.
Wie das Polizeipräsidium Mannheim weiter mitteilt, wird der Fall disziplinarrechtlich geprüft. Aufgrund der starken Medienpräsenz liege es im Interesse des Polizeipräsidiums, anhand der Faktenlage transparent Stellung zu beziehen, erklärt Polizeisprecherin Sabine Abeln. Eine Stellungnahme sei aber erst möglich, wenn alle Fakten zu dem Sachverhalt vorliegen und bewertet wurden. Die beiden betroffenen Polizeibeamten befinden sich derzeit im Dienst.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Wegschauen der Staatsanwaltschaft ist der nächste Skandal