Kultur

Der Brückenaward in Mannheim - so war Tag eins

Ein Festival, das sich Konformismen entzieht: Bereits zum zwölften Mal steigt der Brückenaward unter der Eisenbahnbrücke in der Mannheimer Neckarstadt. So hat unser Kritiker den Auftakt am Freitag erlebt

Von 
Markus Mertens
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Blick auf die Bühne beim Mannheimer Brückenaward. © mer

Mannheim. In einer Welt, in der das meiste (scheinbar) Erstrebenswerte zumeist mit dem entsprechenden Preisschild aufwartet, kommt das Kostenfreie zumeist fast schon zwangsläufig mit dem entsprechenden Zweifel daher. Die ersparte Notwendigkeit des Bezahlens wird gedanklich, manchmal gar inhaltlich mit einem entsprechenden Mangel assoziiert – der Wert ergibt sich doch schließlich aus der selbst getätigten Investition, nicht wahr? Unter der Eisenbahnbrücke in der Mannheimer Neckarstadt werden Konformismen dieser Art zum zwölften Mal außer Kraft gesetzt.

Ein Zauber aus zwei Quellen

Denn das Einzige, das der Brückenaward an Investment fordert, ist die eigene Zeit – und die scheint kaum besser anlegbar zu sein, als an diesem fast unwirklichen Ort musikalischer Schönheit. Der Zauber dieses Kurzfestivals, das sich ganz bewusst den Beititel „non-kommerziell“ zugewiesen hat, fliest dabei gleich aus zwei Quellen zusammen. Die eine ist das absolut unverwechselbare Ambiente. Seit über einem Jahrzehnt als fester Ort – im besten Sinne – rebellischer Musikkultur etabliert, erleuchten die analogen Projektionen von Projector Pearsons Licht Om und Liquid Lisa die Bühne und den gigantischen Brückenpfeiler mit einer derart natürlich farblichen Expressivität, dass selbst Aktionskünstler eigentlich nur ins Schwärmen geraten können.

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Dieser subversive, teilweise fast schon avantgardistische Zugriff zieht gewissermaßen planbar ein alternatives Publikum an, das einerseits stets offen für Neues, andererseits auch prinzipientreu ist, wenn es darum geht, nicht alle technischen Möglichkeiten auszureizen, nur, weil sie existieren. Das Ergebnis aus dieser Melange ist eine heute nur noch selten zu erlebende Gelassenheit, in der – vom gediegenen Picknick, gespeist von der Mannheimer Kombüse, bis hin zum willenlosen Tanz in die Nacht – sprichwörtlich alles geschehen kann und vor allem darf.

Musik die im Gedächtnis bleibt

Anlass gibt es dafür musikalisch jedenfalls mehr als ausreichend – und das im geradezu zärtlichen Sprung über sämtliche Genregrenzen. Zwar war die Formation FAT im Vorfeld des Awards sicher nur Genrekennern ein Begriff, doch die mal wuchtig Noise-lastigen, dann wieder filigran jazzigen Vibes des Kollektivs führen auf psychedelischen Tiefen in den Abend – und drücken ihm gleichzeitig ihren unverwechselbaren Stempel auf. Die Klangklüfte aus schreddernder Gitarre einerseits und einem Saxophon, das sich für grell pfeifende Akzente ebenso wenig zu schade ist, wie für lyrisch-sängerische Fragmente, werden jedenfalls in Erinnerung bleiben.

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Ganz wie die prall gefüllten 45 Minuten, in denen die Mannheimer Krautrocker der Rauchenden Spiegel für ein Meer aus psychedelischer Träumerei sorgen. Gerade erst mit der brandneuen EP „DRS“ am Start, machen Gitarrist Tobias Weber, Max Hilger (Bass), Schlagzeuger Pit Goss und Oliver Rebou (Synthesizer) keinen Hehl daraus, dass man sie weit über die Quadratestadt hinaus auf dem Zettel haben sollte. Nur so lässt sich jedenfalls ein Auftritt deuten, der zwischen den wilden Post Metal-Eskapaden, wie sie The Mars Volta bekannt machten, und der elektrifizierten Schönheit eines Steven Wilson-Albums changiert, als wäre all das ein Kinderspiel.

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Es geht auch mal ohne Vermarktung

Die entsprechende Trance stellt sich beim Publikum dementsprechend fast schon von alleine ein – und man muss kein Prophet sein, um auszudeuten, dass ein Festival in der Region, für die Region und mit Künstlern aus der Region trotz allem auch weit darüber hinaus Beachtung finden kann. Das Maifeld Derby ist hierfür unlängst ein Begriff – und auch, wenn der Ansatz der konsequenten Nichtvermarktung für die ganz großen Gagen ein Pferdefuß sein mag: Der Brückenaward gefällt sich und all jenen, die den Aufwand verehren, mit dem ihn die Organisatoren rund um Impulsgeber Martin Feige jedes Jahr aufs Neue realisieren, genau so, wie er ist, ganz hervorragend. Man soll, darf und muss vielleicht auch bei der Ausgabe 2023 bereits nach einem ersten bewegten Tag festhalten, dass das auch genau richtig so ist. Denn Gegenwelten wie diese sind nicht nur Wunschträume, sie sind auch notwendig und generieren eine Relevanz, die mit keinem Euro der Welt zu bezahlen wäre.

Freier Autor

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