Mannheim. Die Meisten hätten ihn wohl übersehen, den kleinen Kerl, wie er da so auf dem Rücken lag, umgeben von Asphalt. Lediglich ein paar Ameisen zeigten bereits reges Interesse an ihm. Doch sein Schicksal sollte sich noch einmal zum Guten wenden – an jenem Tag auf einem Firmenparkplatz im Norden Mannheims. Und so erzählt diese Geschichte von einem winzigen Burschen mit glänzenden Flügeln, einem Mann samt großer Leidenschaft zu seinem Hobby und von einem Moment stiller Freude.
Es war ein Feierabend wie jeder andere, als Jochen Stern das Gebäude seiner Firma auf der Schönau verlässt. In Gedanken ist er bereits bei Frau und Tochter, als der geschulte Blick des Laien-Insektenforschers an einem Fleck auf dem Asphalt hängen bleibt. Als Prüftechniker für Elektronik-Komponenten kommt er von technischen Detailaufnahmen über Makroeinstellungen winziger Blüten und Kristallen zu seiner Leidenschaft für Insektenfotos: „Es sind schon immer die kleinen Dinge gewesen, die mich als Fotograf faszinieren.“ Was nun reglos vor ihm auf dem Rücken liegt, hat bereits Aasfresser angelockt. Da der Hobbyforscher für solche Fälle immer ein Schächtelchen bei sich trägt, nimmt er den Winzling mit den grünlich-gold schimmernden Flügeln für weitere Untersuchungen und Bilder mit nach Hause: „Ich dachte, es sei ein Totfund. Und auf jeden Fall kein Mistkäfer, der hätte bläulich-schwarze Flügel, aber vielleicht einer der äußerst seltenen Berliner Prachtkäfer?“
Lebenszeichen bei Fotosession im Studio
Während der 49-Jährige aus Einhausen bei Bensheim abends die Fotosession im Studio vorbereitete, bemerkt er plötzliche geringe Veränderungen des zuvor über Stunden völlig leblosen Körpers: „Mal bewegte sich ein Fühler für einen Millimeter, mal ein Bein. Ich setzte den Käfer auf eine Blüte mit ein paar Tropfen Wasser und stellte ihn raus auf die Terrasse.“ Am frühen Morgen war der Patient immer noch da. Jochen Stern begann, ihn im Garten zu fotografieren. Und zwar mit der besonderen Fototechnik des Focus Stackings, bei der mehrere Bilder mit unterschiedlichen Fokuspunkten zu einem einzigen mit größerer Schärfentiefe zusammengefügt werden. Schon seit 2019 erstellt Jochen Stern hochauflösende Aufnahmen von Insekten, Spinnen, Schmetterlingsflügeln und Kristallen und bringt die unscheinbare Schönheit der Insektenwelt ins Rampenlicht.
Grünlich-gold schimmernder Flugkünstler
Die Prachtkäfer sind eine der weit über 100 Käferfamilien , deren Arten in Deutschland vorkommen. Sie heißen so, weil viele ihrer Vertreter wunderschön sind, oft metallisch glänzend . Eine der selteneren Arten ist Dicerca berolinensis , der Berliner Prachtkäfer, auch Goldener Prachtkäfer genannt, mit einer Größe von 24 Millimeter .
Die sehr wärmeliebende Käferart ist auf besonntes Totholz in den Kronen von anbrüchigen Buchen angewiesen. Die Rote-Liste-Art ist damit ein Profiteur des Klimawandels, da Rotbuchen an manchen Orten durch Trockenheit und Wärme geschwächt werden. Er stellt neuesten Forschungsergebnissen zufolge jedoch keine Gefahr für die Wälder dar.
Jochen Stern befasst sich mit Leidenschaft mit der Fotografie. Er startete im Alter von 20 Jahren mit Portraits , seit 2019 hat er sich auf Makro-, Mikro- und experimentelle Aufnahmen spezialisiert. In seinem Studio und in freier Natur hat er sich auf stark vergrößerte und hochauflösende Bilder von Insekten oder anderen Naturobjekten spezialisiert.
Durch die Kombination von moderner Technik , selbstkonstruiertem Zubehör und künstlerischem Blick schafft er Aufnahmen, die sowohl Naturfreunde als auch Wissenschaftler faszinieren.
Wer mehr Bilder von Jochen Stern sehen möchte, findet sie bei Instagram unter dem Namen „jsmacro“ (https://www.instagram.com/jsmacro/) und auch bei Facebook unter Jochen Stern Fotografie. mai
Nicht immer zur reinen Freude seiner Frau. „Ich kann beim Spazierengehen eigentlich nie ganz abschalten“, gesteht der Naturfreund. Stets scanne er die Wege und das angrenzende Grün nach neuen Entdeckungen ab. Dass er dann die Totfunde in Alkohol eingelegt im Familien-Kühlschrank aufbewahren wollte, habe die Toleranzgrenze seiner Frau überschritten, wie Jochen Stern lachend erzählt: „Ich musste mir einen zweiten im Keller zulegen.“
Tief beeindruckter Naturschutzbeauftragter
Wie auch immer, auch die Fotos des Käfers zeigen Details, die dem Auge des Betrachters normalerweise verborgen bleiben: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich bei meinem Fund um den sehr seltenen Berliner Prachtkäfer handelt.“ Aber der gelernte Elektrotechniker räumt ein: „Ich bin kein Entomologe.“ Deshalb sei er sehr gespannt, was Mannheims Naturschutzbeauftragter Gerhard Rietschel sagt.
Der ist beeindruckt von der Qualität der Aufnahmen: „Wirklich fantastisch“, versichert der habilitierte Experte. Und ja, es handle sich um den Berliner Prachtkäfer. Wie der Ärmste auf dem Parkplatz stranden konnte? Als sehr guter Flieger könne der Käfer bis zu 30 Kilometer am Stück zurücklegen. Wahrscheinlich habe er sich übernommen und sei in einer der frischeren Nächte der vergangenen Wochen vor Kälte erstarrt.
Und was ist danach aus dem Patienten geworden? Mit zunehmender Sonne wurde er munter, bis er seine Flügel aufpumpte und startete: „Ich habe mich total darüber gefreut“, berichtet Stern von dem Moment, als der Flugkünstler in die Freiheit flattert: „Hätte ich ihn nicht mitgenommen, wäre er mit Sicherheit überfahren oder gefressen worden.“
Selbstverständlich hätte der Bergsträßler das Tier niemals absichtlich von der Schönau mitgenommen und bei Bensheim ausgesetzt: „Ich bin ja keiner, der Insekten entführt und woanders wieder frei lässt“, versichert der Naturfreund. Dass der Hobby-Insektenforscher den Rote-Liste-Kandidaten den Ameisen entrissen habe, sei für den Kleinen ein Glücksfall gewesen, bestätigt Rietschel: „Herr Stern hat ihm auf jeden Fall das Leben gerettet.“
Und so ist sein Einsatz ein winzig kleiner, aber ein wunderschöner Beitrag zum Erhalt der Artenvielfalt. Und für den Fotografen ein weiterer Schritt in die Richtung dessen, was er mit seinen Bildern erreichen will: „Ich möchte das Bewusstsein für die Bedeutung und Schutzwürdigkeit der kleinen, oft nicht sichtbaren Lebewesen in unserer unmittelbaren Umgebung stärken.“
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