2200 Katholiken haben in Mannheim im vergangenen Jahr ihrer Kirche den Rücken gekehrt – nach 1879 in 2021. „Es ist die höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg“, zeigte sich jetzt der katholische Stadtdekan Karl Jung beim Neujahrsempfang des Dekanats alarmiert. „Diese Zahl bewegt mich sehr und treibt mich um“, sagte er und forderte „eine erneuerte Kirche“, die wieder mehr für den Menschen da sein, für ein besseres Miteinander sorgen und „Licht ins Dunkel der Welt“ bringen müsse.
Jung ließ keinen Zweifel daran, was aus seiner Sicht der Grund für die vielen Austritte ist. Er nannte es die „Großkoordinaten der katholischen Kirche“, kritisierte ausdrücklich den Reformstau sowie die Vertuschung von sexuellem Missbrauch, was dazu geführt habe, dass sich die Institution von den Menschen entfernt habe.
„Verkrustungen lösen“
Zugleich begrüßte er, dass im Erzbistum Freiburg derzeit die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch erfolgt und im April dazu ein Bericht vorgelegt werden soll. „Die Kirche muss auf Seiten der Opfer stehen“, sagte er dazu unter dem Beifall der Gäste. Dazu gehöre aber auch, dass sich die gesamte Gesellschaft dieses Problems annehmen müsse. „Auch Sport und Vereine sind da gefordert“, erklärte der Dekan. Vom „Synodalen Weg“, bei dem Vertreter von Laien und Klerikern derzeit in der katholischen Kirche auf Bundesebene Reformen diskutieren, erhofft sich der Dekan „Impulse für eine Erneuerung der Kirche“ hin zu einer „Hoffnungs- und Glaubensgemeinschaft“.
Neben der enorm gestiegenen Zahl an Austritten – bei insgesamt knapp 90 000 Katholiken im Dekanat – hatte Jung aber auch positive Zahlen zu melden. So ist die Zahl der katholischen Taufen von 401 auf 433, die der Trauungen von 67 auf 87 gestiegen, die der Bestattungen von 840 auf 762 gesunken. Und bei der Kirche vor Ort, so machte Jung deutlich, sehe er „keinen Grund auszutreten, sondern eher einzutreten“ – 27 Menschen sind diesen Schritt in 2022 gegangen.
Von der Situation im Stadtdekanat und den Gemeinden vor Ort zeichnete Jung ein weitaus positiveres Bild als von der Lage der Katholiken insgesamt. Über 3000 Ehrenamtliche prägten das kirchliche Leben in den aus 29 Pfarreien in sieben Kirchengemeinden bestehenden Dekanat, das 110 hauptamtliche Mitarbeiter zählt. Hinzu kämen über 1000 hauptamtliche und unzählige Ehrenamtliche in der Caritas. Das karitative Engagement mache die „DNA der Katholiken“ aus und die Kirche zum „Garanten für die soziale Temperatur in der Stadt“, ja die Kirche sorge für „wichtigen sozialen Kitt in der Gesellschaft“.
Zudem hob der Dekan die Bedeutung der 42 katholischen Kindertagesstätten hervor, wo über 400 Erzieherinnen die Kinder „werteorientiert und wertschätzend“ betreuten – trotz aller Corona-Herausforderungen „und manchmal aufbrausender Eltern“, wie er kritisch bemerkte. Die Vertreter der Stadt forderte Jung auf, die freien Träger bei der Finanzierung der Kindertagesstätten besser zu unterstützen.
Den schon über zehn Jahre laufenden Reformprozess in der katholischen Kirche in Mannheim und im Erzbistum wertete Jung „bei aller Unsicherheit“, die bei den Gläubigen herrsche, „als Chance, manche Verkrustungen zu lösen“. Dabei wird (wie berichtet) Ende 2026 das katholische Stadtdekanat ebenso wie alle einzelnen Mannheimer Pfarrgemeinden aufgelöst und daraus eine einzige Pfarrei mit einem Leitenden Pfarrer an der Spitze gebildet.
„Alle Gläubigen mitnehmen“
Priestermangel und sinkende Kirchensteuereinnahmen „lassen uns keine Wahl“, erklärte dazu Hansheinrich Beha, der Dekanatsratsvorsitzende und damit oberste Laienvertreter. Man müsse sich „von Gewohntem verabschieden und Neues wagen“, sagte er und äußerte sich überzeugt: „Es wird gut werden!“ Allerdings müsse es bei dem bis ins Jahr 2023 auf Bistumsebene angelegten Prozess „das Bestreben sein, alle Gläubigen auf dem Weg mitzunehmen“ und „berechtigte Bedenken“ ernst zu nehmen, so Beha. Er hoffe, dass das Erzbistum trotz seiner Weisungsbefugnis dazu den Gemeinden vor Ort die nötigen Freiräume einräume, sagte er.
Bedenken wegen der Abschaffung des Dekanats äußerte in seinem Grußwort der evangelische Stadtdekan Ralph Hartmann – denn ihm fehlt dann das Pendant. Dabei entfalte gerade in Mannheim die Ökumene eine solche Kraft, verwies er – wie zuvor schon Jung – auf die gemeinsame Präsenz beider Kirchen auf der Bundesgartenschau. Dass die Kirchen dort vertreten seien, gebe es zwar bei allen Gartenschauen, „aber wir haben das beste Buga-Team“, lobte er. „Bedrückend“ nannte Hartmann die hohe Zahl an Kirchenaustritten, die Teil einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung seien: „Wenn man aus dem Staat austreten könnte, hätten wir auch beachtliche Austrittszahlen.“
„Eine Entwicklung, die wir mit Sorge betrachten“ nannte ebenso Oberbürgermeister Peter Kurz die hohe Zahl an Kirchenaustritten. Schließlich trage die Kirche dank vieler haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter zahlreiche kommunale Gemeinschaftsaufgaben mit. „Sie ist ein wichtiger Akteur, der auch Hoffnung und Zuversicht vermittelt“, dankte Kurz den Kirchen „für das segensreiche Wirken in der Stadt“.
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