Mannheim. Wer den Klimaschutzaktionsplan der Stadt Mannheim durchlesen will, braucht Zeit. Inklusive Literaturverzeichnis enthält das Dokument 188 Seiten. Insgesamt sind 81 Maßnahmenbündel aufgeführt, die dafür sorgen sollen, dass Mannheim klimaneutral wird. Und nicht wie die Bundesregierung es für Deutschland vorgesehen hat bis zum Jahr 2045. Nein, Mannheim will das Ziel schon 2030 erreichen. „Ambitioniert“ nennt die Stadtverwaltung diesen Plan, der in einem anderthalbjährigen Prozess erarbeitet wurde.
Moderiert und inhaltlich vorbereitet wurde das Ganze vom Wuppertal-Institut, eine wissenschaftliche Denkfabrik im Bereich Nachhaltigkeitsforschung, wobei Interessensgruppen wie Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammer, Handwerkskammer, Klimagruppen, ein Bürgerrat sowie Gemeinderäte in die Ausarbeitung des Konzepts einbezogen wurden.
Nun ist es am Gemeinderat zu entscheiden, ob er den KSAP, wie er abgekürzt heißt, verabschieden will. Am 8. November befasst sich der Umweltausschuss damit, zwei Tage später kommt das Thema in den Hauptausschuss, eine Woche später, am 17. November, wird im Gemeinderat abgestimmt.
Doch was genau wird da eigentlich beschlossen? Laut Kevin Ittemann vom Klima- und Umweltdezernat der Stadt Mannheim ist der Klimaschutzaktionsplan ein „Handlungsgerüst auf dem Weg zur Klimaneutralität“. Sprich: Es ist eine Ideensammlung, die „handlungsleitend“ für die Arbeit der Verwaltung sein soll. Die Zustimmung des Gemeinderats zum Klimaschutzaktionsplan bedeutet also nicht, dass damit die dort enthaltenen Maßnahmen und Aktivitäten verabschiedet werden. Es wird lediglich ein Rahmen gesetzt; welche Ideen wie und wann umgesetzt werden, darüber muss dann später von Einzelfall zu Einzelfall diskutiert werden.
Sorge um Arbeitsplätze
Ob sie sich überhaupt realisieren lassen, halten viele Akteure indes für fraglich. So soll eine Offensive zur Errichtung von Photovoltaik-Anlagen gestartet, kommunale wie private Gebäude energetisch saniert, Flächen entsiegelt, der Flächenverbrauch reduziert, Hauswände begrünt, das Auto weniger, das Fahrrad mehr genutzt, die Fernwärme dekarbonisiert, sprich „grün“ werden.
„Der Klimaschutzaktionsplan enthält eine Fülle von Einzelmaßnahmen, die gleichberechtigt nebeneinander stehen, ohne dass eine Priorisierung stattfinden würde“, kritisiert Andreas Kempff, Geschäftsführer der IHK Rhein-Neckar. Unklar sei überdies die Finanzierung. „Gedanklich addiert sich das zu einem erheblichen Budget.“ Schon jetzt sei die Stadt klamm und stehe mit Universitätsklinikum und Nationaltheater vor riesigen finanziellen Herausforderungen.
Daneben übt die IHK Kritik am Verfahren selbst. „Wir waren als Vertreter von immerhin 70 000 Mitgliedsunternehmen zunächst gar nicht eingeladen, um an der Entwicklung des Klimaschutzaktionsplans mitzuwirken“, bemängelt IHK-Präsident Manfred Schnabel. Dies sei nur auf Druck seitens der IHK geschehen. Letztlich hätten die Strategiegruppen dann aber jeweils nur ein einziges Mal getagt. „Diskussionen, die den Wert der einzelnen Maßnahmen qualifiziert beleuchtet hätten, hat es kaum gegeben.“
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
Auch Mannheims Gewerkschaften kritisieren in einer gemeinsamen Stellungnahme, dass der Prozess nicht optimal gelaufen sei. Ansonsten lautet das klare Votum: Klimaschutz ja, aber nicht auf dem Rücken der Beschäftigten. So fordern die Gewerkschaften eine Perspektive, wie es mit dem Grosskraftwerk Mannheim (GKM) weitergeht; eine Lösung für Pendler, wenn motorisierte Verkehre reduziert werden sollen; eine Qualifizierungsoffensive für Beschäftigte zur Sicherung der Arbeitsplätze, wenn die Betriebe in Richtung Klimaneutralität umrüsteten.
Auch Klimagruppen wie Mannheim kohlefrei, Mannheim Zero und Fridays for Future sehen das Konzept mit Skepsis. So seien bei allen Maßnahmen – wenn überhaupt – nur Einsparpotenziale zum Zeitpunkt 2030 beschrieben. Also wie viele Tonnen CO2 im Jahr 2030 im Vergleich zu 2018 eingespart werden können. „Das Monitoring sieht keine Zwischenziele und Steuerungsmechanismen vor, die greifen, sobald ein Zwischenziel nicht erfüllt ist.“ Nach dem Pariser Klimaabkommen gibt es ein CO2-Budget, das jedes Land noch emittieren darf, um einen gerechten Beitrag zum Abkommen zu leisten. Für Mannheim ergibt sich ab 2020 ein lokales Restbudget von 16,2 Millionen Tonnen CO2. Der Klimaschutzaktionsplan wird die Emissionen senken, am Ende werden es, so die Kritik der Klimagruppen, aber immer noch fünf Millionen Tonnen CO2 zu viel sein, die Mannheim in die Luft bläst.
Unabsehbare Kosten
Oder sogar noch mehr. Allein die Kosten werden im Entwurf des Klimaschutzaktionsplans stellenweise als beträchtlich oder gar unfinanzierbar beschrieben. Andere Maßnahmen wie die Nutzung von Geothermie oder Wasserstoff stecken noch in den Anfängen, da geht es zunächst um Strategieentwicklung.
Für Umweltbürgermeisterin Diana Pretzell ist das Vorgehen gleichwohl alternativlos. So betont die Grünen-Politikerin: „Der Weg zur Klimaneutralität ist aktuell unsere größte Herausforderung und auch unsere größte Verantwortung. Wir müssen ihn gehen und dabei alle beteiligten Akteure mitnehmen.“
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-das-sagen-ihk-gewerkschaften-und-klimagruppen-zum-mannheimer-klimaschutzaktionsplan-_arid,2011560.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Klimaschutz braucht eine breite Zustimmung in der Bevölkerung!