Mannheim. Die Verträge sind unterschrieben, seit Montag hat er die Schlüssel: Der Dietrich-Bonhoeffer-Verein für christliche Pädagogik ist jetzt Eigentümer von großen Teilen des historischen Hofguts Kirschgartshausen, das seit Jahrzehnten weitgehend ungenutzt war und immer mehr verfallen ist. Der Verein hat das Anwesen vom Land übernommen, will es sanieren und dort mit seiner privaten, staatlich genehmigten Grundschule einziehen, die er seit September 2020 im Rott betreibt.
Der Putz bröckelt überall, die Farbe blättert ab, Scheiben sind blind oder mit Holzbrettern vernagelt. Meterhoch wuchert an vielen Stellen Unkraut, blühen Blumen und Gräser. Viele Treppen und Wege sind zugewachsen, aber die Wildnis ist ein Paradies für Bienen und Insekten. Ihr Summen und Gezwitscher von Vögeln ist fast das Einzige, was man hier hört. Das Badische Wappen, mal groß über der Tür der Verwaltervilla und mal kleiner, oder Inschriften wie „Maximilian Prinz Markgraf von Baden“ auf einem Türsturz zeigen, aus welcher Epoche die Bauten sind. Das Hofgut wirkt wie eine Idylle weit weg von der Stadt – weitgehend verlassen, aber auch völlig verwittert, verfallen, ja verkommen.
Auftakt am Herrenhaus
„Aber es ist ein Traum, ein absoluter Traum“, schwärmt Daniel Köpke, der zweite Vorsitzende des Vereins, von dem alten Hofgut. „Es bietet sich für unsere Zwecke ganz wunderbar an“, findet er. „Wir wissen aber auch, dass wir eine große Verantwortung übernommen haben“, so Köpke, doch der wolle man gerecht werden. Der Verein werde jetzt einen Bauantrag stellen und das Anwesen in Absprache mit Stadt und Denkmalschutzbehörden „Stück für Stück“ sanieren.
Geschichte von Kirschgartshausen
- Die kleine Ansiedlung, ursprünglich Husen (Hausen) genannt, wurde 1272 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Sie liegt am nördlichen Stadtrand von Mannheim, kurz vor der Landesgrenze zu Hessen.
- 1274 ging der Grundbesitz an das Wormser Kloster Kirschgarten der Zisterzienserinnen, welches ab 1443 von Augustiner-Chorherren übernommen wurde. 1422 verkaufte das Kloster den Hof an den Pfalzgrafen, der dort schon ein Hofgut unterhielt.
- Seither war Kirschgartshausen pfälzische und nach 1803 badische Domäne, bewirtschaftet von den – zunächst von der Erbfolge ausgeschlossenen – Söhnen aus der zweiten Ehe des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, den Grafen von Hochburg.
- Seit Baden Republik wurde, ist Kirschgartshausen Landeseigentum. Seit 1862 hat Südzucker vom Land dort Felder und einen Hof als Versuchsgut gepachtet.
- Am 1. Oktober 1930 hat Mannheim den Ort mit 483 Hektar eingemeindet. Er gehört zum Stadtbezirk Sandhofen und zählt (einschließlich Aussiedlerhöfen) rund 50 Einwohner.
Beginnen sollen die Arbeiten am „Schloss“ oder Herrenhaus, dem größten, zentralen und mehrteiligen Gebäude mit dem Wiegehäuschen. Dieses Ensemble diente lange als Gutsschenke mit Biergarten und war beliebtes Ziel von Ausflüglern. Ein großes Schild weist noch darauf hin, doch seit über zehn Jahren fließt da kein Bier mehr. Seither fiel das Hofgut weitgehend in einen Dornröschenschlaf. Das Kleinod verkam immer mehr. „Der Verfall beginnt jetzt“, drängten schon 2013 Bezirksbeiräte das Land, eine Lösung zu suchen. Doch das zog sich hin.
Im Sommer 2016 holten mehrere CDU-Politiker den Landwirtschaftsminister Peter Hauk zu einem Ortstermin. Der erklärte, dass das Land das Hofgut nicht verkaufen, sondern weiter für die Öffentlichkeit erhalten wolle. Geplant sei eine Ausschreibung, um Nutzer zu finden, die das denkmalgeschützte Ensemble sanieren und neu beleben. Diese Ausschreibung erfolgte im September 2019. Dann geschah jedoch lange nichts, auch wenn immer mal wieder von der Nutzung als Pferdehof, Event- und Hochzeitslocation oder Schulungszentrum die Rede war.
Nach Informationen dieser Redaktion gab es mehr als ein halbes Dutzend Bewerber und langwierige Verhandlungen. Das Land wollte nämlich „eine nachhaltige Nutzung“, so Bernd Müller, Leiter des Amtes Mannheim und Heidelberg von Vermögen und Bau Baden-Württemberg: „Wir wollten keine Investoren oder Eigentumswohnungen, sondern etwas für die Allgemeinheit!“ Müller bestätigt auf Anfrage, dass der Vertrag abgeschlossen wurde – auch wenn er Details erst später bekanntgeben will.
Nicht betroffen von der neuen Nutzung sind Scheunen, welche weiter das Land behält und wo teilweise historische Sandstein-Bauteile, darunter vom Heidelberger Schloss, gelagert werden. Auch die seit 1862 von Südzucker vom Land gepachtete Hofstelle in Kirschgartshausen bleibt. Die Firma nutzt dort fünf Gebäude, wovon in einem ein Mitarbeiter mit Familie wohnt. Insgesamt sind fünf Mitarbeiter dort tätig. Auf 317 Hektar betreiben sie für Südzucker ein Versuchsgut mit den Schwerpunkten alternativer Pflanzenschutz, Biodiversität und Digitalisierung der Landwirtschaft.
Der Vertrag mit dem Verein umfasst der Ausschreibung zufolge eine Teilfläche von 35 000 Quadratmeter des Grundstücks mit neun Gebäuden, die als Kulturdenkmal eingestuft und, wie es heißt, „in stark renovierungsbedürftigem Zustand“ sind. Dazu zählen die um 1780 erbaute Gutsschänke, das 1790 erbaute Wiegehäuschen, das aus dem gleichen Jahr stammende Verwalterwohnhaus, das ehemalige Saisonarbeiterwohnhaus (Baujahr 1822), das Wohnhaus im Einfahrtsbereich (Baujahr 1803) sowie zwei Scheunengebäude (1784 und 1964).
Der Verein erhält sie gegen eine – eher geringe – Erbpachtzahlung und muss dafür die Sanierung stemmen. Nicht alle Anwesen stehen leer. Das Haus an der Einfahrt ist von einer Familie bewohnt, eine Scheune nutzt seit 21 Jahren ein auf Restaurierung und Verkauf antiker Möbel spezialisierter Schreiner. „Wir führen da Gespräche und wollen eine Einigung“, sagt Daniel Köpke. Der Verein werde „auf gar keinen Fall Tabula rasa machen“, sondern Rücksicht nehmen, zumal die Sanierung „nicht sofort das ganze Gelände umfasst“.
Bürger wünschen Café
„Aber wir sind froh, dass sich etwas tut – das ist ja immer mehr verfallen“, freut sich Bezirksbeirat Wilken Mampel (CDU). Der Zustand der Gebäude sei „jammerschade“ und „gut, dass Bewegung ’reinkommt“. Allerdings würden sich viele Bürger wünschen, „dass es dort wieder ein Café für Ausflügler gibt und der Bereich öffentlich zugänglich bleibt“, so Mampel.
„Wir wollen nichts abschotten, sondern ein offener Begegnungsort sein“, versichert für den Verein Daniel Köpke. Der Verein, der bereits einen Waldkindergarten, eine Kinderkrippe und eine Tagespflege-Einrichtung in Brühl betreibt, ist auch bekannt für das seit 1996 bestehende christliche „Sola“ (Sommerlager) in Mannheim und der Region. Die evangelische Bekenntnisschule solle, so Köpke, „von der Nähe zur Natur profitieren“ und langfristig durch einen Schul- und Kindergartenbauernhof ergänzt werden. Dabei sei zwar an einen Hofladen gedacht, der die Produkte verkaufe, aber bisher nicht an ein Café, so der stellvertretende Vorsitzende.
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