Mannheim. Üblicherweise wird in Abschiedsvorlesungen die Vergangenheit ausgeleuchtet – vor allem wenn ein langjähriger Klinikleiter reichlich Erfolge vorzuweisen hat. Stefan Post, 20 Jahre Chirurgie-Chef und Ordinarius an der Universitätsmedizin Mannheim (UMM), richtete seinen Blick in die ungewisse Zukunft einer medizinischen Königsdisziplin, der Nachwuchsprobleme zu schaffen machen – was auch Ärzte beim Kongress der Gesellschaft für Chirurgie in Berlin umtreibt.
Eigentlich wollte Stefan Post, der 1988 im Alter von 43 Jahren die Chirurgie samt Lehrstuhl übernommen hat, seine letzte Vorlesung im großen Hörsaal halten. Der Andrang war aber so überwältigend, dass die Veranstaltung ins Casino verlegt wurde. „Chirurgie und Lebensqualität“ – dieses angekündigte Thema ließ vermuten, dass der Operateur („Ich wusste schon als Jugendlicher, dass ich Bauchchirurg werden wollte“) über die Chancen neuer OP-Methoden für Patienten spricht.
Leidenschaft am Skalpell
Post setzte sich freilich mit den Vorstellungen von Lebensqualität junger Mediziner auseinander. Motto: „lebenswerte Chirurgie“ – auch für jene, die zwar mit Leidenschaft zum Skalpell greifen, aber jenseits des Berufes auch Mutter oder Vater aus Leidenschaft sein wollen. Dass nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA immer weniger Nachwuchsärzte bereit sind, ein Fach zu wählen, in dem die 60-Stunden-Woche keine Ausnahme und die Burn-Out-Quote erschreckend hoch ist, belegen Studien.
Um „die enorme Vielfalt“ der Allgemeinen Chirurgie samt Eingriffe des Bauchraumes zu beherrschen, bedürfe es gut 20 000 Stunden klinischer Praxis. Und die werden laut Post üblicherweise in zehn Jahren geschafft – aber nicht bei einer 40-Stunden-Woche. Posts Credo: „Die Weiterbildung zum Chirurgen muss sich wandeln“, auch deshalb weil die Zeiten eines legendären Doktor Sauerbruch vorbei sind. Dieser Skalpell-Pionier aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte noch verkündet: „Die Chirurgie ist eine eifersüchtige Geliebte!“ Wenn sich einer seiner Oberärzte verloben wollte, um bald eine Familie zu gründen, erfuhren die Zuhörer, riskierte solch ein schneidender Mediziner seine Kündigung.
Stefan Post ließ keinen Zweifel daran: Er habe das breite wie spannende Spektrum der Allgemein- und Bauchraumchirurgie stets als „Traumberuf“ empfunden. Bei Jüngeren werde hingegen die damit verbundene Arbeitsbelastung immer häufiger als Alptraum wahrgenommen. Klar, könnten zur Entlastung des Mutterfaches aller Spezialisierungen – von urologischen Eingriffen bis zu Hirnoperationen – noch weitere Bereiche abgetrennt werden. Post: „Aber dann wird die Chirurgie irgendwann keine Königsdisziplin mehr sein.“ Seine größte Sorge sei, dass sich Chirurgen „vom Arztsein verabschieden“ und sich zu „reinen OP-Technikern“ entwickeln.
Die Dimension des Nachwuchsmangels benannte vorgestern in Berlin der Präsident des gerade laufenden Fachkongresses, Jörg Fuchs: „Dem Gesundheitssystem werden in nächster Zeit 8000 bis 10 000 Chirurgen fehlen.“
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