Bildung: - Schulklassen lernen bei Pro Familia alles über Jungfräulichkeit, Sexualität und Schwangerschaft / Nachfrage enorm gestiegen

Aufklären ohne Hemmungen

Von 
Lisa Uhlmann
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Sexualität ist bei Pro Familia etwas Positives: Sozialpädagogin Meijada El-Haji zeigt mit selbstgebastelter Gebärmutter, wie der weibliche Körper funktioniert. © Wazulin

Mannheim. Wenn ein Mädchen bei der Entjungferung nicht blutet, hat es etwas falsch gemacht. Das glauben zumindest viele 12 bis 14-jährige Schülerinnen, bis sie zum ersten Mal die Beratungsstelle von Pro Familia besuchen. „Viele stellen sich das Jungfernhäutchen wie eine straff gespannte Frischhaltefolie vor und haben unheimlich Angst, dass es reißt“, berichtet die Sozialpädagogin Meijada El-Haji. Die Folge: Weil ein gerissenes Häutchen aus Sicht der Mädchen ihre Ehre verletzt, benutzen sie keine Tampons und meiden Sportunterricht. Solchen Irrglauben und Mythen will man bei Pro Familia etwas entgegensetzen - mit einem etwas unkonventionellerem Aufklärungsunterricht etwa mit Videos der Plattform Youtube über Menstruationstassen, handgenähten übergroßen Klitoris und Puzzeln aus Filz für Geschlechtsteile.

Nachfrage von Schulen gestiegen

Lehrer aller Schularten können sich für das sexuelle Bildungsangebot mit ihrer Klasse anmelden, den dreistündigen Unterricht gestalten neben El-Haji noch zwei männliche Sexualpädagogen auf Minijobbasis. „Die Nachfrage von Schulklassen ist beständig gestiegen. Leider waren wir schon Anfang des Schuljahres komplett ausgebucht und mussten Schulen ablehnen“, erklärt Beate Wille, Leiterin der Beratungsstelle.

Um das Angebot weiter ausbauen zu können, hofft Pro Familia nun auf finanzielle Unterstützung von der Stadt, die 2017 gekürzt worden war. Deshalb hat die Beratungsstelle Lehrer und Schulsozialarbeiter gebeten, sich in Referenzschreiben für das Angebot starkzumachen. Der Appell an die Stadt: „Das Angebot ist unerlässlich und soll ausgeweitet werden. Sexuelle Bildung darf nicht am Geld scheitern!“, schreibt etwa eine Präventionslehrkraft am Karl-Friedrich-Gymnasium. Auch die Schüler sind vom sexuellen Bildungsangebot begeistert: „Selten trauen sie sich, mit den Lehrpersonen über intime Fragen zu sprechen. Meine Schüler fühlen sich hier wirklich ernst genommen“, erklärt ein Lehrer der Uhland-Werkrealschule. Er möchte die Termine am liebsten halbjährig durchführen. Oft stößen die Lehrer im Unterricht auf große Hemmungen und seien dankbar, die Sexualkunde an Experten abgeben zu können, weiß man in der Beratungsstelle. Dort arbeiten die Experten mit Material zum Anfassen: Was zuerst aussieht wie ein Kuscheltier, entpuppt sich als Gebärmutter samt Eierstöcke. Mit Filzbuch, Blumen als Hormonen und goldenen Kugeln als reife Eizellen lernen die Mädchen den weiblichen Körper kennen. El-Haji erklärt auch, wie man schwanger wird, wie Zwillinge entstehen und warum es zur Periode kommt. Die Jungs lernen ihr eigenes Geschlechtsteil mit Hilfe eines Puzzles besser kennen. Weiteres Material sind neben Menstruationstassen, Stofftiervulva und übergroßer Klitoris, die „Glitterclit“, auch ein plüschiges Bakterium namens Chlamydia.

Wie gut die Jugendlichen aufgeklärt sind, wo sie sich informieren und wie sie das andere Geschlecht sehen, sei von Klasse zu Klasse anders, beobachten die Sozialpädagogen. „Jungs erklären wir oft, dass die Darsteller in Pornos Schauspieler sind und Sex im echten Leben anders funktioniert“, so El-Haji. Den Unterricht passen die Experten vorab mithilfe von anonymen Fragebögen an die Schüler an.

Was die am meisten beschäftigt? Jungs etwa hätten große Angst, schwul zu sein oder den Ansprüchen der Mädchen nicht zu genügen. Die wünschen sich starke Männer, die später die Familie versorgen. Bei den Mädchen sind Jungfräulichkeit, das erste Mal, Frauenarztbesuche und Schönheitsideale Thema. „Die größte Erkenntnis der Schüler ist oft, dass es bei den Mädchen drei Löcher gibt und dass das Jungfernhäutchen sehr elastisch ist“, verrät El-Haji.

Geschützer Raum für intime Fragen

  • Die Grundlage der Präventionsarbeit bei Pro Familia ist eine sexualfreundliche emanzipatorische Sexualpädagogik. Ziel ist es, das positive Selbstbild der Jugendlichen zu stärken, bezogen auf das Recht auf den eigenen Körper, Gewaltfreiheit und körperliche Unversehrtheit.
  • Die Klassen werden nach Geschlechtern getrennt und von einer männlichen oder weiblichen Fachkraft betreut. Der Unterricht dauert drei Stunden und findet in der Beratungsstelle in der Tullastraße 16a statt. Klassenlehrer nehmen nicht teil, sind aber durch Vor- und Nachgespräche mit einbezogen.
  • 2018 haben 46 Mannheimer Schulen das Angebot genutzt, insgesamt 1000 Schüler haben teilgenommen. 2019 hat es pro Woche mindestens zwei Unterrichtseinheiten bei Pro Familia gegeben, Tendenz steigend.
  • Die Teilnahme ist freiwillig, Eltern werden vorab über den Besuch informiert.
Pro Familia

Aufklärung mit handgenähter Klitoris

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Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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