Rheinau

Auerochsenfamilie im Dossenwald bekommt Zuwachs

Nachwuchs im Stadtwald-Tiergehege auf der Rheinau: Vor wenigen Wochen ist dort ein Kälbchen geboren worden. Doch der Revierförster will die Herde noch um weitere Tiere vergrößern

Von 
Christine Maisch-Bischof
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Nachwuchs im Stadtwald-Tiergehege auf der Rheinau: Vor wenigen Wochen ist dort ein Kälbchen geboren worden © Stadtverwaltung

Unzählige Tautropfen überziehen das Weidegras mit ihrem Diamantfunkeln. Tiefschwarz und braun erhebt sich im Gegenlicht des strahlenden Spätherbstmorgens die Silhouette einer Hand voll Auerochsen. Zwischen ihren massigen Körpern sucht ein neun Wochen altes Kälbchen die Nähe seiner Mutter. Wenige Schritte hinter dem Stierjungen lässt ein Rudel Mufflons die herannahenden Besucher keinen Moment aus den Augen. Doch plötzlich kommt Bewegung in das friedliche Idyll. Die Tiere haben Norbert Krotz erkannt. Und mit ihm die Aussicht auf eine Extraportion Futter. Und nicht nur das Neugeborene und zusätzliche Gestaltungselemente sollen nach den Plänen des Revierförsters die Anlage bereichern. Vielmehr wird im Dezember eine weitere Kuh für noch mehr Nachwuchs sorgen.

Zutraulich lassen sich die Ur-Rinder die feuchtglänzenden Nüstern streicheln. Krotz ist für die Vierbeiner einer der engsten Bezugspersonen unter den Mitarbeitern im Stadtwald auf der Rheinau.

  • Im städtischen Wildgehege im Dossenwald werden Auerochsen seit 2001 gehalten, zusammen mit etwa 20 Mufflons. Zuvor hatten dort Bisons gelebt, die im Frühjahr 2001 an den Karlstern in Käfertal umgezogen sind. Die Ur-Herde im Süden Mannheims besteht derzeit aus sechs Tieren: einem fünfjährigen Stier, zwei siebenjährigen Kühen und drei Stierkälbern. Zwei wurden 2021 geboren. Hinzu kommt nun das acht Wochen alte Männchen.
  • Auerochsen sind die Urform unserer Hausrindrassen. Sie waren einst in ganz Europa verbreitet. Durch vermehrte Landwirtschaft und die Jagd wurde der Auerochse in Mitteleuropa immer mehr verdrängt.
  • 1627 starb das letzte Tier in der Nähe von Warschau. Damit war der Auerochse ausgerottet. 1934 begannen die Brüder Heck in zoologischen Gärten mit Rückkreuzungsversuchen. Heute werden sie außer in Parks auch in Beweidungsprojekten in Naturschutzgebieten gehalten.
  • Auerochsen erreichen eine Widerristhöhe von 1,80 Meter, ein Gewicht von bis zu 1000 Kilo und ein Alter von bis zu 18 Jahren.

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sapo
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Nur das knapp zwei Monate alte Kälbchen bleibt noch scheu im Windschatten der Mama zurück. Und kassiert auch schon mal den einen oder anderen rüden Schubser seines anderthalb Jahre älteren Halbbruders. Dennoch resümiert Krotz: „Insgesamt hat die Herde den Kleinen sehr gut integriert.“ Sein Papa mit dem schwarzen Fell ist übrigens auch ein Neuzugang. Denn leider ist Carlos, der leibliche Vater seiner Stiefgeschwister, im Juni 2021 mit noch relativ jugendlichen acht Jahren schwer erkrankt. „Es war eine neurologische Veränderung“, berichtet Krotz: „Die Tierärzte konnten ihm zu unser aller Bedauern nicht mehr helfen.“

Also machte sich der Revierförster auf die Suche nach einem anderen Stier. Möglichst aus einer ganz anderen Linie, um Inzestproblemen vorzubeugen. Beim Nabu Rheinlandpfalz wurde er fündig. Der prächtige fünfjährige Ajax bereichert inzwischen die Herde. „Wir haben ihn im Tausch gegen zwei unserer Jungstiere bekommen“, erklärt Krotz. Denn im Alter von etwa zwei Jahren sind die Bullen nicht nur Geschlechtsreife, vielmehr fangen sie auch an sich mit älteren Männchen anzulegen. Um Verletzungen zu vermeiden, hätte sich Krotz ohnehin von den zwei potenziellen Raufbolden trennen müssen. Und es noch einen Verlust zu beklagen, auch wenn er absehbar war. Schlichtweg aus Altersschwäche musste im Dezember 2021 eine der Kühe eingeschläfert werden - allerdings mit stattlichen 18 Jahren: „Das ist schon ein sehr beachtliches Alter.“

Und obwohl es sicherlich niedlich ist, ein Kälbchen zu streicheln: Norbert Krotz und sein Team haben den Anspruch, die Tiere so artgerecht wie möglich zu halten. Für ihre Besucher wollen sie demnach Schau- und Beobachtungsgehege gestalten, aber keinen Streichelzoo. Apropos artgerecht: Trotz aller Bemühungen geht es manchmal nicht ohne die Nähe der Betreuer. So musste die Mutter des Kälbchens vor acht Jahren als Frischgeborenes mit der Flasche von Menschenhand großgezogen werden.

Die Auerochsenkuh, die sie zur Welt gebracht hatte, sowie eine weiteres trächtiges Ur-Rind, sind damals im Dossenwald an einer Eibennadelvergiftung verendet. Ob es in böswilliger Absicht geschah, oder ein Versehen war, ist bis heute ungeklärt. Jedenfalls, so Krotz, seien schon wenige Zweige des Baumes hochtoxisch. „Und die beiden Kühe waren bedauerlicherweise gierig nach Nahrung, weil sie für ihre Jungen Milch produzieren mussten.“ Deshalb hatten sie auch eine große Menge zu sich genommen. Bereits eine Aufnahme von 50 Gramm Eibennadeln kann übrigens selbst für einen Menschen tödlich sein.

Wer eine solche Vergiftung überlebt, der trägt in der Regel einen bleibenden Leberschaden davon. Das gilt auch für Tiere. Deshalb sollten Besucher den Vierbeinern in den Gehegen grundsätzlich nichts zu Fressen geben. „Auch kein Grünzeug und schon gar keine Essensreste“, warnt Krotz. Und erinnert dabei an die Bisons, die im Käfertaler Wald nach dem Verzehr von Backwaren gestorben sind.

Aktuell umfasst die Ur-Rinderherde sechs Tiere: das Neugeborene, die zwei Jungstiere, Clan-Chef Ajax sowie die zwei 2016 geborenen Kühe. Für eine angemessene Rudel-Größe wünscht sich Krotz nun eine dritte Kuh.

Das Casting ist bereits abgeschlossen: Seine Wahl ist - passend zu Ajax - auf eine dunkle Schöne vom Nabu Rheinlandpfalz gefallen. Im Dezember, wenn die vom Veterinäramt auferlegten Impfungen erfolgt sind, darf die Sechsjährige nach Mannheim umziehen.

Willkommene Überraschung

Inzwischen interessieren sich aus sicherer Distanz auch Mufflons für die Futterration, die Krotz den Rindern zukommen lässt. Für sie hat das Stadtwald-Team extra drei Hügel aufgeschüttet. Denn die Ur-Schafe lieben erhöhte Positionen. „Um das Gelände besser überblicken zu können“, berichtet der Forstmann.

Und wo steckt das Kälbchen? Die Bäuche der Erwachsenen wölben sich so wohlgenährt, dass sie den Kleinen fast völlig verdecken. Der Laie könnte erneut Nachwuchs vermuten. „Das ist sogar für den Fachmann oft schwer zu unterscheiden“, räumt Krotz lachend ein: „Wir haben hier schon so manche unerwartete Neugeburt erlebt.“ Was für eine willkommene Überraschung - für Betreuer und Besucher gleichermaßen.

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