Architektur

Architekturrundgang: Die Bauwerke der Vogelstang in Mannheim

Der Stadtteil auf dem Gelände der ehemaligen Pulverdampffabrik: Beim Rundgang durch die Vogelstang begeistern die Architektur und die Geschichte des Viertels rund 150 Teilnehmer. Wie der Stadtteil in Mannheim entstand

Von 
Bernhard Haas
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Das Vogelstang-Center mit verschiedenen Geschäften liegt fast mitten im Stadtteil. © Haas

Vogelstang. Damit hatten die Veranstalter des Architektenrundgangs selbst nicht gerechnet: Rund 150 Teilnehmer wollten bei dem Spaziergang, einer Filmvorführung und einer anschließenden Gesprächsrunde dabei sein.

Dennis Ewert, der Vorsitzende der Kammergruppe Mannheim der Architektenkammer Baden-Württemberg und damit einer der Veranstalter, meinte: „Ich bin regelrecht überwältigt von dem großen Zuspruch dieser Veranstaltung, bei der es nicht zuletzt darum geht, die Grundsteinlegung auf der Vogelstang vor 60 Jahren ins Gedächtnis zu rufen“. Gemeinsam hatten das Marchivum, der Stadtschreiber Andreas Schenk, der Bund deutscher Architektinnen und Architekten Mannheim (Johannes Striffler), der Bürgerverein Vogelstang (Gunter Heinrich jr.) und die Kammergruppe der Architektenkammer Baden-Württemberg diese Veranstaltung organisiert. Nicht zuletzt, um an die Grundsteinlegung, die am 10. September 1964 erfolgte, zu erinnern.

Gelände der ehemaligen Pulverdampffabrik als Stadtteil

Ewert gab eine kurze Einführung. In den 1950er Jahren herrschte bundesweit Wohnungsnot. Rund zwölf Millionen Menschen suchten nach einer Bleibe. Aus dem Zeitzeugen und damalige Architekten der Wohnbaugesellschaft Neue Heimat, Einald Sandreuther, sprudelten geradezu Geschichten aus der damaligen Zeit heraus. Stundenlang hätten die Anwesenden ihm zuhören können. Als die ersten Ideen für einen neuen Stadtteil aufgekommen seien, habe man zuerst an eine Trabantenstadt gedacht, erzählte Sandreuther. Diese hätte auf Lampertheimer Gemarkung gebaut werden sollen.

Die Balkone an den Häusern sind eigens für die Vogelstang entwickelt worden. © Bernhard Haas

Aber recht bald habe sich herauskristallisiert, das Gelände einer ehemaligen Pulverdampffabrik auf Mannheimer Gemarkung für den neuen Stadtteil zu verwenden. Übrigens habe es auf diesem Gelände keinen einzigen Baum in der heutigen grünen Vogelstang gegeben. Ab 1959 wurde in der Stadtverwaltung über den neuen Stadtteil nachgedacht. Mannheims Erster Bürgermeister Ludwig Ratzel, auch als „Vater der Vogelstang bezeichnet, war als treibende Kraft in Planung und Entstehung der Vogelstang involviert.

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Peter W. Ragge
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Ein Großteil des Projekts wurde von der GEWOG, einer Tochter der Neuen Heimat, umgesetzt, die die Gesamtkosten auf 500 Millionen D-Mark bezifferte. Der Name „Vogel-stang“ wurde von einem dortigen alten Gewann- oder Flurnamen übernommen. Schon ab 1928 war eine kleine Siedlung entstanden, die bis 1940 etwa 40 Häuser umfasste. „Alt-Vogelstang“ befand sich im Nordwesten des heutigen Stadtteils an den Straßen „Auf der Vogelstang“ und „Eberswalder Weg“. Die GEWOG hatte gemeinsam mit anderen lokalen gemeinnützigen Trägern den Auftrag erhalten, den neuen Stadtteil „Vogelstang“ für über 20 000 Menschen zu bauen, um die Wohnungsnot zu lindern.

Prägend für den Stadtteil sind die markanten Hochhäuser, umrahmt von Grün. © Bernhard Haas

In einer schon fast als Rekord zu nennenden Zeit von fünf Jahren nach der Grundsteinlegung waren bereits über 5000 Wohneinheiten fertiggestellt. Eines der 22-stöckigen Hochhäuser wurde mit Fertigteilen in 5,5 Monaten hochgezogen. Heute wohnen über 12 000 Menschen auf der Vogelstang, und damit nennen 3,8 Prozent der Mannheimer Bevölkerung diesen Stadtteil ihr Zuhause, berichtete Ewert. Es habe rund 400 Grundeigentümer, vor allem Bauern gegeben, so Sandreuther, denen die Grundstücke gehört hätten. Daher habe er immer einen Geschäftsführer mit einem Koffer dabei gehabt, um die Verkäufe gleich in bar abzurechnen: „Die Bauern wollten Bares in der Tasche haben“, lachte der Zeitzeugen.

Die Ideale der damaligen Städteplanung seien umgesetzt worden. Dazu zählte eine aufgelockerte Bauweise mit hohem Grünanteil. Eine funktionale Gliederung und relativ einfache Bauformen prägen das Bild eines Stadtteils, der vom Innovationsgeist einer ganzen Zeit zeugt und auch heute noch nahezu originalgetreu besteht.

Einald Sandreuther erklärt das evangelische Gemeindezentrum. Die Menschen lauschen ihm. © Bernhard Haas

Bei der Planung von Wohngebäuden, einem Einkaufszentrum, Kirchen, Schulen, Kindergärten, Spielplätzen sowie Alters- und Jugendheimen setzte man auch auf die Ideen lokaler, teils namhafter Architekten: Helmut Striffler, Carlfried Mutschler und Einald Sandreuther, der später auch für die Neckaruferbebauung verantwortlich war, schufen mit den Y-förmigen Kettenhäusern, den Punkthochhäusern in schlanker Bauweise und markanten öffentlichen Bauten eine identitätsstiftende Architektur, erzählte Ewert. Sogar an die Straßenbahn und an ein Einkaufszentrum mitten im Stadtteil sei gedacht worden, ergänzte Sandreuther.

Wohnungen besaßen eigenes Bad, WC und Küche

Bereits am 1. Dezember 1965 konnten die ersten 76 Familien ihre Wohnungen beziehen. 1968 lud die Neue Heimat zum Vogelstang-Richtfest ein. Ein Jahr später wurde das Einkaufszentrum eröffnet. Sandreuter hob auch hervor, dass die gesamte Planung immer gemeinsam mit der Stadtverwaltung erfolgte, mit der er bestens zusammengearbeitet habe.

Die Wohnungen hätten ein eigenes Bad, WC und Küche besessen, sodass es ein Privileg gewesen sei, hier zu wohnen, meinte Sandreuther augenzwinkernd. Der anschließende Rundgang führte über das Vogelstang-Center mit seinen markanten Rollsteigen. Die drei Hochhäuser wurden unter die Lupe genommen.

Weiter ging es zur Zwölf-Apostel-Kirche und zum evangelischen Gemeindezentrum. Anschließend führte der Weg zu den Geschwister Scholl Schulen und zu den Y-Kettenhäusern. Daraufhin wurde der Dokumentarfilm „Neue Heimat für 20 000“ von Eberhard Fingado aus dem Jahr 1977 gezeigt. Einer der Teilnehmer schlug anschließend vor, den Film als CD zu brennen und an Interessierte zu verkaufen.

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