Mannheim. "Endlich hat es geklappt, das gibt die neue Alzheimer-Therapie!“ So reagierte Lutz Frölich, als ihm die fertigen Ergebnisse der Lecanemab-Studie vorlagen, erzählt er. Denn lange ging es hin und her, aber keinen Schritt vorwärts bei der Alzheimer-Behandlung. Wegen komplexer Mechanismen, die die Krankheit auslösen, sei sie schwer zu behandeln, so Frölich. Er leitet die Gerontopsychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI). Der Professor ist zugleich Co-Autor der Studie mit dem Antikörper Lecanemab, die international hohe Wellen schlug. Positive Wellen, aber auch mit einer gewissen Sorge.
Zulassung in Europa Ende des Jahres?
Frölich berichtet: Jetzt endlich habe man „einen Hebel“ gefunden, an dem man ansetzen könne. Dieser Ansatz heile zwar die Krankheit nicht, vermindere aber laut der Daten der Studie die Geschwindigkeit des Abbaus um 27 Prozent. Dies funktioniere aber nur, wenn die Alzheimer-Krankheit in sehr frühen Stadien diagnostiziert wurde.
Lecanemab bindet sich an die Vorstufen sogenannter Amyloid-Plaques im Gehirn. Das sind Eiweiß-Verklumpungen im Nervengewebe. Sie schädigen Nervenverbindungen und bringen sie zum Absterben. Lecanemab verhindert damit die Entstehung der Plaques und löst sie sogar wieder auf. Die Substanz ist in den USA seit dem 6. Januar 2023 vorläufig zugelassen, in Europa erwartet man eine Zulassung Ende diesen Jahres.
Krankheit bald früh erkennen?
Lecanemab zeigte in der Studie auf allen Messwerten signifikant positive Ergebnisse. Die Therapie wirkt also. Das macht Hoffnung, ist ein erster Schritt. Doch sind die Ergebnisse auch klinisch relevant, also für den einzelnen Patienten bedeutsam? „Ob man die Effekte auch wirklich am einzelnen Patienten sehen kann, ist eine zusätzliche Frage“, sagt Frölich. Er selbst habe zum Beispiel bei den acht Patienten, die in Mannheim bei der Studie mitmachten, „nicht per Augenschein sagen können, bei wem diese Behandlung angeschlagen hatte oder wer eine Placebo-Therapie bekommen hatte, also ein unwirksames Vergleichsmedikament“.
Das größte Ziel bei Alzheimer ist stets, einen Stopp der Krankheit zu erzielen. Eine Verbesserung des Zustands ist unmöglich. Denn was im Hirn „weg ist, ist weg“, sagt Frölich. Dass Lecanemab in der Studie neben der Wirkung auf geistige Leistungsfähigkeit und Alltagskompetenz auch Effekte auf die Lebensqualität hatte, legt nahe, dass die Wirkung des Medikaments klinisch relevant ist, sagt er.
In zehn Jahren könne er sich zudem vorstellen, dass Menschen, die noch keine Symptome zeigten, aber bei denen bereits in ihrem Körper biologische Veränderungen aufspürbar sind, „mittels einer speziellen Vorsorgeuntersuchung diagnostiziert und dann sehr frühzeitig behandelt werden“. Denn das frühe Erkennen ist bei Alzheimer essenziell. Heute ist es so, dass es oft schon zu spät ist, etwas tun zu können, wenn die Krankheit vom Arzt diagnostiziert wird.
Erste Symptome, Studienteilnahme und Alzheimer-Test
- 1. Gedächtnislücken, zum Beispiel vergessen, den Herd auszuschalten.
- 2. Schwierigkeiten beim Planen und Problemlösen, etwa beim Kochen nach altbekannten Rezepten.
- 3. Probleme mit gewohnten Tätigkeiten, Routineaufgaben bei der Arbeit werden Problem o. Ä.
- 4. Räumliche und zeitliche Orientierungsprobleme, etwa die eigene Straße nicht mehr erkennen.
- 5. Wahrnehmungsstörungen, etwa vertraute Gesichter nicht wiedererkennen.
- 6. Neue Sprach- und Schreibschwäche, zum Beispiel beim Gespräch nicht mehr folgen können.
- 7. Verlegen von Gegenständen, Schuhe in den Kühlschrank o. Ä.
- 8. Eingeschränktes Urteilsvermögen, etwa Winterstiefel im Sommer getragen.
- 9. Verlust von Eigeninitiative und Rückzug aus dem sozialen Leben, etwa bei Hobbies.
- 10. Persönlichkeits- und Verhaltensveränderungen, etwa Unbehagen in fremden Räumen.
- Mehr Infos und Symptomtest im Netz unter bit.ly/3XHhxOW
- Für Betroffene: Kontaktadresse für klinische Studien in Mannheim (Gedächtnis-Ambulanz des ZI), Tel. 0621/1703-3017 oder -3306 .
Drei Jahre mehr klarer Verstand?
Doch Frölich ist optimistisch: „Wenn man die anderen Hebel, die bei der Krankheit auch noch mitmischen, noch unter Kontrolle kriegt, kann man vielleicht Patienten eine kombinierte Therapie anbieten, die noch besser wirkt.“ Vielleicht könnte man dann eine Halbierung des Fortschreitens erzielen, was schon eine massive Verbesserung wäre, wenn man auch das fortgeschrittene Alter der Patienten betrachte, erklärt er. „Wenn da jemand als 75-jähriger Mensch drei bis fünf Jahre bei klarem Verstand gewinnt, ist das viel“.
Starke Nebenwirkungen möglich
Das Medikament Lecanemab wirkt, hat aber auch teils „bedeutsame Nebenwirkungen“, so Frölich, die sorgfältig beobachtet werden müssen. Es können umgrenzte Hirnschwellungen auftreten, die manchmal auch mit Hirnblutungen einhergehen. Das sind seltene, schwere Nebenwirkungen. Es ist wohl eine Folge davon, dass die Eiweiß-Ablagerungen in den Blutgefäßen des Hirns aufgelöst und die Gefäße deswegen „löchrig“ werden, erklärt er. Man müsse in dem Zeitraum der Behandlung deswegen mehrfach zur Überwachung mittels Kernspin-Untersuchungen. Und zur Not das Medikament absetzen.
Für jeden Patienten müsse daher eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden. Es gab auch Berichte über drei Todesfälle im Zusammenhang mit Lecanemab während der Studien. Frölich erläutert, dass es hier dazu gekommen sei, wenn die Menschen zusätzlich blutverdünnende Medikamente eingenommen hatten. „Das hat die Blutungsneigung verstärkt“, so Frölich.
Krankheit noch immer ein Tabu
Frölich betont derweil, dass die Alzheimer-Forschung weltweit ein finanzielles Volumen maximal von einem Drittel etwa der Krebsforschung umfasse. Auch wenn es in Deutschland und der EU große Leuchtturmprojekte gebe: Frölich sagt, dass „auch die gesellschaftliche Sichtweise auf das Alter sehr viel mit der mangelnden Forschungsförderung“ zu tun habe. „Die Krankheit wird immer noch tabuisiert und stigmatisiert, es hat auch mit Ageism (zu deutsch: Altersdiskriminierung) zu tun.“
Die Gesellschaft sage: „Ach, im Alter, da ist das halt so, da wird man halt ein bisschen tüdelig“ und akzeptiere das. Und auch die Betroffenen selbst sehen es vielfach so. Es herrsche bei den älteren Menschen nicht die Auffassung: „Hey ich bin krank, kann mir jemand helfen“, sondern eine stille Akzeptanz. Und auch die gesellschaftliche Sicht, dass Menschen im höheren Alter einfach nicht mehr finanziell produktiv seien, spiele eine gewisse, wenn auch unterschwellige Rolle.
„Mache zu wenig Sport“
Und was macht Frölich selbst, um Alzheimer zu vermeiden? „Ich bemühe mich um eine gesunde Lebensführung“, sagt er. „Und trainiere mein Gehirn, bin geistig aktiv, in dem ich dieser beruflichen Tätigkeit nachgehe. Darüber ergeben sich auch viele soziale Kontakte.“ Er fügt hinzu: „Und was ich natürlich zu wenig mache ist Sport…“ Er klingt selbstkritisch und schmunzelt. „Darin muss ich besser werden. Also lieber die Treppe nehmen als Fahrstuhl fahren. Wir wissen, dass regelmäßige Bewegung, in der Woche so zweieinhalb Stunden Spazierengehen etwa, schon reicht, das ist ein extrem wichtiger Faktor.“ Während der aktive Lebensstil einen großen Einfluss hat, betont Frölich, dass nur rund ein Prozent der Alzheimer-Erkrankungen erblich sind.
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